Literatur:Auslachen lassen

Literatur: Ein bürgerlicher Bohemien mit Repräsentanzanspruch für die intellektuelle Elite seines Landes und gleichzeitigem Anschluss an den internationalen Rauschgiftmarkt: der Schriftsteller Frédéric Beigbeder.

Ein bürgerlicher Bohemien mit Repräsentanzanspruch für die intellektuelle Elite seines Landes und gleichzeitigem Anschluss an den internationalen Rauschgiftmarkt: der Schriftsteller Frédéric Beigbeder.

(Foto: Alain Jocard/AFP)

Ein wirklich schlechtes, dabei herrliches Buch: Frédéric Beigbeders neuer Roman "Der Mann, der vor Lachen weinte".

Von Hilmar Klute

Die Romane von Frédéric Beigbeder werden in Deutschland häufig mit zitronensaurem Grinsen betrachtet. Vielleicht, weil dieser Schriftsteller auch in seinen Büchern der ist, als den ihn seit Langem auch das deutsche Publikum wahrnimmt: ein bürgerlicher Bohemien mit Repräsentanzanspruch für die intellektuelle Elite seines Landes und gleichzeitigem Anschluss an den internationalen Rauschgiftmarkt. Die Romane von Beigbeder handeln, so möchte er es, und so sehen es seine Kritiker, von Beigbeder; seinem täglichen Champagnerbad, seinen erotischen Raubzügen im elften Arrondissement und dem Spiel mit politischen und moralischen Verbindlichkeiten - jeder Satz ein wegspritzender Korken, jeder Fernsehauftritt die vorletzte Lockerung eines in den Routinen der Öffentlichkeit groß und reich gewordenen Zynikers.

Weil Beigbeder all dies ist und gleichzeitig von all dem angewidert zu sein scheint, sind seine Romane nicht das, was gemeinhin auf Literaturfestivals umherwimmelt: die vom Hügel moralischer Unfehlbarkeit aufgenommene kritische Bestandsaufnahme des Jetzt und Hier, verfasst von Autorinnen und Autoren, die der Welt ins Gewissen raunen, was angeblich "sagbar" ist, die aber selbst alles Sagbare in einer wattierten, schier unlesbaren Schonungssprache sagen. Beigbeders neuer Roman ist, da dürfen alle, die diesen Mann so grässlich finden, gleich ihre Herzchen anklicken: ein wirklich schlechter Roman.

Das Ding hat keine gescheite Handlung, es ist ein Papphaus ohne Tragebalken, und seine Erzähltechnik ist mit keinem Fachbegriff darstellbar. Und doch ist es zugleich ein herrliches Buch. Beigbeder hat mit "Der Mann, der vor Lachen weinte" eine, nein, bestimmt keine Satire, sondern eine Anklageschrift gegen unsere mediale Öffentlichkeit vorgelegt; ein sprachmächtiges - ja, das geht, auch wenn es schlecht erzählt ist - Panorama und zugleich Karikatur einer hysterischen Gegenwart, nur eben in lustig. Jeder wird lächerlich gemacht, spaßeshalber zum Kinderschänder erklärt oder, sofern er Politiker ist, zum korrupten oder geldgeilen Sack.

Taugen Villiers de L'Isle-Adam und Théophile Gaultier noch als Gegenmittel zum Instagram- und Twitter-Terror?

Beigbeders Stimme im Roman ist wieder Octave Parango, den seine Leser aus dem Roman "39,90" kennen. Octave ist inzwischen Mitte fünfzig, hat sein Leben in der Werbe- und Modebranche verbracht und sich dabei mit Kokain und Sex mächtig bei Laune gehalten. Jetzt spricht er eine wöchentliche Humor-Kolumne beim Sender France Public, der in der französischen Wirklichkeit France Inter heißt und ein öffentlich rechtlicher Sender ist. Clowns haben dort in der französischen Wirklichkeit inzwischen die Deutungshoheit über Politik, Kultur und Moral gewonnen - es gibt sie eben auch im aufgeklärten und kulturell gerade im Vergleich zu Deutschland deutlich höher stehenden Frankreich: die Spaßvögel des Öffentlich-Rechtlichen, die herausgefunden haben, dass ihr Witz gegen jeden Widerspruch imprägniert ist.

Sie haben "die Herrschaft des LOL" für sich nutzbar gemacht, die, schreibt Beigebder, "über jeden Rufmord erhaben ist". Gleichgültig, ob ein Schauspieler spaßeshalber des Missbrauches bezichtigt wird oder Macron angeblich Anzüge für 10 000 Euro trägt, was er nicht tut. Stimmen muss nichts, Hauptsache, es ist witzig. Die Mitleidslosigkeit ist die Visitenkarte jener Spaßmacher, die erst dann eine Pause einlegen, wenn sie dem, der einen Fehler gemacht hat, den Rest gegeben haben. Die sprachliche Raserei, mit der Beigbeder seinen Mann durch diese Epoche der medialen Entfesselung begleitet, ist der einzige, aber hocheffiziente Motor des Textes. Beigbeders Poetik entfaltet sich dabei unterm Rechnungsbalken der französischen Kulturgeschichte. Die Décadence des 19. Jahrhunderts mit ihrem antisozialen Habitus war die Reaktion auf die Technik des Industriezeitalters. Aber taugen Villiers de L'Isle-Adam und Théophile Gaultier noch als Gegenmittel zum Instagram- und Twitter-Terror, wenn schon ein resilienter Dichter wie Michel Houellebecq eher in Schutz vor der Moralguerilla genommen werden muss?

