Frankfurter Buchmesse 2011: Top Ten aus Island:Das Land der Dichter und Banker

Herzerwärmendes aus dem Norden: Auf der Frankfurter Buchmesse redet die komplette Fachwelt vom Gastland Island, wo außergewöhnlich viel geschrieben und gelesen wird. Zum Buchmessen-Auftakt stellen wir die Top Ten der isländischen Literaten vor - fünf Klassiker und fünf Lese-Tipps.

Franziska Dürmeier

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Buchmesse Island

Quelle: Franziska Dürmeier

Herzerwärmendes aus dem Norden: Auf der Frankfurter Buchmesse redet die ganze Fachwelt von Island. In dem diesjährigen Buchmessen-Gastland wird außergewöhnlich viel geschrieben und gelesen, und das nicht nur über die überwältigende Natur der größten Vulkaninsel der Welt, nicht nur über Krimis oder eigenbrötlerischen Humor. Schriftsteller Hallgrímur Helgason hat einmal gesagt: "Jeder zweite Isländer will Dichter sein. Und jeder will zumindest Romanfigur sein." Zum Buchmessen-Auftakt stellen wir die Top Ten der isländischen Literaten vor: Fünf Klassiker und fünf Lese-Tipps, vom Kultautor bis zum Krisenprofiteur. In Bildern.

Text und Bildauswahl: Franziska Dürmeier/sueddeutsche.de/rus

Im Bild: Second-Hand-Buchhandlung "Bókin hf." in Reykjavík

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Frankfurter Buchmesse 2011: Top Ten aus Island:Der Homer des Nordens

Island

Quelle: The Árni Magnússon Institute

Die "Edda" ist neben den Isländersagas der Ursprung isländischer Literatur, auf die sich nicht nur heimische Autoren, sondern auch Schriftsteller wie J. R. R. Tolkien später immer wieder berufen haben. Beide Eddas, zwei literarische Werke auf Altisländisch, wurden im 13. Jahrhundert im christianisierten Island verfasst und beschreiben skandinavische Götter- und Heldensagen. Es gibt eine Lieder-Edda mit Götter- und Heldenliedern sowie eine Prosa-Edda von Snorri Sturluson (1179-1241), in der die Skaldik, eine spezielle isländische Dichtkunst, im Vordergrund steht. Außer einer Einführung in die Poetologie übermittelt Sturluson dem Leser sein Wissen über nordische Mythologie. Der Dichter, Politiker und Historiker gilt als bedeutendster Autor des Mittelalters und einer der berühmtesten Isländer überhaupt.

Die Isländersagas (im Bild) hingegen wurden anonym überliefert und beschreiben das Leben der ersten Siedler Islands und deren Konflikte so nüchtern, dass sie für den heutigen Leser eine komische Komponente entwickeln. Nach einem kräftigen Schwerthieb auf den Kopf entgegnet darin etwa der schwerverletzte Sagaheld Gunnlaugr Schlangenzunge seinem Gegner Hrafn lediglich, das sei gemein. Um einen Einblick in die damalige Vostellungswelt der Isländer und ihre Traditionen zu bekommen, lohnt sich die Lektüre, die in Island fast jedes Kind kennt.

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Frankfurter Buchmesse 2011: Top Ten aus Island:Der Nationaldichter

Halldór Laxness

Quelle: Gljúfrasteinn, Laxness Museum, Island

Halldór Laxness (1902-1998) ist mit 13 Romanen und mehreren Theaterstücken der meistgelesene isländische Autor des 20. Jahrhunderts. Der Nobelpreisträger (1955) löste gesellschaftliche Debatten aus und beeinflusste maßgeblich das literarische Leben auf der Insel. Sein Werk umfasst drei Hauptphasen: die modernistische Phase in den zwanziger Jahren mit "Der große Weber von Kaschmir" ("Vefarinn mikli frá Kasmír), die sozialkritische Phase in den dreißiger Jahren mit "Sein eigener Herr" ("Sjálfstætt fólk") und die historische Phase in den vierziger Jahren mit "Die Islandglocke" ("Íslandsklukkan"). Laxness wandelte sich vom Katholik über einen Sozialisten bis schließlich zum Taoisten - eine Entwicklung, die sich in seinen Romanen nachverfolgen lässt. Mit unterschwelligem Humor und kritischem Geist schlug er sich stets auf die Seite der einfachen Leute, die er in seinen Büchern nicht ohne Ironie zeichnete. Zum Verständnis der isländischen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts ist Halldór Laxness unabdingbar. Kein anderer Autor hat sie intensiver analysiert und beeinflusst.

