Süddeutsche Zeitung

"Freies Land" im Kino:Verblühte Landschaften

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In seinem Thriller "Freies Land" erzählt der Regisseur Christian Alvart von einer Mordserie im grauen Postwende-Deutschland.

Von Josef Grübl

Als Helmut Kohl im Wahljahr 1990 von den "blühenden Landschaften" sprach, in die sich die neuen Bundesländer im Osten bald verwandeln würden, war das die Theorie. Eine Erinnerung an die Praxis sieht man in diesem Film.

"Willkommen in den blühenden Landschaften", sagt der ostdeutsche Kommissar Markus Bach (Felix Kramer) in Christian Alvarts Kinothriller "Freies Land". Es ist das Jahr 1992, es ist der tiefste Osten - und in dem verschlafenen Nest in Mecklenburg-Vorpommern, durch das Bach stiefelt, sieht es nicht so aus, als würde dort jemals etwas blühen. Das sieht auch sein neuer, aus Hamburg versetzter Kollege Patrick Stein (Trystan Pütter). Er antwortet nicht minder sarkastisch: "Haben Sie denn keinen Enthusiasmus für den Aufbau Ost?" Die beiden sind in einem Hotel untergebracht, das Fortschritt heißt, doch fortschrittlich ist hier höchstens der Verfall der Zimmer. Allzu viel Zeit werden sie dort ohnehin nicht verbringen, denn sie sollen ein verschwundenes Teenager-Schwesternpaar suchen, das so richtig aber niemand zu vermissen scheint. Zu viele junge Frauen seien nach der Wende abgehauen, sagt man ihnen, keine von ihnen habe sich je mehr gemeldet.

Doch die Schwestern sind nicht fort, sie stiegen zu einem Mann ins Auto, der sie vergewaltigte, folterte und umbrachte. Als ihre Leichen ganz in der Nähe des Dorfes gefunden werden, ahnen die Polizisten, dass sie es mit einer Mordserie zu tun haben, die eng mit dem Land zusammenhängt und den Menschen, die es hervorgebracht hat. Der Regisseur zeigt die Ermittlungen, versucht sich aber auch an politischer Zeitdiagnose, er erzählt vom Ausverkauf einer Republik, von Wendehälsen und westdeutschen Profiteuren.

In heimischen Krimis, die ja überwiegend fürs Fernsehen produziert werden und sich meist mit Mördersuche begnügen, findet man solche Erzählansätze selten, selbst ausgedacht hat sich Alvart diese Story aber auch nicht: "Freies Land" ist das Remake des grandiosen spanischen Thrillers "La isla mínima/Mörderland" aus dem Jahr 2014, in dem ein Polizistenduo in einer entlegenen Gegend Andalusiens den Mörder zweier Schwestern jagt. Auch Regisseur Alberto Rodríguez erzählte von der politischen Verfassung seines Landes. In seinem Fall waren das die frühen Achtzigerjahre, als Spanien sich nach Jahrzehnten der Franco-Diktatur wieder öffnete, die Menschen aber weiterhin verschlossen blieben und keinem über den Weg trauten. Die Transformation ins Deutschland der Nachwendezeit funktioniert erstaunlich gut, unter anderem auch, weil die Ausstatter ganze Arbeit geleistet haben: Hier sieht nicht nur das Hotel fortschrittsfeindlich aus, sondern ein ganzer Landstrich. Christian Alvart will deutsche Geschichten mit den Mitteln internationaler Genre-Standards erzählen, auch sein 2018 am Berliner Gendarmenmarkt entstandener Bombenlegerfilm "Steig. Nicht. Aus!" war das Remake eines spanischen Thrillers. "Freies Land" hält sich eng an die Vorlage, ist aber ausladender erzählt, der Film dauert fast eine halbe Stunde länger als das spanische Vorbild. Er nimmt sich Zeit und gibt seinen Charakteren Raum, gerät in Sachen Logik und Spannung zwischendrin aber etwas ins Schlingern.

Freies Land , D 2019 - Regie, Kamera: Christian Alvart. Buch: Siegfried Kamml, Christian Alvart. Schnitt: Marc Hofmeister. Mit: Trystan Pütter, Felix Kramer, Nora von Waldstätten . Telepool, 128 Min.

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Quelle:
SZ vom 09.01.2020
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