Was kann das Subjekt eines Romans noch bieten außer einer ranzig gewordenen Vergangenheit und einer Gegenwart, in der man die Restwürde sowohl gegen die eigene, eher abstoßende, Altersgier und die schrittweise Demütigung durch die Jüngeren verteidigen muss? Eigentlich waren für diesen Octave bereits die Saturnalien der achtziger und neunziger Jahre, rückwärts betrachtet, frühe Einübungen in jene Erniedrigung, die den Mittfünfziger nun durch die Nächte der frühen zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts beschattet: "Ich bin ein weißer, heterosexueller Mann, ja, ich bin ein Haufen Scheiße, der sich für Gott hält, ich möchte alle Frauen flachlegen, obwohl das Patriarchat gerade abtritt." Mit den eingeübten Techniken der Anbahnung kommt Octave kaum noch weiter, denn "die #Metoo-Bewegung hat die Spanne zwischen Begegnung und Penetration erheblich verlängert".

Beigbeders Buch ist der literarische Begleittext einer kulturellen und nationalen Häutung

Trotz der Feier des Exzesses mit der Aufgeil-Droge Ketamin und der verbissenen Laudatio auf die hirnlose Vögelei als letzte Selbstwahrnehmungsstimulanz ist Beigbeders Roman das fast rührende Bekenntnis eines kulturkonservativen Schriftstellers. Es ist ihm nicht egal, dass die Sprache zu einer Art SMS-Stammelcode verkommt. Die Herrschaft des Emojis, eine Nebendiktatur des Humors, ist die Verabschiedung jeder Anmut und intellektuellen Inanspruchnahme der Wirklichkeit. Ein Kapitel ist fast komplett in Emojis verfasst. Auch der berühmte erste Satz aus Prousts "Recherche". Man ahnt schon, es kommt nichts Gutes dabei heraus: nur eine Uhr und ein Bett. Aber es gibt selbst für die längst leergelaufene, mit Zynismus und teils Gebühren einbalsamierte Medien- und Kulturbranche noch einen Angstgegner. Das sind die Gelbwesten, deren hier stummer, dort brachialer Protest den Atem von 1789 ins Land treibt.

Sie besetzen nicht nur die Denkmäler des repräsentativen Frankreichs. Vor dem burlesk-vulgären Caca's Club, wo sich Octave und seine Freunde früher die Hemden bei Schaumparties aufweichten, stehen heute die Wasserwerfer der Polizei auf Demonstranten gerichtet, die eine Erhöhung des Mindestlohns fordern. Sagen sie. Aber eigentlich weiß keiner in der Pariser Bobo-Blase wirklich genau, was die eigentlich wollen. Octave, der diesmal noch mehr als in früheren Büchern seinem Schöpfer Beigbeder gleicht, vermutet immerhin: Sie wollen Rache nehmen an mindestens zwei Jahrhunderten staatlicher Arroganz und feudaler Elitenpolitik. Frédéric Beigbeder ist einer der scharfsinnigsten Intellektuellen Frankreichs, eines Landes also, das dabei ist, mit sich und seinen Eliten abzurechnen. Die sexuellen Übergriffe von Gabriel Matzneff und Olivier Duhamel sind in Romanen beschrieben und in literarischen Talkshows diskutiert worden; ihre Taten werden nicht mehr, wie früher, als Gentlemen's agreement diskret verschwiegen oder als zeitübliche Libertinage verherrlicht. Beigbeders Buch ist auch ein Produkt dieser radikalen Abrechnung. Er ist der literarische Begleittext einer kulturellen und nationalen Häutung.

Beigbeder-Der Mann, der vor Lachen weinte

Frédéric Beigbeder: "Der Mann, der vor Lachen weinte". Aus dem Französischen von Claudia Marquardt. Piper Verlag, München 2021. 320 Seiten, 22 Euro.

Der Roman beginnt mit einer selbstverschuldeten, womöglich kalkulierten Blamage: Octave kommt unvorbereitet ins Studio, stammelt irres Zeug und wird gefeuert. Er endet mit einer Utopie, nämlich mit dem üblichen Rettungsprogramm der Reichen und Überdrüssigen von Paris: Octave kehrt in die Stille der Provinz zurück. Dorthin, wo - und wer es glaubt, wird wirklich selig - selbst abgefuckte alte Männer ihre Smiley-Maske abnehmen dürfen.

Anm. d. Red.: In einer früheren Version hieß es fälschlich, in Büchern und Talkshows seien sexuelle Übergriffe unter anderen von Bernard Kouchner beschrieben worden. Nicht Bernard Kouchner, sondern dem Politiker Olivier Duhamel, Stiefvater des Sohnes von Kouchner, wird von Kouchners Tochter Camille in dem Roman La familia grande vorgeworfen, ihren damals 13 Jahre alten Bruder Antoine sexuell missbraucht zu haben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: