Frankfurter Buchmesse:Rückholung der Musen

Frankfurter Buchmesse: In der Dekoration des französischen Pavillons mit multipel verstrebtem und verzweigtem Tragwerk aus unbehandelten Holzleisten.

In der Dekoration des französischen Pavillons mit multipel verstrebtem und verzweigtem Tragwerk aus unbehandelten Holzleisten.

(Foto: Michael Probst/AP)

Sie ist eröffnet: Das Gastland Frankreich bringt eine ganze Bücherstadt mit, das E-Book bleibt in seiner Nische, und die Rechten sind allenfalls eine Marginalie.

Von Volker Breidecker

Wie lange es die Frankfurter Buchmesse schon gibt, wissen nicht einmal die Historiker. Spärlichen Überlieferungen zufolge sollen in Ufernähe bereits im 11. Jahrhundert Handschriften getauscht oder verkauft worden sein. Handschriften und ihre gedruckten Nachfolger wurden lange Zeit noch wie saure Heringe in Fässern über die Flusswege transportiert. Diese Bücherfässer waren die Nachfahren antiker Amphoren, der stapelbaren Vorläufer moderner Container. Mehr über den Frankfurter Messeplatz erfahren wir aus den Berichten gelehrter Messebesucher des 16. Jahrhunderts, die wie Erasmus von Rotterdam eigens dahin pilgerten: "Ella a ramené les Muses d'exil" - "Sie hat die Musen aus dem Exil zurückgeholt" - schrieb voller Begeisterung der französische Humanist, Buchdrucker und Verleger Henri Estienne im Jahr 1573 über die Frankfurter Buchmesse.

Frankreich, wenn auch nicht als Solist, sondern als Erster Geiger im symphonischen Konzert der frankophonen Länder und Regionen sämtlicher Kontinente, ist in diesem Jahr zum zweiten Mal der Ehrengast der Buchmesse. Das erste Mal war im europäischen Schicksalsjahr 1989, und musste man noch vor einem Jahr befürchten, die Messe des Jahres 2017 könnte von Madame Marie Le Pen eröffnet werden, so hat der neue Präsident Emmanuel Macron uns zumindest von dieser Sorge befreit, am Vorabend die 69. Frankfurter Buchmesse Seite an Seite mit Bundeskanzlerin Angela Merkel feierlich eröffnet und zugleich den französischen Pavillon eingeweiht.

Anders als in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten setzen die frankophonen Ehrengäste nicht auf touristische Landeswerbung, sondern allein auf das Buch in sämtlichen analogen oder digitalen Varianten, Abkömmlingen und medialen Verstärkern. Unter Federführung des Designers Rudi Baur haben Studierende der Hochschule für Kunst und Design Saint-Étienne die rund 2300 Quadratmeter große Ausstellungsfläche in eine einzige, allseits begehbare Bücherstadt verwandelt, aus demselben hölzernen Material, aus dem schon die mobilen Bücherfässer des Mittelalters gezimmert worden waren.

Das multipel verstrebte und verzweigte Tragwerk aus unbehandelten Holzleisten teilt diese kleine Stadt der Bücher in lauter kleine und große Plätze und Straßen mit Seitenwegen, Schauflächen, fingierten Gebäuden, darunter eine Nachbildung der Pariser Bibliothèque Nationale in verkleinertem Maßstab. Die Stadt bietet Platz für 30 000 Bücher, denen sich die Besucher nach Belieben zuwenden können.

Allzu beschaulich sollte es dort nicht zugehen. Dafür sorgt rein optisch und im auffälligen Kontrast zum hölzernen Rohmaterial eine kunterbunt verteilte, ebenso farben- wie schriftfreudige Beschilderung, die - im Gesamtbild von fern an Fernand Légers Großgemälde "La Ville" erinnernd - neben der unüberhörbar wie unübersehbar massiven Präsenz des Digitalen den ebenso lebendigen wie dynamischen und zukunftsfreudigen Charakter dieser am Reißbrett entworfenen Modellstadt unterstreicht. Dabei erinnert sie doch ein wenig auch an den einst von Emmanuel Bove literarisch verewigten Pariser Vorort Bécon-les-Bruyères, auch wenn ihr der Bahnhof fehlt.

Um so nachdrücklicher wurde auf der Pressekonferenz der Messeleitung und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels am Mittwoch die "Renaissance des Buchs" proklamiert. Der Gastredner Markus Dohle, Chefverleger von Penguin Random House, berief sich auf die längst erfolgte Widerlegung sämtlicher Prognosen, die dem analogen Buch noch vor Jahren den schleichenden Tod infolge seiner Ersetzung durch das E-Book prophezeiten. Nur einen Restmarktanteil von etwa 20 Prozent wollten auch große Wirtschaftsblätter dem Buch noch zugestehen. Unterdessen haben sich die Verhältnisse umgekehrt, das analoge Buch pachtet im internationalen Maßstab weiterhin 80 Prozent Marktanteile, wohingegen das E-Book bei 20 Prozent stagniert.

Grundlegend neue Zahlen aus der Bücherbranche hatte auch Heinrich Riethmüller, der Vorsteher des Börsenvereins nicht zu vermelden. Die Verlagerung vom stationären Buchhandel zum wachsenden Onlinegeschäft schreitet voran. Was die Buchhandlungen in den Städten dennoch rettet, ist die Tatsache, dass Leser sich nirgendwo besser und greifbarer über Neuerscheinungen informieren können als dort.

Umsatzeinbußen fallen dennoch weiterhin nur minimal aus, solange sie durch verstärkte Kaufkraft und die Bereitschaft, für Bücher auch mal etwas mehr auszugeben, aufgefangen wird.

Beklagenswert hingegen sei die immer noch mangelnde Bereitschaft der Politik und des Gesetzgebers, in strittigen Fragen des Urheber- und Verwertungsrechts endlich für geeignete Rahmenbedingungen zu sorgen, die auch kleinen und mittleren Verlagen - nicht zuletzt im besonders gefährdeten Wissenschafts- und Bildungsbereich - das Überleben ermöglichen.

Messedirektor Juergen Boos ging auf gelegentlich erhobene Forderung nach dem Ausschluss rechtslastiger Verlage von der Messe ein. Deren Präsenz fiel schon bei früheren Messen nicht sonderlich ins Gewicht. Durch Ausschlüsse und Boykotte - wie zuletzt auf der Göteborger Buchmesse geschehen - würde man solchen Verlagen, ihren Autoren und Büchern, erst recht zu jener spektakulären Aufmerksamkeit verhelfen, die sie sich herbeiwünschten. Es gebe viel Missliebiges auf dieser wie auf jeder Messe, und man solle es durchaus nicht ignorieren, sondern mit den zugehörigen Ausstellern - vielleicht - einfach mal ein ernstes Wort reden. "Kriege", hatte Marcus Dohle am Schluss seiner Rede die diesjährige Friedenspreisträgerin Margaret Atwood zitiert, brächen nur dort aus, "wo die Sprache versagt".

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