150. Todestag von Franz Grillparzer:Zeit der Seher und Begabten

150. Todestag von Franz Grillparzer: Kafkas Vorbild: Franz Grillparzer, 1791 in Wien geboren, starb dort auch am 21. Januar 1872.

Kafkas Vorbild: Franz Grillparzer, 1791 in Wien geboren, starb dort auch am 21. Januar 1872.

(Foto: imago stock&people/United Archives)

Er schrieb über harte und weiche Männer, warnte vor dem Kapitalismus und fluchte über den Staat, dem er diente: Warum es 150 Jahre nach seinem Tod Zeit ist, Franz Grillparzer wieder zu lesen und aufzuführen.

Von Karl-Markus Gauß

Der Name sei teuflisch schwierig, aber man werde ihn sich merken müssen, dies verlangte vor mehr als 200 Jahren Lord Byron, den die Lektüre von Franz Grillparzers Jugendstück "Sappho" begeistert hatte. "Kennen Sie Grillparzer?" fragte hundert Jahre später Rosa Luxemburg in einem Brief, den sie aus dem Gefängnis an ihren Freund Hans Diefenbach schrieb: "Diesen liebe ich schon ernstlich." Und Franz Kafka hat die Erzählung "Der arme Spielmann" von 1848 so oft gelesen, dass er sie fast auswendig konnte. In dem lebensuntüchtigen, in Liebesfragen überforderten Beamten, der seine untergeordnete Stellung verloren hat und sein Leben als dilettantischer Bettelgeiger bestreitet, hat er sich so gut getroffen gefühlt, dass er die Geschichte jenen Frauen vorzulesen pflegte, mit denen sich gerade eine seiner problematischen Liebesbeziehungen anzubahnen drohte.

Der bewunderte Abenteurer unter den Rebellen der Romantik, die weitherzige kommunistische Revolutionärin, der skrupulöse Schriftsteller, der einem neuen, dem "kafkaesken" Weltgefühl seinen Namen gab: Wie kann das angehen, drei solche Verehrer gehabt zu haben, und dennoch im Rufe zu stehen, im Leben ein verknöcherter Bürokrat gewesen und als Dichter ein verstaubter Klassiker geworden zu sein?

Um Franz Grillparzer machen die Theater seit Längerem einen auffallend großen Bogen, als wüssten selbst die originellsten unter den Zampanos des Regietheaters mit seinen ausgefeilten Dramen nichts mehr anzufangen. Der Blick auf das dramatische Werk des 1791 geborenen Autors lässt diese Tatsache geradezu rätselhaft erscheinen. Grillparzer hat eine Anzahl von Frauengestalten geschaffen, deren innere Konflikte, äußere Bedrängnisse und tragisches Scheitern gerade heute die Auseinandersetzung lohnen würde. In "Medea" geht es, wie bei Grillparzer des Öfteren, um den gewaltsamen Übergang vom Matriarchat zum Patriarchat, in welchem er die Herrschaft eines zerstörerischen Kapitalismus heraufdämmern sah. In "Des Meeres und der Liebe Wellen" hat er eine griechische Priesterin gezeichnet, die kompromisslos die ihr verbotene Liebe zu einem Mann wagt, dem sie und der ihr gleichberechtigt ist.

Der Krieg bildet nicht bloß die Kulisse, er ist das Ereignis, das ein Leben bestimmt

Grillparzers männliche Helden, die sich schreiend und mordend Mühe gaben, der heroischen Tradition zu entsprechen, haben keineswegs seine Sympathie, werden vielmehr als schlagbereite Primitivlinge und Gewaltkerle kenntlich gemacht. Medea klagt über ihren Jason: "Lockt's ihm nach Ruhm, so schlägt er einen tot/, Will er ein Weib, so holt er eines sich,/ Was auch darüber bricht, was kümmert's ihn!" Fast alle Männer, die in seinen Dramen positive Züge entfalten, sind gebrochene, an sich zweifelnde, weiche und nach dem Charakterkatalog seiner Zeit stark "weiblich" geprägte Figuren.

Grillparzer hat fast keine Gestalt auf den Bühnenboden gestellt, die ganz eins mit sich wäre. Die Differenzierung seiner theatralischen Kunstsprache weist weit über seine Zeit hinaus. Seine Figuren widersprüchlich zu nennen, hieße zu kurz greifen, eher gilt für sie, was der Kulturwissenschaftler Thomas Bauer als jene "Ambiguität" bezeichnet hat, die auszuhalten vielen Menschen gerade heute so schwerfällt: Sie fallen von einem Moment zum nächsten von Größenwahn in Kleinmut, von auftrumpfender Selbstsicherheit in bibbernde Selbstzweifel, ihre Charaktere sind mehrdeutig, ihnen selbst oft ein Ärgernis, den anderen ein Rätsel.

