Süddeutsche Zeitung

Popkolumne:Willkommen zurück

Es soll demnächst noch ein bislang unbekannter "Queen"-Song mit Freddie Mercury erscheinen. Vorher schon zu haben: Neues von Andrew Bird und Rufus Wainwright.

Von Jakob Biazza

Neue Veröffentlichungen von Toten: schwieriges Feld. Zumindest bei nie fertiggestelltem Material. Man höre, stellvertretend, nur zum Beispiel "Michael", das angeblich irgendwas mit Michael Jackson zu tun haben soll. Oder viel von dem, was ab 1971 von Jimi Hendrix erschienen ist. Nicht unmöglich allerdings auch, das angemessen und würdevoll hinzubekommen. Interessanterweise ist es zum Beispiel bei Prince, diesem Universalgenie und Arbeitsderwisch, der Songs und Alben produzierte wie Talkshows rhetorische Phrasen, erstaunlich oft gutgegangen. Zuletzt etwa mit "Welcome 2 America". Die Qualitätskontrolle durch Archivproduzent Michael Howe, der an einigen Editionen noch gemeinsam mit dem Künstler gearbeitet hatte, funktioniert da bislang. Ähnlicher Effekt seinerzeit auch bei Mac Miller. Co-Produzent Jon Brion schob den damals emotional bereits sehr tiefschürfenden Slacker-Rap des an einer Überdosis Verstorbenen mit ein paar fantastischen Musikern über die Ziellinie. Wahnsinnig gutes Album. Bei Seeed entdeckten sie nach dem Tod von Sänger Demba Nabé die Rohversion des Songs "What A Day" auf einer Festplatte und produzieren ihn fertig. Orchesterschwer. Viele Geigen. Ein dumpf weinendes Klavier. Auch famos. Das wären so ein paar aktuellere Beispiele.

Man kam jetzt drauf, weil Gitarrist Brian May und Schlagzeuger Roger Taylor, also der noch aktive Teil der verbliebenen Ur-Besetzung von Queen, am Montag in einem BBC-Interview angekündigt haben, einen bislang unbekannten Song aus ihrer Zeit mit Freddie Mercury zu veröffentlichen. "Face It Alone" soll er heißen und im September erscheinen. Natürlich kann da viel schiefgehen. Und auch wieder nicht. Man sprach darüber Anfang des Jahres mit May. Er sei eine Zeit lang "ein sehr eifersüchtiger Beschützer" der letzten Arbeiten des Sängers gewesen, sagte er da. "Ich hatte sehr klare Visionen davon, wie sie klingen mussten, deshalb wollte ich nicht, dass irgendwer anders sie anfasst. Ganz besonders bei 'Mother Love', dem letzten Song, auf dem Freddie je sang."

Dann erzählte May, wie er den Song Stunden, Tage und Wochen belauerte, um ihn herumschlich, das Solo, das er spielen wollte, längst im Kopf, aber emotional noch nicht so weit, dass es von dort auf Band konnte. Eine wahnsinnige Liebe war damals zu spüren. Für Mercury. Für dessen Kunst. Und das Erbe. Sie hätten lange Zeit keine Hoffnung gehabt, das unvollständige Stück noch einmal retten zu können, sagte May der BBC. Schließlich sei es aber doch gelungen. Freddies Part sei "bewegend und schön", sagte er auch noch. Educated guess: Man wird sich darauf freuen können.

Nähern wir uns also wieder dem Leben - auf halber Strecke: Der wunderbare Chansonnier und Weltbeschmeichler Rufus Wainwright ehrt die 1969 verstorbene Schauspielerin und Sängerin Judy Garland. "Rufus Does Judy At Capitol Studios" (BMG Rights Management/Warner) ist in den genannten Studios aufgenommen, der einstigen Heimat von allen, die bei Capitol Records und auch sonst wichtig waren und sind (also allen): neben Garland etwa Frank Sinatra, Nat King Cole, Dean Martin, Paul McCartney und von dort weiter bis ins Heute. Es klingt also absolut fantastisch - wohnzimmerwarm, enorm unaufgeregte, samtpfotige Eleganz, ganz feiner Schmelz. Es ist allerdings auch extrem auf Wainwrights ohne jeden Zweifel grandios dramatische Stimme hinproduziert. Alles andere gerät etwas zur Staffage. Anders gesagt: Aufregende Instrumental-Arrangements aus den Genres Jazz oder Big-Band findet man woanders womöglich eher. In der Jazzkolumne, zum Beispiel.

Hier stattdessen jetzt auch noch Reggae. Geigen-Pizzicato-Reggae, um genau zu sein. Seltsam. Also, nicht falsch verstehen: "Stop n'Shop", der Song mit den zirpend gezupften Off-Beats, ist hübsch, verspielt, groovt auch manierlich. Aber ein bisschen verschroben ist er auch. Und folgt damit einem Muster, das man nicht betrauern muss - aber darf: Andrew Bird, dieser sehr fähige Jazz- und Folk-Geiger (und -Pfeifer! Himmel, wie der pfeift!), kann ja eigentlich Hits schreiben oder zumindest Indie-Folk-Hits. Getragene, schwelgende, trotzdem ganz locker hingepatschte Kleinst-Hymnen. Man höre, zum Beispiel, "Sisyphus" vom 2019 erschienenen Album "My Finest Work Yet". Und dann am besten direkt weiter das restliche, meisterlich schöne Album. Seither wurde Bird allerdings wieder eine Spur experimenteller, spontaner. In seinen Ideen unmittelbarer. Fein natürlich. Er duckt sich aber auch öfter weg, bevor die Melodien zur vollen, süßlichen Schönheit aufgerichtet sind. Schlägt Haken, tänzelt, torkelt und pirouettiert, um auch nur annähernd Erwartbares zu vermeiden. Die Songs auf "Inside Problems" (Loma Vista Recordings), seinem neuen Album, purzeln ihm dabei manchmal ein klein wenig auseinander. Auf höchstem Niveau freilich. Außerdem geht es um verschiedenste Ausprägungen innerer Dämonen. Wann, wenn nicht dabei, darf es mal ein bisschen zerfasern? Eben.

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