Fremdenfeindlichkeit:Alle reden gegen Rassismus - aber wer handelt?

Demonstration gegen Pegida Kundgebung in München, 2015

Ein großer Teil der Öffentlichkeit verurteilt Rassismus - doch eine seriöse Rassismus-Analyse fehlt zumeist. Hier zu sehen: Demonstranten gegen eine Pegida-Kundgebung 2015 in München.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ausländerfeindlichkeit ist in Deutschland weit verbreitet. Sich nur dagegen auszusprechen, ist nicht genug.

Von Meredith Haaf

"Die Bundesrepublik ist in einem gefährlichen Maß von Überfremdung gefährdet": Dieser Aussage stimmt ein Drittel der Deutschen zu. In etwa so viele sind der Meinung, "Ausländer" seien nur hier, um den Sozialstaat auszunutzen. Gut vierzig Prozent können sich mit der Idee anfreunden, Deutschland brauche "eine einzige starke Partei, welche die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert".

Dies sind Ergebnisse der neuen Mitte-Studie, in deren Rahmen seit 14 Jahren an der Universität Leipzig Rechtsextremismus in Deutschland untersucht. In diesem Jahr sind sie besonders ernüchternd: Rassismus und Nationalchauvinismus sind empirisch belegbar und keine Randerscheinung mehr.

Die etablierte Rassismus-Definition schafft es, Islam-Feindlichkeit außer Acht zu lassen

Viele Deutsche halten ihr eigenes Land für überlegen, wünschen sich "mehr Mut zu einem starken Nationalgefühl" und sind bereit, diversen Minderheiten ihre Rechte abzusprechen. Ein umso größeres Problem ist es aber, dass sich der kritische Umgang mit diesem Rassismus oft auf das Beteuern eines nicht-rassistischen Konsenses beschränkt.

Natürlich reagiert ein großer Teil der Öffentlichkeit auf rassistisch aufgeladene Provokationen, wie sie aus Richtung der AfD abgesetzt werden, mit zuverlässiger Einhelligkeit. Politiker sparen nicht mit verbalen Breitseiten: "niederträchtig" (Angela Merkel), "deutschfeindlich" (Sigmar Gabriel). Und in den sozialen Netzwerken fällt ja auch immer irgendwem ein Kommentar oder schöner Hashtag ein, um Häme und Ablehnung zu bündeln, die man AfD-lern und Pegidisten entgegenbringt. Doch es fehlt zumeist die seriöse Rassismus-Analyse oder ein konkreter politischer Vorschlag zur Bewältigung der Entwicklung.

Dazu gehört es zunächst einmal, die Vorstellung davon zu überarbeiten, was Rassismus eigentlich ist. In Deutschland hat sich diesbezüglich eine Definition etabliert, die es schafft, Islam-Feindlichkeit außer Acht zu lassen. Das ist dramatisch, weil die aktuelle Mitte-Studie zeigt, dass außer den Sinti und Roma keine Gruppe in Deutschland so stark abgelehnt wird wie Muslime. Jeder zweite Befragte gab an, sich wegen der "vielen Muslime wie ein Fremder im eigenen Land" zu fühlen, über vierzig Prozent sind der Meinung, Muslimen solle die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden. Vorbehalte gegenüber dem Islam und seinen Angehörigen werden bis in progressive Kreise hinein mit vermuteten Antiliberalismus und der Ablehnung weiblicher Verhüllungspraktiken rationalisiert.

Das Bildungssystem als Chance und Risiko

Aus der Sozialpsychologie weiß man, dass sich Vorurteile nur durch Kontakte abbauen lassen. Das gilt für sehr viele Bereiche der Gesellschaft: Auch etwa Redaktionen, Verlage und Verbände müssen sich fragen lassen, wie selbstverständlich Diversität bei ihnen eigentlich ist, wenn es um mehr als Quotenerfüllung geht.

Konflikte müssen lösbar wirken. Dafür bietet bekanntlich das Bildungssystem die besten Chancen, aber auch Risiken. Momentan droht hier allerdings die Gefahr einer ausgewachsenen Krise: Die Schulen werden überlastet mit den besonderen Bedürfnissen der geflüchteten Kinder , während sich urbane Mittelschichtseltern aus der Verantwortung stehlen - und ihre Kinder aus der Sprengelschule nehmen. Hier hilft nur eine durchfinanzierte Schulreform. Wäre sie nicht ein passendes Großprojekt für die Gesellschaft im Wandel?

Dabei geht es auch um inhaltliche Arbeit: Im Duisburger Projekt "Junge Muslime in Auschwitz" lernen Jugendliche, ihre eigenen Familienbiografien innerhalb historischer und gesellschaftlicher Entwicklungen zu verorten. Dieses Modell ließe sich auf nicht-muslimische Jugendliche ausweiten, gerade wenn es um das Thema Nationalsozialismus geht. Das komplexere Problem sind die ungleich schwerer zu erreichenden rassistischen Erwachsenen. Kein Wunder, dass die Politik zwischen Appeasement in Form rassistischer Slogans, wie "Wer betrügt, fliegt" von der CSU 2014, und demonstrativer Abscheu oszilliert. Offensichtlich verfängt aber nichts davon, zumal das Vertrauen in die Parteien laut der Mitte-Studie geringer ist als je zuvor.

Jeder Politiker, der Vorurteile reproduziert, erhöht indirekt die Lebensgefahr für andere

Bislang galt als Erklärungsmuster für Rechtsextremismus das Paradigma der relativen sozialen Deprivation, also dem je individuellen Eindruck, an Politik und Gesellschaft nicht teilnehmen und nichts ausrichten zu können. Angesichts der aktuellen Lage hilft diese Erkenntnis wenig: Schließlich ist es AfD und Pegida längst gelungen, die entsprechende Mentalität im politischen Spektrum zu verankern. Es muss klar sein, dass jeder Politiker, der Vorurteile reproduziert statt menschenfreundliche Lösungen anzubieten, indirekt die Lebensgefahr für andere erhöht.

In NRW feuerte ein Schütze vor einer Geflüchtetenunterkunft auf Menschen, getroffen wurde eine Fünfjährige. In Stuttgart richteten zwei weiße Männer aus einem fahrenden Auto ihre Schreckschusspistole auf einen schwarzen Deutschen, mit den Worten: "Lauf, Schwarzer!" Unterdessen übertitelte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer auf seiner Facebook-Seite einen Bericht, in dem er seinen Besuch bei einer Flüchtlingsunterkunft beschrieb mit einem Zitat: "Lieber leben wir mit Bomben als hier" und beschrieb unzufriedene Syrer, die kein Wort Englisch konnten.

Das politische und publizistische Brandmarken von Rassismus wird auf Dauer zu einer leeren Performance

Tatsächlich wissen wir allen Umfragen zum Trotz immer noch vergleichsweise wenig über die konkreten Stellen, an denen Diskriminierung zu einer Praxis wird: Die Forschungsgruppe "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" um Andreas Zick und Beate Küppers fordert daher ein europäisches Monitoring-Programm. Genauere Untersuchungen für Deutschland wären aber auch nötig: So gibt es kaum belastbare Zahlen zur Diskriminierung im öffentlichen Dienst beispielsweise, auf dem Wohnungsmarkt, durch Polizei oder in Gewahrsam. Man weiß, dass Bewerber mit fremdländisch klingenden Namen in der Regel etwa fünfmal so viele Bewerbungen schreiben müssen, um zu einem Vorstellungsgespräch geladen zu werden, wie deutschstämmige Bewerber. Auch dafür gibt es praktikable Lösungen wie anonyme Bewerbungen, die in Ländern wie Großbritannien oder den USA längst die Regel sind.

Das politische und publizistische Brandmarken von Rassismus wird auf Dauer zu einer leeren Performance, wenn darauf nicht antirassistische Praxis folgt. Wie gefährlich unterschwelliger Rassismus sein kann, zeigt übrigens auch ein Blick in die USA. Rassismuskritik ist dort in allen gesellschaftlichen Bereichen gut etabliert, Bewegungen wie Black Lives Matter und Organisationen der lateinamerikanischen Immigranten sind medial präsent. Trotzdem gelingt es dem designierten Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, ein Klima der sprachlichen Gewalt und Angst zu verbreiten, das immer häufiger in physische Gewalt umschlägt. So missbraucht Trump den Massenmord in einem LGBT-Klub in Orlando für die Hetze gegen Muslime innerhalb und außerhalb der Vereinigten Staaten.

Das ist die Konsequenz eines öffentlichen Diskurses, in dem sich zu lange zu viele Menschen damit zufrieden gegeben haben, Rassismus und Menschenverachtung verbal zu verurteilen, während struktureller Rassismus unangetastet blieb. Das kann auch Deutschland verändern. Der AfD-Vize und Nachbarschaftspfleger Alexander Gauland ist sicherlich kein Donald Trump - aber wer hätte noch vor einem Jahr gedacht, dass aus dem Clown Donald Trump mit seiner dummen Frisur ein Präsidentschaftbewerber wird?

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