Fremdgehen in der Literatur:Ode an den Ehebruch

Wenn Frauen fremdgehen, dann geht es ums große Ganze. Im einem neuen Buch über Effi Briest, Anna Karenina und Madame Bovary lädt der Literaturwissenschaftler Wolfgang Matz zu einem Gipfeltreffen großer Ehebrecherinnen.

Von Joseph Hanimann

Zwischen dem gesellschaftlichen Massenphänomen und dem persönlichen Trauma Ehebruch liegt ein Spielraum, den die Literatur zumal des 19. Jahrhunderts ausgelotet hat. Emma Bovary, Anna Karenina, Effi Briest sind Heldinnen einer Wende, in welcher der Ausstieg aus der Ehe interessanter wurde als der Einstieg.

Wolfgang Matz, der brillante komparatistische Querläufer, der vor sieben Jahren schon ausgehend vom Stichjahr 1857 durch die Welten Flauberts, Baudelaires und Stifters zog, nutzt in seinem neuen Buch eine Tagebucheintragung von Tolstoi für einen weiteren Streifzug. Romane hätten die üble Gewohnheit, dort aufzuhören, wo sie eigentlich anfangen müssten, mit der Hochzeit der Liebenden, notierte der Russe, denn in Zerfall und Trennung werde das Eheleben doch erst recht spannend. Ganz richtig, attestiert Matz: Geblieben seien aus der neueren Literatur nicht die Eheanbahnungsromane, sondern die Geschichten um Heirat/Ehebruch/Tod wie eben bei Flaubert, Tolstoi, Fontane. Daraus entfacht der Autor ein wahres Feuerwerk von Vergleichen, Gegenüberstellungen, Kontrasten.

Ein Fest der Literatur

Das um die ominöse Zahl 3 subtil komponierte Buch - drei Frauentitelromane, drei Paare, jeweils drei Akteure - ist eine Einladung zur Wiederlektüre, eine blitzgescheite Analyse, ein Kaleidoskop philologischer und biografischer Anekdoten, eine knisternde Causerie, ein Fest der Literatur. Der Autor hält von der ersten bis zur letzten Seite seinen lakonischen und zugleich verspielten Ton durch, streut großzügig Mottos über seine Kapitel, hält inne mit pointierten Zwischenbemerkungen.

Die bürgerlich-gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür, wie die Bauerntochter Emma dem Landarzt Charles Bovary zufliegt und dann gleich zu Höherem strebt, wie Anna um ihre Trennung vom Ministerialrat Alexej Alexandrowitsch Karenin ringt, wie die viel zu junge Effi im Bürgerhaushalt des Landrats Innstetten bange ihrem Seitensprung mit dem Major von Crampas nachsinnt, werden knapp und effizient umrissen , und dann abgelegt.

Gegenseitiger Gebrauch der Geschlechtsorgane

Familie und Ehe sind in der europäischen Kultur männlich bestimmte Ordnungssysteme, die entsprechend der berühmten Formel von Kant den natürlichen gegenseitigen Gebrauch der Geschlechtsorgane in eine gesellschaftliche Form bringen sollen, neuerdings aber auch das völlig unberechenbare Moment "Liebe" ins Spiel eingeführt haben. Dabei zogen die Ehemänner laut Matz meistens die schlechten Karten, mit ihrer Doppelnatur von biologischem Geschlechtstier und gesellschaftlichem Wesen.

So versuchen sie in der Ehe, dieser "Wette, das ganze Glück durch einen Kompromiss zu bekommen", bis zuletzt den Status quo zu halten - und machen eine oft etwas lächerliche Figur. Die schon anders verliebte Anna Karenina bemerkt an dem auf dem Bahnsteig wartenden Gatten seine abstehenden Ohren. Emma Bovary braucht noch weniger lang, um die provinzielle Verstocktheit ihres Mannes zu erkennen. Und trotz seinem vorteilhaften Aussehen wachsen auch dem Baron Innstetten bald die Hörner.

