Frankreich:Die schönste Kunst im Land

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Licht, modern, demokratisch: Das war einmal der Anspruch des Pariser Centre Georges Pompidou. Jetzt muss das Haus um Mittel und Mäzene bangen.

(Foto: imago)

Als das Pariser Centre Pompidou vor 40 Jahren seinen Betrieb aufnahm, war es ein Tempel des Volkes. Heute konkurrieren öffentliche Museen mit privaten - und verlieren.

Von Joseph Hanimann

Wäre der Ausstellungsbetrieb ein Wettkampf zwischen öffentlichen und privaten Museen, stünde es in Paris heute eins zu null für die privaten. Seit dem Herbst zieht die rekonstruierte Schtschukin-Sammlung mit Leihgaben aus Sankt Petersburg und Moskau in der privaten Fondation Louis Vuitton alle Aufmerksamkeit auf sich. Größer noch als die Bewunderung für das Sammlertalent des 1854 geborenen russischen Textilunternehmers und seine Werke von Picasso, Matisse, Gauguin ist in Paris die Verwunderung darüber, dass diese Schau nicht im Musée d'Orsay, im Louvre oder im Centre Pompidou hängt. Die Ausstellung im Vuitton-Glashaus am Bois de Boulogne - 160 Meisterwerke, für angeblich sechs Milliarden Euro versichert - wird bis Anfang März verlängert und hat die enorme Zahl von 600 000 Eintritten überschritten.

Die Kuratorin dieses Ereignisses ist Anne Baldassari, die vor drei Jahren unsanft entfernte Direktorin des Pariser Musée Picasso. Sie wird nicht aus platter Revanche gegenüber den Staatsinstitutionen gehandelt haben. Ein Unterton von Triumph klingt dennoch mit. Was Staatsmuseen aus finanziellen oder kulturdiplomatischen Gründen immer weniger gut können, leisten Private immer besser. Die großen Stiftungen, Nachfahren der einstigen Privatsammler, sind mit hoch professioneller Öffentlichkeitsarbeit selber Akteure einer neuen Öffentlichkeit geworden. Finanziell scheinen ihre Möglichkeiten unbegrenzt zu sein und politisch stehen sie abseits weltpolitischer Verspannungen. So lief die Vorbereitung der Schtschukin-Ausstellung unbehelligt weiter, als die Beziehungen Frankreichs zu Putin sich anspannten und dieser im Herbst seinen geplanten Paris-Besuch zur Einweihung einer russisch-orthodoxen Kathedrale absagte.

Zum Abschied der Ära Hollande stockt Frankreich in diesem Jahr das Kulturbudget wieder leicht auf

Frankreich, das Land der staatlichen Prestigeinstitutionen und der internationalen Spitzenreiterrolle, wird vom neuen Öffentlichkeitsanspruch potenter Stiftungen besonders herausgefordert. Während das Centre Pompidou, diese Pioniereinrichtung staatlicher Kulturambition, gerade sein Vierzigjahr-Jubiläum feiert, beginnt in Sichtweite am anderen Ende des Hallenviertels in der ehemaligen Handelsbörse der Umbau für die Pariser Niederlassung der Pinault Collection. Der Industrielle François Pinault will, nachdem sein Museumsprojekt auf dem ehemaligen Renault-Gelände der Seine-Insel Seguin gescheitert und seine Kunstsammlung nach Venedig gegangen ist, im Jahr 2019 damit nach Paris zurückkehren. Künstlerischer Hauptberater für dieses Projekt ist der einstige Centre-Pompidou-Chef und ehemalige Kulturminister Jean-Jacques Aillagon. An allen Ecken tritt dem Staat selbstbewusst die Privatkonkurrenz gegenüber, und die Brücken zwischen beiden Welten für Direktoren, Konservatoren und Ausstellungsmacher sind zahlreich. Manche Franzosen sehen angesichts der neuen Kraftprotze den Staat schon taumeln. Der Gegensatz zwischen öffentlich und privat sei überholt, antworten andere, denn der Kulturbetrieb sei kein Boxkampf. Das ist er tatsächlich nicht, es ist schlimmer. Alle ringen miteinander um ihre Machtpositionierung, um Medienpräsenz und natürlich um finanzielle Mittel.

