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Frankfurter Städel-Museum eröffnet Anbau:Gegenwartskunst unter der Erde

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Der Keller als Beletage: In Frankfurt eröffnet das Museum Städel seine unterirdischen Gartenhallen für zeitgenössische Kunst. Mit dem außergewöhnlichen Souterrain ist die deutsche Museumslandschaft um eine architektonische Attraktion reicher. Das Museum verdoppelt mit dem Anbau nicht nur auf einen Schlag sein Raumangebot. Der Trakt ist auch ein beeindruckendes Ergebnis bürgerschaftlichen Engagements.

Georg Imdahl

Es sieht aus, als fliege da ein Ufo auf. Elegant erhebt sich eine flache Kuppel unter der Grasnarbe, 195 Bullaugen tüpfeln das gewölbte Grün in futuristischer Anmutung. Im Innern ist von dem außergewöhnlichen Entwurf noch die wunderbar sanft gerundete Deckenschale sichtbar; auf die kreisrunden Oberlichter antwortet ein heller Terrazzoboden im Mischlicht einer bis zu acht Metern hohen Halle, die sich über eine Fläche von 3000 Quadratmetern erstreckt. Der Anbau des Frankfurter Städels, bescheiden "Gartenhallen" genannt, ist mindestens so groß wie ein mittleres Museum.

Der Keller als Beletage: Mit dem außergewöhnlichen Souterrain beschert das Büro Schneider + Schumacher einer noch immer expandierenden deutschen Museumslandschaft - zuletzt wurden in Düsseldorf und Essen Neubauten eingeweiht - eine architektonische Attraktion und dem traditionsreichen Frankfurter Städel-Museum seine fünfte und umfangreichste Erweiterung.

Auf einen Schlag verdoppelt das Museum mit Kunst seit dem 13. Jahrhundert sein Raumangebot für die Sammlungsbestände mit einer Erweiterung, die sich viel homogener als der letzte Anbau von Gustav Peichl aus dem Jahr 1990 an den historischen Bau anschließt. Ein Hauch von spätmoderner Dekadenz mischt sich in die Noblesse des unterirdischen Pantheons: Gleich hinter dem Foyer führt eine emphatische Freitreppe hinunter zu den Gartenhallen und der Gegenwartskunst, die jetzt im Städel in einer Auswahl von rund 330 Werken gezeigt wird.

Der Coup ist umso bemerkenswerter, als die Frankfurter Architekten bislang zwar mit Verwaltungsgebäuden oder der roten Infobox am Potsdamer Platz, nicht aber mit Museumsbauten in Erscheinung getreten sind. Nicht minder triumphiert der Städel-Direktor Max Hollein, dem eine begnadete Finanzakquise nachgesagt wird.

Die Hälfte der Baukosten in Höhe von 52 Millionen Euro inklusive der Renovierung des Urbaus aus dem Jahr 1878 hat Hollein in den letzten fünf Jahren aus privaten Quellen erschlossen und zudem auch für Zuwachs an Malerei und Fotografie gesorgt, indem er große Teile der Sammlungen der Deutschen Bank und der DZ Bank als "Überlassungen" - faktische Schenkungen - ans Städel lotste. So präsentiert sich der neue Trakt als beeindruckendes Ergebnis bürgerschaftlichen Engagements.

Auswahl ignoriert Ansätze des 20. Jahrhunderts

Das Städel begründet die Gegenwart aus seinen historischen Leitlinien und setzt seine Geschichte im Anbau bruchlos als Gemäldegalerie fort, die hier und da durch Skulptur ergänzt wird. Es gibt weder Videokunst zu sehen, noch raumgreifende Installationen, zudem ignoriert die Auswahl auch alle Ansätze des 20. Jahrhunderts, den Werkbegriff außer Kraft zu setzen und das Tafelbild zu überwinden.

Stattdessen lässt das Städel die Gegenwart - in beträchtlichem Sicherheitsabstand zum Zeitgeist - mit Positionen der klassischen Moderne wie Otto Freundlich und Laszlo Moholoy-Nagy beginnen, integriert dazwischen bemerkenswert aktuelle "Räumliche Brechungen" und "Tafeln" des Dresdners Hermann Glöckner aus den dreißiger bis siebziger Jahren und wartet mit einem ansehnlichen Ensemble präzise ausgewählter Bilder von Morellet, Fruhtrunk und Vasarely auf. Das ist ein überzeugender, gewiss nicht stromlinienförmiger Auftakt historisch gewordener, aktueller Kunst.

Im Zentrum der Gartenhallen steht die jüngste Generation mit meist großen Formaten und hier wird die Beschränkung deutlich, die das Städel als seine Identität ausgeben muss: Es geht sehr deutsch zu mit Werken von Frank Nitsche, Amelie van Wulffen, Dirk Skreber, Neo Rauch, Eberhard Havekost, Isa Genzken, Dierk Schmidt. Fraglos stünde der Sammlung ein Wilhelm Sasnal, ein Peter Doig oder auch ein älteres Semester wie Mary Heilmann gut an.

