Französische Literatur:Die weiße Frau, das gierige Tierchen

Französische Literatur: Dany Laferrière: Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden. Aus dem Französischen von Beate Thill,Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2017, 140 Seiten, 19,80 Euro.

Dany Laferrière: Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden. Aus dem Französischen von Beate Thill,Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2017, 140 Seiten, 19,80 Euro.

(Foto: Wunderhorn Verlag)

Dany Laferrières hinreißender Freiheitsroman "Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden" erscheint nach mehr als 30 Jahren endlich in deutscher Übersetzung.

Von Insa Wilke

Sind wir zu schnell oder zu langsam für die Weltliteratur? "Wenn wir Bücher verpassen, liegt es oft an unserem eigenen Tempo", schreibt der außer bei uns weltberühmte Schriftsteller Dany Laferrière in seinen kritischen Gedanken zu Antoine de Rivarols Rede "Über die Universalität der französischen Sprache". Verpasst hatte man bisher, Laferrières 1985 erstmals in Paris erschienenen Debüt-Roman ins Deutsche zu übersetzen. Beate Thill hat das jetzt für den Wunderhorn Verlag nachgeholt, in dem bisher zwei Romane aus Laferrières sehr umfassendem Werk veröffentlicht wurden. Um's gleich mal klarzustellen: "Die Kunst, einen Schwarzen zu lieben ohne zu ermüden" ist eines der witzigsten, lässigsten, jazzigsten Bücher der Saison und auch 2017 immer noch ein Frontalangriff auf Anhängerinnen und Anhänger bequemer Schlussstrich-Mentalitäten. Es macht einen fix und fertig.

Die Story: "nichts Besonderes". Will heißen: Zwei Schwarze, der eine angehender Schriftsteller, der andere hauptberuflicher Heiliger, hausen, wie Schwarze das so tun, in einer versifften Einzimmerwohnung im kanadischen Montréal, eingeklemmt zwischen Obenohne-Bars, lautstark vögelnden Nachbarn und den Kneipen der "untersten Unterwelt", während sich einige Elite-Studentinnen verzückt die Klinke in die weißen Händchen geben.

Bouba, der heilige Oblomow, hat sich mit Freuds Gesammelten Werken, dem Koran, einem Wörterbuch und unzähligen Jazz-Platten, mit denen er seinen Kumpanen und uns Leserinnen und Leser traktiert, dauerhaft auf der Couch eingerichtet. Untätig ist er aber nur zum Schein: "In Wahrheit reinigt er das Universum", meint sein Mitbewohner, der Schriftsteller und Erzähler des Romans. Das tut Bouba zum Beispiel, indem er durch Rezitationen aus "Totem und Tabu" nachweist, dass Freud den Jazz erfunden hat, oder indem er "Miz Suizid", eine im Nirvana verlorene weiße Seele, einmal die Woche 45 Minuten in Tee- und Selbstmordfragen berät. Bouba ist ganz sicher eine der entspanntesten Figuren der Literatur und was seinen Wert auf der Beliebtheitsskala inner- und außerhalb der Buchdeckel angeht, allenfalls noch von "Miz Literatur" einzuholen.

Miz Literatur ist jung, weiß, reich, so gebildet wie behütet und antirassistisch so engagiert wie feministisch. Laferrières Erzähler staunt, wie sie "drauf dressiert" ist, "alles zu glauben, was man ihr sagt". Sie könne sich das leisten, reflektiert er, während er ihr nachdenklich beim Abwaschen und Putzen seines und Boubas "Dreckslochs" zusieht: "Wenn ich mir hingegen die geringste Naivität erlaube, und sei es nur eine Sekunde, bin ich ein toter Schwarzer."

Sein Blick auf Miz Literatur wird möglicherweise einige Feministinnen auf den Plan rufen, aber ganz umsonst. ML spült zwar bei "einem Schwarzen" Geschirr, wie sie es für "einen Weißen" nie tun würde, sie wird zwar mit "Miz Sophisticated Lady" und deren "gierigem Tierchen" betrogen, und der Erzähler sagt schon auch: "Ich bin hier, um die Tochter hochmütiger Diplomaten zu vögeln, die uns einst mit ihrem Kricketstick eins übergezogen haben". So nutzt er die ungerechte Geschichte jetzt als Aphrodisiakum: "Die Rache der Blacks, im Bett mit dem schlechten Gewissen der Weißen, das gibt Nächte!" - Aber es klappt nicht so ganz mit der Vergeltung von Rassismus durch Sexismus.

Die weißen Studentinnen sind ähnlich unsichtbar wie die schwarzen Männer

Es ist eindeutig der liebende und nicht der rachsüchtige Blick, der auf Miz Literatur fällt, wenn Laferrières Erzähler ihre "Wirbelwindbesuche" beschreibt oder wie sie "mit der Grazie eines Albatrosses" tanzt, wenn er den Leser, der gehofft hatte, "etwas über die sexuellen Vorlieben von Miz Literatur" zu erfahren, in die Flucht schlägt und resümiert: "Miz Literatur ist wirklich ein feiner Kerl." Laferrière erzählt so zärtlich von Miz Literatur und ihrem Geliebten, wie die Jazz- und Aktivisten-Ikone Nina Simone schmelzend von der Liebe singt. Und mehr noch: Laferrières Erzähler solidarisiert sich mit diesen jungen weißen Frauen, die, "Sexkrieg der Hautfarben" hin oder her, den gläsernen Wänden als Einzige den Kampf angesagt haben. Er solidarisiert sich mit ihnen, weil sie marginalisiert sind wie die schwarzen Männer, auf andere Weise, aber eben auch unsichtbar sind wie der heilige Bouba und er.

Der Roman ist eine Hommage an die Überlebenskunst der Marginalisierten

Laferrières Roman sagt einer Wahrnehmung den Kampf an, die Individuen nicht als solche anerkennt, sondern als Angehörige einer "Spezies" betrachtet. Er rahmt seine Geschichte mit dem Zitat "Der Neger ist ein mobiles Gut", der aus dem Code Noir des französischen Sonnenkönigs stammt, der bis 1848 in Kraft war, und einem abgewandelten Zitat von Simone de Beauvoir: "Man ist nicht als Schwarzer geboren, man wird dazu gemacht." Es hätte dieser Zitate nicht bedurft, um klarzumachen, dass es sich hier nicht nur um eine Komödie, sondern auch um ein scharfes Pamphlet handelt, das sich in den Traditionen von James Baldwins Reden und Schriften bewegt, dessen Bücher - man glaubt es kaum - auf Deutsch nicht lieferbar sind.

Es hätte auch des Vorworts für die deutschen Leserinnen und Leser nicht bedurft, in dem der 1953 in Haiti geborene und vor dem Diktator 1976 nach Montréal geflohene Autor, der als zweiter Schwarzer und als zweiter Schriftsteller ohne französischen Pass in die Académie française aufgenommen wurde, nicht nur einige autobiografische Hinweise gibt, sondern auch dezent andeutet, dass er selbst ganz sicher nicht in Versuchung geraten konnte, zum Macho zu werden. Zumindest ist zu hoffen, dass im Jahr 2017 deutsche Leserinnen und Leser auch so erkennen, worum es sich bei diesem großartigen und rasant übersetzten Roman handelt: um eine hinreißend böse, unerhört komische und untergründig melancholische Hommage an die Überlebenskunst der Marginalisierten, eine Feier des Lebens und der Literatur als Kampfansage - und eine, ja, Liebeserklärung an die Frauen.

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