Französische Schriftstellerin:"Wenn ich nach Paris komme, lache ich sofort"

Französische Schriftstellerin: "Eine leichte Distanz zu beiden Ländern erlaubt einen frischen Blick", sagt Pascale Hugues.

"Eine leichte Distanz zu beiden Ländern erlaubt einen frischen Blick", sagt Pascale Hugues.

(Foto: imago stock&people)

Wie lebt es sich als französische Autorin in Deutschland? Pascale Hugues über das deutsch-französische Verhältnis und warum sie als Nicht-Deutsche das Wort Heimat richtig genießen kann.

Interview von Anna Reuß, Frankfurt

Pascale Hugues kam 1989 als Korrespondentin der Zeitung Libération nach Deutschland und man kann sagen, sie lebt in beiden Welten. In "Deutschland à la française" schreibt sie über ihr "Adoptivland" Deutschland. Das Gespräch fand auf der Frankfurter Buchmesse statt.

SZ: Frau Hugues, wo ist Ihre Heimat, in Frankreich oder Deutschland?

Pascale Hugues: Oh, das ist eine sehr schwierige Frage. Ich lebe von Geburt an zwischen beiden Ländern, ich bin im Elsass geboren. Das ist spannend, aber manchmal auch schmerzlich, weil man nie richtig weiß, woher man kommt. Auf der anderen Seite ist es eine große Bereicherung, zwischen den Kulturen zu schaukeln.

Eines der Wörter, für die es im Französischen keine richtige Übersetzung gibt, ist Heimat. Ein Begriff, der in Deutschland auch immer wieder von der Politik instrumentalisiert wird. Wie würden Sie dem Franzosen Heimat beschreiben?

Ich würde sagen, der Ort, woher man kommt. Es kann auch eine Sprache oder eine Familie oder ein Freundeskreis sein. Das ist ein sehr schöner Begriff, der natürlich in Deutschland verpönt ist. Aber da ich nicht Deutsche bin, kann ich das Wort richtig genießen.

Als Thomas Mann in die USA emigrierte, sagte er: "Wo ich bin, ist Deutschland." Können Sie auch über sich sagen: "Wo ich bin, ist Frankreich?"

In meiner Küche ist auf jeden Fall Frankreich. In der Sprache auch, ich schreibe auf Französisch und spreche mit meiner Familie Französisch. Auch der Humor ist ein ganz anderer in unseren beiden Ländern.

Humor kann man also nicht lernen?

Man lernt ihn mit den Jahren kennen, aber das ist etwas, das ganz tief in einem drin ist. Wenn ich nach Paris komme, lache ich sofort. Das ist mein Humor. Da bleibt man seinem Ursprungsland sehr verbunden.

Woran merken Sie, dass Sie ein wenig deutsch geworden sind?

An vielen Dingen. Wenn ich nach Frankreich komme, wo ich so lange schon nicht mehr lebe, ist vieles anders und ein wenig fremd. Man gehört nicht mehr dazu. Diese Distanz ist aber gut, wenn man wie ich beobachtet und schreibt. Sie erlaubt einen frischen Blick.

In Frankreich gibt es eine Quote für französische Lieder im Radio. Hierzulande unvorstellbar. Auf welche Weise gehen unsere Nationen unterschiedlich mit Patriotismus um?

Das hat nichts mit Patriotismus, sondern mit Kultur zu tun. Ich bin immer verblüfft, dass die deutschen Liedermacher immer auf Englisch singen. In Frankreich gibt es eine junge und dynamische Chanson-Kultur. Das finde ich wunderbar! Vielleicht muss man eine Sprache ein wenig schützen vor der Invasion des Englischen.

In Frankreich gibt es seit 1994 das "Loi Toubon", ein Gesetz, das der "Aufrechterhaltung der französischen Sprache zwecks Zementierung der nationalen Einheit" dient. In Deutschland verwenden wir hingegen Begriffe wie Beamer und Basecap ohne lange nachzudenken. Wie sehr nerven Sie diese Anglizismen?