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Frankfurter Buchmesse 2011: Top Ten aus Island:Der Vermittler

Einar Kárason

Quelle: Jóhann Páll Valdimarsson

Einar Kárason (geb. 1955) gehört zu den modernen Klassikern, die sich von der Sagazeit beeinflussen lassen und ironisch an den Sagastil anknüpfen. In seiner Insel-Trilogie "Die Teufelsinsel" ("Þar sem djöflaeyjan rís"), "Die Goldinsel" ("Gulleyjan") und "Das gelobte Land" ("Fyrirheitna landið") werden Saga-Elemente in die Nachkriegszeit versetzt. Die moderne "Familiensaga" handelt nicht von berühmten Buchten und berühmten Helden, sondern vom Barackenviertel Reykjavíks und seinen armen und ungebildeten Einwohnern. Im Mittelpunkt stehen Lina, die Hellseherin, und ihr Mann Tommi, der Krämer; auch die anderen Protagonisten sind vor allem skurril. Statt mit der Edda beschäftigen sich die Figuren mit Einflüssen aus Amerika wie Rock'n'Roll und Coca Cola. Beliebt für seinen grotesken Humor und eine Erzählweise, die sich an Umgangssprache und Slang orientiert, schrieb sich Einar in die revolutionäre Gesellschaft der Nachkriegszeit ein. Für seinen historischen Roman "Versöhnung und Groll" erhielt er 2009 den Isländischen Literaturpreis.

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Frankfurter Buchmesse 2011: Top Ten aus Island:Der isländische Mankell

Buchmesse Island

Quelle: Kristinn Ingvarsson

Die isländischen Krimi-Autoren spielen gerne mit dem Bild von Island als einer düsteren, vernebelten und unheimlichen Insel. Der bekannteste unter ihnen ist Arnaldur Indriðason (geb. 1961). Seine Kriminalromane wurden schon mehrfach ausgezeichnet. Besonders in Deutschland erfreut sich das aus dem ausgesprochen grimmigen Konservativen Erlendur und dessen jüngeren Kollegen Sigurður Óli bestehende Polizeiduo großer Beliebtheit. Der Autor schiebt seinem skurrilen Duo nicht nur spannende Spurennetze, sondern immer wieder auch gesellschaftliche Debatten unter: In "Nordermoor" ("Mýrin") geht es etwa um einen Mordfall in Reykjavík, der mit dem Missbrauch von Gendaten zusammenhängt. Ein Thema, das in Island heiß diskutiert wurde, als man 1998 die genetischen Codes der gesamten isländischen Bevölkerung in einer Gendatenbank erfasste.

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Frankfurter Buchmesse 2011: Top Ten aus Island:Die Romantikerin

Steinunn Sigurðardóttir in Frankfurt

Quelle: Kristinn Ingvarsson

Schon mit 19 Jahren machte Steinunn Sigurðardóttir (geb. 1950) mit einem Gedichtband auf sich aufmerksam. Nach dem Studium der Philosophie und Psychologie in Irland war sie als Journalistin längere Zeit im Ausland. Momentan pendelt sie zwischen Berlin-Kreuzberg und Island. Zu ihren berühmtesten Büchern gehören die Romane "Herzort" ("Hjartastaður"), eine symbolische Reise in die Vergangenheit, für die sie 1995 den Isländischen Literaturpreis erhielt, und "Der Zeitdieb" ("Tímaþjófurinn"), eine Trennungsgeschichte aus Sicht einer Frau, die sich ihrer Jugend beraubt fühlt. Zentrale Themen sind Liebe, Sehnsucht, Zeit, Angst und Selbstsuche. Auch Gedichte sind Teil ihrer lebhaften Geschichten, die meist von einem ironischen Ton dominiert werden. In dem Roman "Der gute Liebhaber" ("Góði elskhuginn") etwa kehrt ein Muttersöhnchen nach Reykjavík zurück, um seine Jugendliebe aufzusuchen, und Steinunn balanciert zwischen kitschigen Momenten und amüsant-komischen Szenen, die eine Sprache zwischen Prosa und Poesie gekonnt auf die Spitze treibt.

