Frauenensemble Zohra:"Es ist mir egal, ob sie mich umbringen, ich höre mit der Musik niemals auf"

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Frauenorchester

Das Frauenensemble "Zohra" vom Afghanischen National-Institut für Musik beim Auftritt in Berlin. Links Zarif Adiba, eine der beiden Dirigentinnen.

(Foto: Regina Schmeken)

Ein Frauenorchester aus Afghanistan ist zu Besuch in Deutschland. Die jungen Musikerinnen machen vielen Hoffnung, in ihrer Heimat aber bekommen sie Todesdrohungen.

Von Meredith Haaf

Am Ende, da hat Negin Khpalwak ihr Ensemble in einen Schlussrausch aus Trompeten und Tablas, Geigen und Rubabs hineindirigiert. Alles steht und brüllt vor Begeisterung in der Berliner Gedächtniskirche, und plötzlich löst sich ein Pulk aus Selfiejägern und sonstigen Handyfotografen aus dem Publikum und stürmt auf die Bühne zu. Beinahe hätte man vergessen, worum es hier geht: dass jedes einzelne der Mädchen, die so zart und reizend wirken in ihren bunten Gewändern, manches von ihnen kaum größer als ihr Sitar, vor allem ungewöhnlich mutig und risikobereit ist. Dann kommen die Personenschützer, und man weiß es wieder.

Bullig und bärtig bilden sie eine dichte Mauer aus Männern, vor ihnen ein begeistertes Publikum, hinter ihnen die Mädchen, stolze Gesichter im Applaus, wenig Unruhe darüber, dass hier plötzlich eine Art Sicherheitssituation entstanden ist. Das ganze Leben dieser Mädchen ist eine einzige Sicherheitssituation. Die Instrumente in ihren Händen sollen das ändern und verstärken zugleich die Gefahr.

Zohra ist zu einem Vorzeigeprojekt geworden

Afghanistan hat kein Nationalorchester, keine Philharmonie und keine Staatsoper. Aber in einer Welt, in der es auch in friedlichen Regionen nicht gerade vor reinen Frauenensembles wimmelt, hat Afghanistan seit zwei Jahren Zohra. 35 Schülerinnen des Afghanischen National-Instituts für Musik (Anim) spielen Instrumente aus der klassischen westlichen und der afghanischen Tradition. Zohra ist zu einem Vorzeigeprojekt geworden, letzte Woche war die Gruppe zu Gast beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Zu ihrem Konzert in der Gedächtniskirche wollen so viele Berliner, dass es am Eingang auf dem Breitscheidplatz zu tumultartigen Szenen kommt, Kinder werden in die Luft gehoben, die Menschen stehen so dicht, dass sich hier, direkt neben dem Tatort des Terroranschlags vom Dezember, eine ziemliche Nervosität ausbreitet und das Konzert mit über einer halben Stunde Verspätung erst beginnt.

Auf ihrer Tournee spielen Zohra ein Programm aus afghanischen Volksmusik-Arrangements, neuen Kompositionen und einer Variation auf die Ode an die Freude. Angeleitet werden sie von einem jungen amerikanischen Musiklehrer, der seit Jahren Geigenunterricht in Kabul gibt. Bei den Proben erinnert er seine Schülerinnen an die Abläufe und ermahnt sie, nicht auf der Bühne zu quatschen. Bei Auftritten sind es aber vor allem die 19-jährige Negin und die 18-jährige Zarifa Adiba, die ihre Kolleginnen durch das Repertoire führen und auch zu inoffiziellen Sprecherinnen von Zohra geworden sind.

Wenn Zarifa dirigiert, spielt Negin am Schlagwerk, einen adlerartigen Blick auf das gesamte Orchester gerichtet. Dirigiert Negin, sitzt Zarifa bei den Streichern. Es ist schon in Europa kein ganz üblicher Anblick, sehr junge Frauen mit Taktstöcken zu sehen, Frauen, die zu offiziellen Anlässen Kopftuch tragen zumal. In der Gedächtniskirche kann man im Publikum afghanisch sprechende Männer und mit bunten Kopftüchern bekleidete Frauen beobachten, die sich die Freudentränen aus den Augen wischen. Und das hat bestimmt nicht nur mit den elektrisierenden, warmen Harmonien der Dotars und der Celli zu tun, sondern auch mit einem Versprechen, das in den beiden jungen Frauen da oben am Pult eingelöst zu werden scheint. In Afghanistan selbst sind es allerdings nicht wenige, die sich von Zohra und ihren Dirigentinnen aufs Blut gereizt fühlen.

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