Beim Ehebruch der Frau geht es ums Ganze

In den großen überlieferten Geschichten, konstatiert Matz, sind es fast immer die Frauen, die den Gemeinschaftsvertrag kündigen, obwohl gerade sie dabei alles verlieren: Ansehen, Stellung, soziale Sicherheit, oft das Leben. Blieb das Fremdgehen der Männer in der Ehe als kleine Unschönheit stets tolerierbar, so war der Ehebruch der Frau lange ein Skandal. Dort geht es ums Ganze - und "genau das ist es, was der große europäische Roman braucht".

Wie kommt es aber, fragt der Autor, dass diese Bücher uns immer noch ansprechen, obwohl heute keine Frau mehr Arsen zu schlucken braucht, weil sie einen anderen Mann attraktiver findet? Weil das Leben als Paar trotz allen Veränderungen noch immer der Ort ist, wo Glück und Unglück am heftigsten kollidieren, lautet die Antwort, und weil die Gattentreue zwar keine Norm mehr ist, jedoch ein vielleicht umso stärker herbeigewünschtes Ideal.

Drei Schwestern im Geiste?

Fremdgehen in der Literatur: Wolfgang Matz: Die Kunst des Ehebruchs. Emma, Anna, Effi und ihre Männer. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 304 S., 24,90 Euro. E-Book 19,99 Euro.

Wolfgang Matz: Die Kunst des Ehebruchs. Emma, Anna, Effi und ihre Männer. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 304 S., 24,90 Euro. E-Book 19,99 Euro.

Die Ausleuchtung dieser Antwort beschert uns eine höchst vergnügliche Farandole durch die drei Romane mit stets wechselnden Konstellationen. Zu Unrecht habe man in den drei Frauen einfach Schwestern im Geiste gesehen, gibt Matz sehr überzeugend zu bedenken, denn nie wäre Emma auf die Idee gekommen, sich die Sorgen zu machen, mit denen Anna und Effi mit Skrupeln gegenüber ihren Ehemännern sich quälen: Emmas Ehebruch sei nur der erste Schritt zu einer orgiastischen Totalzerstörung, die nach den enttäuschten Mädchenträumen alles zu Fall bringen soll.

Umgekehrt steht aber im tödlichen Ausgang der drei Romane plötzlich Effi allein da. Liegt Emmas und Annas Tod in der Konsequenz ihres Lebens, erkennt Matz im Tod Effis nichts Zwingendes. Was war da eigentlich genau zwischen ihr und Crampas? Über die Frage, ob das alles schlüssig sei, lässt Fontane am Romanende den Hund Rollo vieldeutig den Kopf schütteln. "Eine Antwort bleibt Fontane schuldig", schließt der strenge Eheauflösungsexperte Wolfgang Matz.

Der Liebhaber als trivialer Bürger

Sein scharfer Blick springt ins literarische Detail und weitet sich dann wieder zum Gesamtpanorama aus. Er geht der oft vernachlässigten Frage nach, was aus den Liebhabern, diesen Ruhestörern des Ehestandes, letztlich geworden ist. Von den vier Herren in den drei Romanen enden zwei ebenfalls im Tod, Rodolphe und Léon hingegen, die beiden Liebhaber Emmas, leben munter weiter. Flaubert habe aufgeräumt mit dem erhabenen Nimbus Tristans und Don Juans - der Liebhaber sei fortan ein trivialer Bürger wie du und ich, der die Gelegenheit beim Schopf packt und sich dann trollt.

Erstaunlich nur, dass Flaubert seinen Roman vor den beiden anderen schrieb und allen kommenden damit eigentlich den Wind des Tragischen aus dem Segel des Treuebruchs nahm. Warum dieses bis hin zu Michel Houellebecq und Arno Geiger sich dennoch weiterhin bläht, deutet das Buch in seinem dritten Teil an, lässt hier nur eine Figur aus: jene, die man zu Flauberts und Tolstois Zeiten noch "Mätresse" nannte. Den Enkelinnen Nanas und der Kameliendame bleibt der Autor dieses köstlichen Werks zwischen Essay, Textkommentar und literarischer Nacherzählung einen Nachtrag schuldig.

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