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Frankfurter Buchmesse 2011: Top Ten aus Island:Der Kultautor der jungen Generation

Autor Hallgrímur Helgason

Quelle: dpa

Das Werk von Hallgrímur Helgason (geb. 1959) vereint zwei Seiten: Neben humorvollen und skurrilen Szenen übt er auch ernsthafte Gesellschaftskritik. Berühmt wurde er mit dem Roman "101 Reykjavík", der zum Kultroman avancierte und verfilmt wurde. Darin erzählt er die Geschichte des jungen lethargischen Hlynur, der seine Zeit im Nachtleben Reykjavíks oder vor dem Fernseher verbringt. Für den Roman "Vom verzweifelten Vergnügen tot zu sein" ("Höfundur Íslands"), der auf Halldór Laxness anspielt, erhielt er den Isländischen Literaturpreis.

In deutscher Übersetzung neu erschienen ist zuletzt "Eine Frau bei 1000°" ("Konan við 1000° C"), eine Geschichte über eine schwerkranke alte Dame, die das Internet erforscht. Sie pflegt einen Fake-Account auf Facebook, hackt den E-Mail-Account ihrer Schwiegertochter und plant ihre Einäscherung. Ähnlich skurril ist "Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen" ("10 ráð til að hætta að drepa fólk og byrja að vaska upp"), die Geschichte des Auftragskillers Toxic, der von New York nach Island zieht, um eine neue Identität anzunehmen und locker von seinen Morden plaudert. Mit seinem schwarzen Humor gehört Hallgrímur zu den beliebtesten Autoren Islands und sticht durch seine hippe Sprache hervor.

Hallgrímur studierte in Island und München Kunst. Er gehörte zur isländischen Protestbewegung, die im Zuge der Finanzkrise zum Rücktritt von Islands Premierminister Geir Haarde beitrug. In einer Serie fotografischer Arbeiten beschäftigte er sich mit der Wirtschaftskrise. In einem Statement zur Buchmesse sagte er: "Ich denke, dies ist eine großartige Gelegenheit zu zeigen, dass nicht jedes bedruckte Papier aus Island wertlos ist."

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Frankfurter Buchmesse 2011: Top Ten aus Island:Der Surrealist

Buchmesse Gastland Island

Quelle: Kristinn Ingvarsson

Musikinteressierten ist Sjón (geb. 1962) durch seine Zusammenarbeit mit der Sängerin Björk bekannt, für die er Songs getextet und komponiert hat. Auch als eigenständiger Musiker trat er unter dem Pseudonym "Johnny Triumph" auf, einer Übersetzung seines vollständigen Namens Sigurjón Sigurðsson. Der avantgardistische Pop-Literat und Punk prägte die Kulturszene Reykjavíks in den achtziger und neunziger Jahren und verband verschiedenste Medienströmungen. Er war Mitbegründer des isländischen Plattenlabels "Smekkleysa" und der Surrealistengruppe "Medúsa". Neben seinen Gedichten wurden zwei seiner Romane ins Deutsche übersetzt: "Schattenfuchs" ("Skugga-Baldur"), für den er 2005 den Literaturpreis des Nordischen Rates erhielt, und "Das Gleißen der Nacht" ("Rökkurbýsnir"). Beide Romane erzählen von absurden Begebenheiten aus früheren Jahrhunderten, so möchte der gelehrte Protagonist in "Das Gleißen der Nacht" Ungeheuer erlegen. In seinen Geschichten geht der Mensch eine magische Verbindung mit der Natur ein, Menschen verwandeln sich in Tiere, die Perspektiven ändern sich. Sein bildhafter Schreibstil erinnert an Traumszenen, gespickt mit Ironie. Sjóns Werk enthält unzählige Referenzen zur Populärkultur und Weltliteratur, die von der inhaltlichen Tiefe des phantasievollen Erzählers und Dichters zeugen.