In der Alltagssprache stört es mich überhaupt nicht, aber in der Musik. Vielleicht wollen die Franzosen mit diesem Verbot maskieren, dass sie so schlecht in Fremdsprachen sind. Wir haben mit Emmanuel Macron den ersten Präsidenten, der Englisch sprechen kann.

Warum sind die Eigenarten des deutsch-französischen Zusammenlebens so interessant? Der Fernsehsender Arte widmet dem Thema mit Karambolage eine wöchentliche Fernsehsendung.

Vielleicht liegt es daran, dass wir so nah beieinander sind und an unserer langen und sehr harten Geschichte. Die Franzosen schauen ständig nach Deutschland und auf den wirtschaftlichen Erfolg. Das bewundern und beneiden sie. Und es gibt eine regelrechte Merkel-Mania in Frankreich. Merkel ist alles, was unsere Politiker nicht sind: ehrlich, bescheiden, sie hat keine Affären jeglicher Natur, sie ist nicht korrupt. Auf der anderen Seite bewundern auch die Deutschen die Franzosen. Ich höre ständig Lob für Macron. Er sei gebildet, er könne reden, er habe eine Vision.

"Es gibt nach wie vor vieles, was man voneinander nicht weiß"

Was macht die deutsch-französischen Beziehungen denn aus?

Ich muss Ihnen sagen, wenn ich nur diesen Begriff höre, fange ich an zu gähnen. Das ist jedes Jahr das gleiche, wie eine Sonntagspredigt. Aber manchmal denke ich an meine Familie, besonders an meine Großmutter, die von zwei Kriegen, Ressentiments, Hass und gewaltigen Nationalismus auf beiden Seiten wirklich noch beeinflusst wurde. Und wenn ich mich dann langweile über deutsch-französische Freundschaft, dann denke ich: Allein, dass es so normal geworden ist, ist schon ein kleines Wunder.

Wie zeigt sich - wenn überhaupt - die staatlich verordnete deutsch-französische Freundschaft des Élysée-Vertrags von 1963?

Ich glaube, da ist heute viel mehr Neugier als früher. Als ich 1989 nach Deutschland kam, sagte mir meine Redaktion: "Du wirst dich langweilen. Da passiert nichts außer ein bisschen Wirtschaftswunder." Drei Monate später fiel die Mauer. Plötzlich waren die Franzosen fasziniert. Und so wurde diese Freundschaft viel lebendiger. Aber es gibt nach wie vor vieles, was man voneinander noch nicht weiß.

In Ihrem Buch beschreiben Sie die Unterschiede zwischen den Ämtern des französischen Präsidenten und des deutschen Bundeskanzlers. Warum glauben Sie, gibt sich der eine extravagant und der andere geradezu bescheiden?

Macron beschreibt sich selbst als Jupiter. Wenn eine deutsche Kanzlerin sagen würde, sie sei Athena oder Diana, würde man sie sofort einweisen. Das geht gar nicht, dass sich ein 39-Jähriger erlaubt, sich selbst so zu beschreiben. Ihre Kanzlerin wird hingegen Mutti genannt. In Frankreich nennt man den Élysée-Palast "le château", das Schloss, das Kanzleramt heißt schlicht Waschmaschine. Das ist einfach ein ganz anderes Verständnis von Macht.

Auch Unternehmenschefs agieren hierarchischer und zentraler als in deutschen Firmen. Autorität leitet sich weniger aus der Führungskompetenz als aus der Position heraus ab. Vermissen Sie in Deutschland manchmal starke Führungspersonen?

Nein. Das ist etwas, das ich in Deutschland sehr genieße. Es fängt schon damit an, dass die Schule in Frankreich viel autoritärer ist. Mit eigenen Meinungen oder eigene Ideen darf man dem Lehrer nicht dazwischenfunken. Der Chef in den Betrieben ist unantastbar, das geht hinauf bis zum Präsidenten. Und das ist gefährlich.