Früher galt es als Niederlage für öffentliche Museen, schwindende Subventionen durch Selbstvermarktung wettzumachen. So ist es nicht mehr. Nach mehreren Jahren der Kostenreduzierung stockt Frankreich zwar in diesem Jahr das Kulturbudget wieder leicht auf, zum Abschied von der Ära Hollande. Von den rund 200 Millionen Euro seines Jahreshaushalts bestreitet der Louvre jedoch stolz die Hälfte aus Eigeneinnahmen und Spenden. Mit dem Louvre-Projekt in Abu Dhabi verkauft er überdies seinen Namen als Weltmarke, Hand in Hand mit der Staatsdiplomatie. Auch das Centre Pompidou bringt sein Jahresbudget von 140 Millionen Euro zu einem Drittel selbst auf. Sein Direktor Serge Lasvignes, zuvor Generalsekretär der französischen Regierung, hat die Zeichen der Zeit erkannt. In China eröffne fast täglich ein neues Privatmuseum, erklärt er, da sei die Erfahrung großer Staatsinstitutionen wie die des Centre Pompidou gefragt. Neben seiner Sachkompetenz will das Haus seine Kunstsammlung von 120 000 Werken im Weltwettbewerb einsetzen, von denen es keine zehn Prozent in den eigenen Räumen zeigen kann. Nach Malaga im vergangenen Jahr sollen Ende 2018 in Shanghai und 2019 in Brüssel zusammen mit Ortsinstitutionen kleine Centres Pompidou entstehen.

Es bleibt attraktiv, öffentliche Museen zu beschenken. Denn die werden die Werke lange bewahren

Weniger ergiebig als das Zusammenspiel mit der politischen Macht ist in Frankreich hingegen das Fundraising, eine eher britische und amerikanische Spezialität. Das New Yorker MoMA soll im vergangenen Jahr 650 Millionen Dollar zusammengebracht haben. Selten sind in den französischen Museen die luxuriösen VIP-Empfänge auf der Aussichtsterrasse für spendierfreudige Wohltäter, wie es sie in der Londoner Tate Modern gibt. Und der neue Öffentlichkeitsanspruch von Privatmäzenen hinterlässt auch hier Lücken. War der Vuitton-Luxuskonzern LVMH einst ein Hauptsponsor des Centre Pompidou, so fließt sein Geld heute in seine eigene Stiftung. Selbstmäzenatentum heißt das Phänomen, das auch andere Museen weltweit betrifft. Als der amerikanische Milliardär Eli Broad sein eigenes Museum eröffnete, verlor das MoCA in Los Angeles das Geld eines bedeutenden Spenders.

Wichtig sind Finanzhilfen vor allem für den Ausbau der Sammlungen. Mit seinem öffentlichen Ankaufsetat von 1,8 Millionen Euro pro Jahr kommt das Centre Pompidou nicht weit. Umso größer ist die Balz der Museen um Schenkungen. Unter dem Titel "Kollektsia!" zeigt das Centre gegenwärtig eine Ausstellung mit 250 Werken von fünf Dutzend Künstlern aus der Sowjetunion und Russland der letzten Jahrhunderthälfte. Rund 40 russische Sammler und Künstler haben ihm ihre Schätze vermacht, wohl aus der Überlegung heraus, dass sie in Paris heller strahlen als in einheimischen Museen. Die spektakulärste Schenkung war im vergangenen Jahr aber jene des amerikanischen Paars Marlene und Spencer Hays an das Musée d'Orsay: insgesamt sechshundert Werke von Vuillard, Bonnard, Caillebotte, Degas, für schätzungsweise 350 Millionen Euro. Ausschlaggebend ist für solche Entscheidungen nicht nur das Renommee des Museums, sondern auch die geltende Rechtsgarantie. Mit seinem Prinzip strikter Unveräußerlichkeit öffentlicher Sammlungsbestände gewährt Frankreich den Stiftern die Gewissheit, dass die Werke beisammenbleiben.

Im allgemeinen Wettlauf der Museen um Aufmerksamkeit, materielle Zuwendungen und den Ruf als Experten spielt, öffentlich oder privat, jeder gegen jeden. Moden mögen dabei entstehen und vergehen. Das expansive Filialenmodell von Guggenheim, das vor zwanzig Jahren in Bilbao aufblühte, ist mit den Rückschlägen in Helsinki, Salzburg, Rio ins Stocken geraten. In der Dauernervosität des Konkurrenzkampfs bilden sich nun neue Grundmuster heraus. Öffentliche Sammlungen werden umgehängt, um Stiftern und Spendern gefällig zu sein. Ausstellungen werden einzig nach Gesichtspunkten der Selbstprofilierung konzipiert. Museen werden zu Vielspartenveranstaltern - nicht mehr aus Pionierfreude wie damals beim Centre Pompidou mit seinem Musikstudio, seiner Volksbibliothek und seiner Designabteilung, sondern aus Opportunismus, um die Konkurrenten zu überrunden. Öffnungszeiten werden trotz Personalmangels verlängert, um beim Ringen um Besucherzahlen mithalten zu können. Viel Schönes und Interessantes mag bei all dem für das Publikum herauskommen. In Vergessenheit gerät darüber aber, fern von den Superlativen, das ruhige Gegenüber der Besucher mit den Werken in den ständigen Sammlungen, die einfach hängen, strahlen, wirken und nicht streiten.

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