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Frankfurter Buchmesse 2011: Top Ten aus Island:Der unkonventionelle Kritiker

Buchmesse

Quelle: Kristinn Ingvarsson

Der junge Schriftsteller Andri Snær Magnason (geb. 1973) bedient sich unterschiedlicher Genres wie Lyrik, Roman, Kinderbuch, Sachbuch und Theater. Politisch engagiert, beschreibt er in seinem Sachbuch "Traumland: Was bleibt, wenn alles verkauft ist" ("Draumalandið: Sjálfshjálparbók handa hræddri þjóð") und dem Kinderbuch "Die Geschichte vom blauen Planeten" ("Sagan af bláan hnettinum") die kapitalistischen Strukturen, die einen vernünftigen Umgang des Menschen mit der Natur verhindern. Beide Bücher wurden mit dem Isländischen Literaturpreis ausgezeichnet. Bekannt ist der Autor auch für seine unkonventionellen Pubikationsformen. Sein erstes Buch publizierte er eigenständig; ein weiterer Lyrikband war unverkäuflich und sollte von Leser zu Leser wandern. Den Lyrikband "Bónus-Gedichte" ("Bónusljóð") verkaufte er ausschließlich in der isländischen Billig-Supermarktkette "Bónus" - inklusive Alltagsgedichten über Supermarktprodukte und einem ironischen Blick auf die Konsumgesellschaft. Andri Snærs Supermarktwelt ist angelehnt an Dantes "Göttliche Komödie": Die Obstabteilung ist das Paradies, bei den Fleischwaren die Hölle und bei den Putzmitteln das Fegefeuer. Mit diesem Buch begegnete Andri Snær der isländischen Krise der Poesie. Es wurde Islands meistverkaufter Gedichtband überhaupt.

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Frankfurter Buchmesse 2011: Top Ten aus Island:Der Krisen-Profiteur

Guðmundur Óskarsson

Quelle: Kristinn Ingvarsson

Im Oktober 2008 erreichte die Wirtschaftskrise in Island ihren Höhepunkt. Viele wurden arbeitslos, verloren ihre Häuser und sammelten sich zur Demonstration auf der Straße. In der "Krisenliteratur" spiegelt sich diese Erfahrung wider. Guðmundur Óskarsson (geb. 1978), der nach seinem Studium als Golfplatzwart, Lagerarbeiter, Gehilfe bei archäologischen Ausgrabungen und schließlich als Sekretär in einer Bank arbeitete, widmete sich am Feierabend dem Schreiben. Sein Roman "Bankster" beschreibt am Beispiel eines Einzelschicksals die psychologischen Auswirkungen der Krise auf die Gesellschaft. Ein junger Banker verliert seinen Job und seine Zukunft. Die Leere füllt der Protagonist mit Tagebucheinträgen. Guðmundur erhielt für "Bankster" den Isländischen Literaturpreis - seinen Job bei der Bank hat er allerdings behalten. Auch wenn die Krise, wie er in Interviews betont, sein Denken verändert habe.

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Frankfurter Buchmesse 2011: Top Ten aus Island:Der Ringsuchende

Ostfjorde in der Nähe von Seyðisfjörður, Island

Quelle: Franziska Dürmeier

Der isländische Jack Kerouac Huldar Breiðfjörð (geb. 1972) war Journalist und Drehbuchautor, bevor er zum Romanautor avancierte. In "Liebe Isländer" ("Góðir Íslendingar") erzählt er von einem jungen Mann aus Reykjavík, der dem städtischen Leben entfliehen möchte und mit einem alten Lappländer-Jeep im tiefsten Winter zu einer Reise um Island aufbricht. Anstatt ins Ausland zu fliehen, möchte er sein eigenes Land erleben, sich einen Bart wachsen lassen, frieren, sich zurückziehen und "verrückt werden". Dabei folgt er der Ringstraße Nr. 1, die sich um ganz Island windet. Die Einsamkeit der entlegenen Orte, das unbarmherzige Wetter und die Begegnungen prägen die Reise, auf der er sein Heimatland und sich selbst besser kennen lernt. Der Autor selbst lebt ebenfalls an einem entlegenen Ort Islands, in den Westfjorden, wenn er nicht gerade unterwegs auf Reisen ist. Humorvoll und anschaulich gibt der literarische Reisebericht einen tieferen Einblick in die isländische Identität und ist in Island bereits Schullektüre.

Im Bild: Ostfjorde in der Nähe von Seyðisfjörður in Island

© sueddeutsche.de//rus
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