Eines noch kommt hinzu, das Grillparzer geradezu bestürzende Aktualität verleiht. Er ist der deutschsprachige Dramatiker des Krieges schlechthin, der Krieg bildet nicht bloß die Kulisse, den dramaturgischen Rahmen, er ist vielmehr das verheerende Ereignis, welches das Leben jedes Einzelnen bestimmt. Der Krieg ist von "König Ottokars Glück und Ende" bis zum "Bruderzwist im Hause Habsburg" stetig präsent, nicht als Spielfeld, auf dem der Held sich zu bewähren hat, sondern als blutdurchtränktes Schlachtfeld, auf dem jeder zugrunde geht, sei es, dass sein Körper zerhauen wird oder seine Seele zerbricht.

"Der Weg der neuen Bildung geht/ Von Humanität / Durch Nationalität / Zur Bestialität."

Grillparzer wurde 1791 geboren, als in Frankreich die Revolution auf ihrem Höhepunkt stand. Als die napoleonischen Heere Wien 1809 zum zweiten Mal besetzten, hielt er sie nicht für Vorboten der bürgerlichen Freiheit, sondern für gewalttätige Okkupanten; und Napoleon, von dem er zeitlebens fasziniert blieb, wurde ihm zur überlebensgroßen Figur des Unheils, die ihren Schatten über die kommende Welt warf. Grillparzer hat die Herrschaft der Habsburger von Jugend auf als sein ureigenes Lebensverhängnis begriffen: "Natur, warum ließest du mich gerade in diesem Land geboren werden", notierte er in seinem "Tagebuch", das erst postum erschien und noch heute beklemmende Lektüre bietet.

Gleichwohl hat er dem Staat der Habsburger 43 Jahre lang als pflichtbewusster Beamter gedient, ehe er im Rang eines Hofrats in Pension gehen durfte. Nach und nach traute er nur mehr den Habsburgern zu, den Anbruch einer seelenlosen Moderne zu verhindern oder wenigstens hinauszuzögern: Der Kapitalismus werde die Menschen in die Vereinzelung treiben, der entfesselte Individualismus lauter Tyrannen erschaffen, die die Einheit der Welt zerstören.

Über dieser bitteren Einsicht wurde der rebellische Künstler zum patriotischen Untertan. In seinen Tagebüchern klagte er weiterhin bitter und sarkastisch über die österreichische Misere, über den Starrsinn der Herrschenden, die um Österreich eine unüberwindliche "chinesische Mauer" errichtet hatten. Zugleich unterstützte er die kaiserliche Politik, die zunehmend auf den Immobilismus baute und den politischen Stillstand verordnete. Wurde irgendwo das starre System kritisiert, sympathisierte er anfänglich fast immer mit den Aufbegehrenden, aber bald schreckte er zurück, weil er nichts so sehr fürchtete, als dass die demokratischen Bewegungen der einzelnen Nationen und Nationalitäten den übernationalen Staat der Donaumonarchie aufsprengen würden: "Der Weg der neuen Bildung geht/ Von Humanität/ Durch Nationalität/ Zur Bestialität."

Von 1848 an schrieb Grillparzer fast nur mehr für die Schublade, seine letzten Dramen wurden allesamt erst nach seinem Tod uraufgeführt. Auch das wunderliche Stück über die böhmische Sagenkönigin "Libussa", Repräsentantin des Goldenen Zeitalters, des Matriarchats, die miterleben muss, wie ihr geliebter "Prinzgemahl" der neuen Zeit Bahn bricht, der Gewaltherrschaft, dem Privateigentum, dem schrankenlosen Individualismus. "Der Mensch ist gut, er hat nur viel zu schaffen/ Und wie er einzeln dies und das besorgt/ Entgeht ihm der Zusammenhang des Ganzen..." In solche Worte, die auch in einem Stück von Brecht stehen könnten, fasst Libussa die neue Zeit. Aber nach dieser wird wieder eine neue, eine bessere kommen, die "Zeit der Seher und Begabten", und für Grillparzer war das die Welt von vorvorgestern: "Und haben sich die Himmel dann verschlossen,/ Die Erde steigt empor an ihren Platz,/ Die Göttern wohnen wieder in der Brust,/ Und Menschenwert heißt dann ihr Oberer und Einer."

Grillparzer, der missmutige Hof- und Reichsrat, starb am 21. Januar 1872, schon zu Lebzeiten unter Orden und Auszeichnungen begraben, im Ansehen eines Staatsdichters, der in seinen Tagebüchern allerdings festgehalten hatte: "Von quälenden Gedanken wie von Hunden angefallen, weiß ich nicht, nach welcher Seite mich wenden.

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