Frankfurter Buchmesse:Und plötzlich diese Relevanz!

Frankfurter Buchmesse: Zwei von rund 600 Flüchtlingen, die sich zu einer kostenlosen Führung angemeldet hatten.

Zwei von rund 600 Flüchtlingen, die sich zu einer kostenlosen Führung angemeldet hatten.

(Foto: Kai Mühleck/Börsenblatt)

Bei der diesjährigen Buchmesse wurde ein wahres Politik-Diskussionsfeuerwerk losgelassen. Eine Bilanz.

Von Kathleen Hildebrand

Die "politischste Buchmesse seit 1989" sollte sie werden. Als man sich am Mittwochmorgen auf den langen Laufbändern in die Messehallen transportieren ließ, regte sich deshalb ein gewisser Widerwille. Braucht denn die Literatur einen Zweck außerhalb ihrer selbst? Oder hatten Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir und Albert Camus mit ihrer Forderung nach einer "littérature engagée" doch recht? Ist es vielleicht langsam Zeit, dass die Schriftsteller wieder zu öffentlichen Intellektuellen werden?

Wenn Autoren über Barbour-Jacken und Popmusik, über schwierige Liebschaften und unglückliche Familien schreiben, stöhnen alle "Nabelschau". Wenn sie jedoch von Flüchtlingen auf dem Oranienplatz erzählen, wie Jenny Erpenbeck in ihrem für den Buchpreis nominierten Roman "Gehen, ging, gegangen" oder von der bulgarischen Diktatur wie Ilija Trojanow in seinem Buch "Macht und Widerstand", dann finden viele Kritiker, das sei entweder allzu "brav" am Zeitgeist entlang geschrieben oder schlicht "keine Literatur". Irgendwas ist immer.

Politisch fing die Messe auf jeden Fall an, und zwar mit ein paar ziemlichen Paukenschlägen. Salman Rushdie beschwor in seiner viel beachteten Buchmessen-Eröffnungsrede die Bedeutung der Meinungsfreiheit. Ganz unwidersprochen blieb das nicht. Dass die "freedom of speech" nicht für Rassismus und Diskriminierung missbraucht werden dürfe, war in den folgenden Tagen häufig zu hören. Nächster Paukenschlag: Der Iran, der 1989 die Fatwa gegen Rushdie ausgerufen hat, sagte seinen Messebesuch wegen dessen Anwesenheit kurzfristig ab.

Das war also die Lage, in der die Buchmesse ihr Politik-Diskussionsfeuerwerk losließ. In der Sektion "Weltempfang" sprachen fast im Stundentakt Gäste aus der ganzen Welt, vor allem aber aus dem Nahen Osten über Kunstprojekte in Flüchtlingslagern, Zensur und die Aufarbeitung von Krieg und Vertreibung. Für den Sonntag hatten sich mehr als 600 Flüchtlinge aus dem Frankfurter Umland für Freikarten angemeldet und sahen sich fröhlich-interessiert nach den jungen Cosplayern in ihren bunten Kostümen um, die das Bild beherrschten.

Und die dänische Autorin Janne Teller hatte bereits zum zweiten Mal zu "Frankfurt Undercover" geladen, einem Projekt, das völlig messeuntypisch hinter verschlossenen Türen stattfand, ohne Publikum und ohne Presse: 39 Autoren setzten sich an drei Tagen jeweils für zwei Stunden in die neu geschaffene "Author's Lounge" und diskutierten über ein politisches Thema - in diesem Jahr über Extremismus. Zuhören durfte niemand, um ihnen die Freiheit zu geben, auch weniger präsentable Gedanken frei zu äußern. "Schriftsteller haben andere Sensibilitäten als Politiker", sagte Janne Teller, "und einen anderen Zugang zur menschlichen Natur." Und dann sagte sie etwas, was vielleicht der Schlüssel sein könnte zu einem produktiven Verständnis der utopischen Kraft von "politischer" Literatur: Allein schon die bewusste Arbeit mit Sprache sei in ihren Augen bereits politisch. Denn in der Sprache schlage es sich zuerst nieder, wenn etwas falsch laufe in einer Gesellschaft.

Die erste Präsentation der Ergebnisse von "Frankfurt Undercover" am Freitag war dann noch recht skizzenhaft - Information und Versprachlichung seien wichtig, um Radikalisierungen vorzubeugen, und Extremisten könne man höchstens zur Umkehr bewegen, in dem man Zweifel säe - aber Janne Teller ist es ernst: Sie will die gesammelten Schriftsteller-Ideen zu einem Kompendium ausarbeiten und der Politik vorlegen. Mit Frank-Walter Steinmeier sucht sie bereits nach einem gemeinsamen Termin.

Ausgerechnet Navid Kermani äußerte eine gewisses Unbehagen an der allfälligen Politizität

Es war dann Navid Kermani, der diesjährige Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, der dem Unbehagen an der Politizität Ausdruck verlieh. In einer Diskussionsrunde mit den iranischen Autoren Fariba Vafi und Amir Hassan Cheheltan (auch ohne offizielle staatliche Delegation waren einige Schriftsteller und Verlage nach Frankfurt gekommen) kritisierte er, dass neben ihm zwei Schriftsteller säßen, diese aber ausschließlich nach der iranischen Politik befragt würden: "In der Literatur geht es um alles", sagte Kermani. Was er aber auch sagte - und was in diesem Jahr allenthalben deutlich spürbar war neben einem Gastland Indonesien, das sich vorrangig über Kochbücher definierte -, war dies: "Zensur darf man nicht romantisieren, aber sie zwingt Literatur dazu, politisch zu werden. Sie gibt ihr eine Ernsthaftigkeit."

Auf der 67. Frankfurter Buchmesse hatten sich mehr als 7000 Aussteller aus rund 100 Ländern präsentiert. Am Ende war die Bilanz nach zwei rückläufigen Jahren äußerst positiv. Rund 275 000 Menschen, darunter viele junge Besucher, kamen zur weltgrößten Bücherschau, das sind etwa zwei Prozent mehr als 2014.

Und nach all den ernsthaften Diskussionen las man dann plötzlich auch den heiteren Tiergedichtband der Wir sind Helden-Sängerin Judith Holofernes ganz anders: "Ich geh spazieren /auf allen vieren / Ich sprech mit Tieren / die nix kapieren / die alles können / und die versonnen / auf Wiesen pennen / und die versponnen auf Wiesen rennen / die sich sonnen / und die nichts! nichts! nichts! / beim Namen nennen." Wenn an allen Ecken Politisierung gefordert wird, dann fühlt sich eine zweckfreie Spielerei wie diese fast schon wieder rebellisch an.

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