Theater:Im Zeichen des Drachens

Theater: Weiblich, bunt, divers: das Frauenensemble der "Bayerischen Suffragetten" an den Münchner Kammerspielen.

Weiblich, bunt, divers: das Frauenensemble der "Bayerischen Suffragetten" an den Münchner Kammerspielen.

(Foto: Julian Baumann)

Geschichtsunterricht in Sachen Emanzipation: der Theaterabend "Bayerische Suffragetten" mit einem fabelhaften Frauenensemble in den Münchner Kammerspielen.

Von Egbert Tholl

Plädoyer von Sophia Goudstikker. Sie verteidigt 1898 eine Kellnerin, die ihr Kind abgetrieben hat, weil sie nicht wusste, wie sie es ernähren soll. Fünf Jahre Zuchthaus drohen: "Glauben Sie, dass wenn Sie als Mann und all Ihre Kollegen um sich rum Kinder austragen könnten, dass die Gesetzeslage genauso wäre, wie sie zur Zeit ist? Der Akt der Geburt würde wahrscheinlich zu einem Heldenepos hochstilisiert, Hängebrüste zum Zeichen von Archaik und Macht, der Dammriss hätte den Sound von Siegesgebrüll, und Schwangerschaftsstreifen wären mehr wert als die gesammelten Narben aller Kriegsverletzungen der letzten 2000 Jahre."

Im deutschen Kaiserreich sollte die Frau häkeln, sticken und vor allem Kinder kriegen, am besten Jungen, die man dann in Kriegen totschießen lassen konnte. Eine Frau, die mit 30 noch nicht verheiratet und Mutter war, galt als alte Jungfer. Gegenüber dem Gatten war die Frau praktisch rechtlos, und den Mund halten sollte sie sowieso. All dies wollten gegen Ende des 19. Jahrhunderts einige kluge, selbstbewusste Frauen nicht mehr hinnehmen. Auch in München nicht. Der Theaterabend "Bayerische Suffragetten" in den Münchner Kammerspielen handelt von ihnen. Inszeniert hat ihn Jessica Glause mit Hilfe eines vor Spiellust berstenden Frauenensembles.

Die bayerischen Suffragetten gab es nie. Der Titel ist entlehnt von der Frauenbewegung in Großbritannien und den USA, die ungefähr zur gleichen Zeit recht handfest für die Rechte der Frauen eintrat, während die Männer vor Angst schlotterten. Frauen, die wählen, arbeiten, studieren wollen! Da sind die männlichen Privilegien schnell futsch, vor allem, wenn das Argument fürs Privileg nur das Privileg selbst ist.

Theater: "Bayerische Suffragetten" vor dem Videoporträt der rauchenden Schwabinger Salondame Fanny zu Reventlow (Svetlana Belesova).

"Bayerische Suffragetten" vor dem Videoporträt der rauchenden Schwabinger Salondame Fanny zu Reventlow (Svetlana Belesova).

(Foto: Julian Baumann)

Von diesen Zuständen hatten dann auch in München einige Frauen die Nase voll. Jessica Glause machte sich zusammen mit neun Schauspielerinnen und einem Schauspieler, Thomas Hauser, auf die Suche nach ihnen, baute einen Text aus deren Schriften, Reden und Briefen, reicherte ihn mit persönlichen Texten der Darstellerinnen an und packte die retro-agitatorische Musik von Eva Jantschitsch dazu. Herausgekommen sind zwei Stunden sehr lebendiger Geschichtsunterricht voller heute fassungslos machender Details. Aber: Das Heute schimmert allenfalls in den teils chorischen, vor allem von Jelena Kuljic wie immer hinreißend gesungenen Songs durch. Die Aufarbeitung der Historie könnte so ungewollt einen seltsam affirmativen Effekt haben, in dem Sinn, dass im Vergleich zur Situation vor 120, 130 Jahren die Position der Frau heute doch ganz wunderbar sei.

Die Keimzelle damals war das Fotoatelier Elvira, dort, wo heute das amerikanische Generalkonsulat steht. Fotografie war als Erwerbstätigkeit zu jung, um schon eine männliche Domäne zu sein, das nutzten Anita Augspurg und Sophia Goudstikker, verkörpert von der überbordenden Annette Paulmann und der wütenden Katharina Bach, für einen sensationellen geschäftlichen Erfolg, selbst Mitglieder des Königshofs ließen sich dort ablichten. Die beiden Damen waren auch privat ein Paar, ritten im Herrensitz durch den Englischen Garten, waren Avantgarde, doch politisch agieren durften sie nicht. Schließlich brachten sie an der Fassade des Ateliers ein Jugendstil-Relief an, einen verschlungenen Drachen, den die Nazis abschlagen ließen, sobald sie an der Macht waren.

Nun ersteht der Drache neu, wird auf der Bühne aus Rampen und Schrägen als eine riesige Skulptur zusammengebaut, auf der und um die herum dieses fabelhafte Frauenensemble tätig ist, kunterbunt, Frauen aller Facetten, erst in Trikots mit Häkelapplikationen, später in Samt gehüllt. Die sprachliche, agitatorische Wucht ist enorm, Reden ersetzt Psychologie.

Die schillernde Fanny zu Reventlow sah die Erotik gefährdet, wenn Frauen arbeiten

In anderen Städten Deutschlands war man schon weiter, aus Weimar oder Karlsruhe kommt die Idee zur Gründung der "Gesellschaft zur Förderung der geistigen Interessen der Frau" (1894). Keineswegs homogen geht es zu, Augspurg studiert Jura in Zürich und will das große, idealistische Ganze, Goudstikker ganz pragmatisch auch Arbeiterinnen helfen. Lieben zerbrechen, neue entstehen, Gegenwind kommt auch von Frauen: Fanny zu Reventlow, schillernde Schwabinger Salondame (verkörpert von der absolut großartigen Svetlana Belesova), sieht die Erotik gefährdet, wenn Frauen arbeiten.

Schließlich gibt es den ersten Bayerischen Frauentag 1899. Ludwig Thoma kommentiert, die Bewegung gehe hervor "aus dem Weltschmerze der Grete, die keinen Hans hat". Doch 1908 wird Frauen der Zugang zur Bildung erlaubt. Fürs Wahlrecht indes braucht es erst die Revolution von 1918.

Viel erreicht, und doch geht alles zugrunde. Anita Augspurg organisiert eine Friedenskonferenz in Den Haag mit, warnt vor Hitler, wird 1933 enteignet und flieht nach Zürich. Carry Brachvogel, Gründerin des Münchner Vereins, erhält wie andere auch Berufsverbot und wird 1942, 78-jährig, nach Theresienstadt deportiert. Das kann man noch lange so fortsetzen. Im Nachkriegsdeutschland braucht eine verheiratete Frau die Erlaubnis ihres Gatten, wenn sie arbeiten will. Und heute schlagen immer wieder Männer ihre Frauen tot, weil sie sie als ihren Besitz betrachten. Aber das kommt im Stück nicht vor. Das endet am Grab der Schriftstellerin Helene Böhlau. "Schaff dir deine Welt; wie du sie schaffst, so ist sie."

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PR, ausnahmsweise kostenlos zur Verfügung gestellt außerhalb der akt. Spielzeit - nur für den Artikel von Frau Dössel / FEU , 6/21

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