Ist das für Sie ein Mentalitätsunterschied?

Es ist eine lange Tradition. Ein sehr gutes Beispiel: Das Duzen ist in Deutschland viel verbreiteter als in Frankreich. Ich war auf einer Lesung und wurde von einer wesentlich jüngeren Buchhändlerin geduzt. Das ist für mich sehr schockierend. Wenn ich jemanden treffe, den ich nicht kenne, dann sieze ich ihn. Oder ich war in einem Café mit einem 70-jährigen Freund, da fragte die Kellnerin: "Was möchtet ihr, ihr Lieben?" Der habe ich geantwortet: "Einen Kaffee, du kleine Süße." Sie fand, ich sei arrogant.

In Deutschland hat man wochenlang über Brigitte Macrons Rocklänge debattiert. Unsere Kanzlerin kleidet sich stets pragmatisch. Sind wir Deutschen vielleicht einfach biederer als die Modenation Frankreich?

Frankreich ist das Land der Mode und die First Lady darf das repräsentieren. Aber ich bewundere auch Frau Merkel dafür, dass sie eine Lösung mit dem Jackett und der Hose gefunden hat, diesen Kodex zu umgehen. Das ist sehr befreiend in diesem Land, dass Kleidung und Schminke nicht so wichtig sind.

Guttenberg und seine Doktorarbeit, der Abgasskandal, die gekaufte WM 2006: Hand aufs Herz, wie viel Verständnis habt ihr Franzosen für solche Eklats? Und ist da vielleicht sogar ein wenig Häme dabei?

Verständnis haben wir, wir leben das ja seit Jahren. Ich habe das mit Guttenberg meinen Lesern in Frankreich nicht erklären können, dass da einer über so etwas stolpert. Unsere Skandale haben ja so richtig Format. Und da war schon ein wenig Schadenfreude darüber, dass man in Deutschland genauso Fehler macht.

In Frankreich gehen Frauen nach kurzer Zeit wieder arbeiten, in Deutschland bekommt man sogar noch Geld, wenn man als Mutter zuhause bleibt. Haben wir ein unterschiedliches Frauenbild?

Ich habe mich lange aufgeregt über dieses Thema. Ich glaube, dass die Französinnen selbstbewusster sind. Bei uns gibt es diese lange Tradition, dass Frauen arbeiten gehen und Kinder kriegen können. Es ist doch auch nicht gut für die Psyche eines Kindes, wenn die Mutter nur für ihr Kind lebt. Ich finde, dass Deutschland durch das Steuersystem und den Mangel an Betreuungsplätzen ein patriarchales Macholand ist.

Wo offenbart sich für Sie die deutsche Seele?

In diesen Brettchen, die Sie zum Abendbrot benutzen. In meinem Buch gibt es das Kapitel über je ein Objekt, das man in dem anderen Land nicht kennt. Ich finde, in jedem Deutschen lebt ein Handwerker. Ein Schreiner, der abends die Gurke und den Käse hobelt und das Ganze auf einem Brettchen stapelt.

Welche Hilfestellung können Sie Deutschen geben, die Franzosen besser zu verstehen und umgekehrt?

Ich würde den Franzosen sagen, sie sollen öfter nach Deutschland gehen. Sie kennen vielleicht Berlin oder München, aber nicht Frankfurt oder das Ruhrgebiet. Es gab zur Bundestagswahl Sonderausgaben der Zeitungen zu Deutschland und die haben sich schlecht verkauft, weil Deutschland die Franzosen nach wie vor nicht so interessiert. Und den Deutschen würde ich hingegen raten, Frankreich nicht so zu bewundern.

Pascale Hugues Deutschland à la française Rowohlt Verlag

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(Foto: Rowohlt)
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