Frankfurter Buchmesse:Von Leidenschaft getrieben

Buchmesse Frankfurt Pavillon Brasilien

Voll von leidenschaftlichen Büchermachern: Besucherin vor dem Pavillon von Brasilien auf der Frankfurter Buchmesse.

(Foto: dpa)

Das erfolgreichste Buch des vergangenen Jahres waren die "Shades of Grey", doch so richtig stolz ist der Verlag Random House eher auf die Verkaufszahlen als auf den Inhalt der Sadomaso-Trilogie. Es gibt sie aber noch, die Verleger, die mit intellektueller Leidenschaft für die Stoffe ihrer Bücher kämpfen. Und es wird sie auch künftig geben - weil Inhalt nicht gleich "Content" ist.

Ein Kommentar von Thomas Steinfeld

Der Verlag, der im vergangenen Jahr der erfolgreichste der Welt war, ist seit der Übernahme von Penguin Books zugleich der größte: Es ist Random House, ein Unternehmen der Bertelsmann Gruppe. Der Erfolg verband sich vor allem mit einem Buch: den insgesamt mehr als 70 Millionen Exemplaren, die der Verlag in 50 Ländern von "Shades of Grey" verkaufte, der als Roman verkleideten Handreichung der britischen Autorin E. L. James für den gemäßigten Sadomasochismus.

Von einem "historischen Höhepunkt aller Zeiten" sprach Markus Dohle, der Vorstandsvorsitzende von Random House, als er das Geschäftsergebnis im vergangenen Frühjahr bekannt gab. Die Investitionen des Unternehmens in "content and creativity" hätten sich ausgezahlt.

Hätte Markus Dohle den Erfolg auf Deutsch bekannt gegeben, hätte er vermutlich ebenfalls von "content" gesprochen, nicht von "Inhalt". Denn zwischen diesem englischen und diesem deutschen Wort gibt es einen großen Unterschied: Über "content" kann man verfügen. Es ist immer schon da. Es wird überall angeboten, man kann es kaufen und verkaufen. "Inhalt" hingegen muss geschaffen und entwickelt werden, und das ist viel schwieriger, kostet persönliches Engagement und verlangt Verantwortung von jedem Beteiligten, auch vom Chef.

Wo aber wäre der Manager des Verlags Random House, der sich vor sein erfolgreichstes Buch gestellt und die Vorzüge von "Shades of Grey" als Werk der Literatur oder des Zeitvertreibs öffentlich gepriesen hätte - oder wenigstens den Reiz einer kleinen erotischen Quälerei? Es gibt diesen Manager nicht, was durchaus mit dem Unterschied von "content" und "Inhalt" zusammenhängt.

In einer Botschaft zur 64. Frankfurter Buchmesse, die am Dienstagabend eröffnet wurde, erklärte ihr Direktor Jürgen Boos, die Trennungslinien der Branche verliefen heute nicht mehr "zwischen Neu und Alt, Print und E-Book, Analog und Digital". Sie seien vielmehr zwischen Menschen zu ziehen, die "Leidenschaft für Inhalte haben und Zugang zu ihnen verschaffen wollen - und jenen, denen es egal ist, was sie verkaufen". Wahrscheinlich muss man diese Diagnose um den Satz ergänzen: Man kann auch mit Leidenschaft "content" verkaufen, der einem gleichgültig ist, obwohl die Leidenschaft dann nicht dem "content", sondern dem Verkaufen gelten muss.

Publikationsformen wandern ineinander

Leidenschaftliche Büchermacher, für die das nicht gilt, sieht jeder Besucher der Buchmesse, wenn er in den Hallen drei oder vier durch die Gänge wandert und Michael Krüger, den Verleger von Hanser, Jörg Bong, den Verleger von S. Fischer, Ursula Unseld-Berkéwicz, die Verlegerin von Suhrkamp, oder Antje Kunstmann vom Verlag, der ihren Namen trägt, in ihren Ständen arbeiten sieht.

Leserin mit "Shades of Grey - Geheimes Verlangen" von E.L. James

"Content and creativity" mag man den "Shades of Grey" noch zubilligen. Aber wie sieht es mit dem Inhalt aus?

(Foto: dpa)

Sie alle sind, wenn es um die Bücher des eigenen Hauses geht, von Leidenschaft getrieben, an ihnen geht jede Unterscheidung von Chef und Lektor, Presseagent und Vertreter zuschanden. Vor ein paar Jahren galten sie noch als altertümliche, dem "Inhalt" verhaftete Gestalten, wie es sie bald nicht mehr geben werde. Was für ein Irrtum.

Die Hälfte aller Exemplare, die von "Shades of Grey" verkauft wurden, bestand in Computerdateien. Dieses Werk wurde zum ersten global erfolgreichen E-Book. Diese 50 Prozent schienen zuerst eine radikale Veränderung des Buchmarkts anzukündigen, die endgültige Hinwendung zum Digitalen. Aber sie markieren offenbar eher eine maximale Ausdehnung, die zudem dem besonders privaten Charakter dieser Lektüre geschuldet war: In den Vereinigten Staaten wächst der Marktanteil des E-Books gegenwärtig kaum noch, in Deutschland verläuft das Wachstum ohnehin eher zögerlich.

Statt eines Triumphes der Digitalisierung entsteht augenscheinlich etwas eher Unerwartetes: Die Publikationsformen differenzieren sich, sie weiten sich aus und sie wandern ineinander. Ein Verlag, der sich auf diesem Markt und auf der Höhe der Zeit bewegt, kann sich eines ganzen Registers von Publikationsformen bedienen, analogen und digitalen.

Die Antwort auf die Frage, für welche Form ein Verlag sich bei einem Projekt jeweils entscheidet, kann nun - in einem Maße, das vor einigen Jahren noch undenkbar war - Überlegungen über Inhalt und Eigenart einer Veröffentlichung gehorchen. Es zeichnet sich bereits ab, was daraus folgt. Es wird nicht mehr ausreichen, lauter "content"-Elemente, die man für verfügbar hält, durch alle verfügbaren Kanäle zu schicken.

Das Verlegen wird auf der neuen technologischen Stufe, die es nun erreicht, zur Kunst des feinen Austarierens von Inhalten und Publikationsformen, in jedem einzelnen Verlag. Die Leidenschaft der Verleger wird in dieser Verwandlung von "content" in "Inhalt" ein neues Betätigungsfeld finden.

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