Aber nicht immer wurde die aktuelle Produktion in dem Kunstinstitut so groß geschrieben, wie sein Initiator Johann Friedrich Städel sich dies vor 200 Jahren programmatisch gewünscht hatte - es gibt Lücken. So zählen großartige Zeichnungen von Pollock und Serra, ein ungewöhnliches Querformat von Kenneth Noland oder eine "Furniture Sculpture" von John Armleder zu den wenigen Arbeiten, die in der neuen Präsentation nachhaltig amerikanische Akzente setzen. Letztere wurde ebenso aus Mitteln des mäzenatischen Städel-Komitees erworben wie eine Tafel mit Grün und Violett auf schwarzem Grund von Ad Reinhardt aus dem Jahr 1943.

In einem Parcours, den die Berliner Architekten Kuehn Malvezzi aus Achsen und Kuben unterschiedlicher Größe um ein offenes Zentrum anlegen, wechseln und mischen sich chronologische und thematische Gesichtspunkte. Ein Schwerpunkt liegt auf dem deutschen Informel, um dessen Image als verzopfte Abstraktion es besser bestellt sein könnte. Hier gelingen dem Sammlungskurator Martin Engler ausgesprochen schöne Konstellationen über die Jahrzehnte hinweg: Er kombiniert eine ungegenständliche Fotografie von Wolfgang Tillmans mit Werken von Imi Knoebel und dem Rakel-Virtuosen Karl Otto Götz zu sprechenden Konstellationen, Emil Schumacher rückt in die Nachbarschaft von Per Kirkeby. Kaum bekannt und unbedingt sehenswert ist ein Bild von Wols mit dem Titel "Der Pfeil" (1951) in Rot auf Weiß: Hier zeigt sich das stärkste Temperament des europäischen Informel.

Markant vertreten sind Ernst Wilhelm Nay mit lebensgetränkten Spätwerken, Gotthard Graubner mit einem vibrierenden Kissenbild, das noch auf die Spannung von Figur und Grund setzt, oder Gerhard Hoehme mit einem ebenfalls ungewöhnlichen Schnurbild, auf das Leni Hoffmann mit einer "Soft Sculpture" aus hängendem Kabel antwortet.

Mit ungebrochener, den eigenen Kräften vertrauender Malerei ist das Städel ganz in seinem Element. Beispielhaft dafür ist eine drangvolle Bildergruppe mit frühen Gemälden von Georg Baselitz und Eugen Schönebeck, die 1961 in ihrem "Pandämonischen Manifest" gegen das "Glatte und Schöne" zu Felde zogen, im Verbund mit energiegeladener Malerei von Asger Jorn und Karl Appel, Eugène Leroy und Leon Golub.

Auch das Museum für Moderne Kunst benötigt Anbau

Ein sehenswertes Kabinett führt Grafiken von Polke und Richter zusammen, der einst in Düsseldorf propagierte "Kapitalistische Realismus" bekundet seinen Reiz mit einem Fußballer-Bild von Konrad Lueg, der kurz darauf als Galerist Konrad Fischer eine einflussreiche Karriere im Rheinland starten sollte. Plausibel vereinen sich auch Gesellschaftskritik und Agitprop von Immendorff, Wolfgang Mattheuer, Arno Rink und Willi Sitte.

Manche Bereiche erinnern allerdings eher an die Hängung in einem Schaulager, als dass sie einer pointierten Bildung von Kontexten dienen. Auf Fotografie gestützte Kojen mit Themen wie "Häuser, Straßen und Reihen" oder "Performance und Fotografie" erweisen sich ebenso als didaktische Ghettos, wie eine Werkgruppe namens "Paintless" mit konzeptueller Malerei, wobei sich hier durchaus plausible jüngere Erwerbungen - etwa des Franzosen Bernard Frize - finden. In einer solchen Minikoje bringt man allerdings Juwelen wie Peter Roehrs zehn "Schwarze Tafeln" aus dem Jahr 1966 nicht zum Funkeln.

Solche Werkgruppen lassen aber erahnen, warum in Frankfurt eine Debatte über den Anbau geführt wurde, kümmert sich dort doch auch das 1991 gegründete Museum für Moderne Kunst um die Zeitgenossen und wünscht sich mit seinen gefüllten Depots kaum etwas sehnlicher als einen Anbau. Doch die Gegenwartskunst im Städel ist anders - gediegener, langsamer. Die überlieferten Gattungen bleiben dort intakt und unter sich. Auch dafür wird sich ein Publikum finden.

Der Erweiterungsbau des Städel-Museums in Frankfurt wird am 25. Februar eröffnet. Der Sammlungskatalog kostet 35 Euro, eine Festschrift zum Anbau 39,80 Euro. www.staedelmuseum.de

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Quelle:
SZ vom 23.02.2012
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