Süddeutsche Zeitung

Die Buchmesse endet mit dem Friedenspreis:Ich bin, weil du bist

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Die Kulturelite klatscht stehend Beifall, während ihr die Grundlagen ihres Denkens entzogen werden - die Frankfurter Buchmesse 2021 im Rückblick.

Von Marie Schmidt und Felix Stephan

Auf der Frankfurter Buchmesse, die soeben zu Ende gegangen ist, gab es einen großen Knall. Am Freitagnachmittag hatte ein Eurofighter über der Stadt die Schallmauer durchbrochen, der Knall und die Druckwelle waren in der ganzen Stadt zu spüren. Das hatte der Eurofighter mit Jasmina Kuhnke gemein, einer reichweitenstarken Twitterin und Autorin, die mit ihrem Boykott der Messe gegen die Präsenz rechtsradikaler Verlage in Frankfurt protestierte und damit - weniger mit ihrem Buch - zum bestimmenden Gesprächsthema wurde.

Die Buchmesse ist traditionell eine Art Labor der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit. Oft findet dort in konzentrierter Form jenes große Gespräch statt, das sich im Jahr darauf in zahlreichen Varianten und Ableitungen im ganzen Land wiederfindet. In diesem Sinne hätte es ein Anlass für humanistischen Pessimismus sein können, dass es auch in diesem Jahr wieder um rechte Verlage und Minderheiten ging, als habe man seit 2017 keinerlei Fortschritte gemacht. Dem Buchmesse-Direktor Jürgen Boos wurden wieder dieselben Fragen gestellt, und er gab wieder dieselbe Auskunft.

Die Auskunft nämlich, dass es bei der Zulassungspolitik der Frankfurter Buchmesse weniger um Meinungsfreiheit geht als um das Kartellrecht. Die Messe kann Aussteller, die nicht gegen geltendes Recht verstoßen, nur dann bedenkenlos ausschließen, wenn diese auf dem Markt im Zweifel eine Alternative vorfinden. Die marktbeherrschende Stellung der Frankfurter Buchmesse aber birgt das Risiko, dass sich rechtsradikale Verlage erfolgreich einklagen und ein Urteil erwirken, das die Handlungsoptionen der Messe weiter einschränkt.

Aus der Luft gegriffen war die Sorge vor Übergriffen nicht

So kam es also, dass in Frankfurt in Halle 3, in der auch Publikumsverlage wie Kiepenheuer & Witsch, Aufbau oder Rowohlt ihre Gäste empfingen, faschistische Pamphlete angepriesen wurden. Der eigentliche Streitgegenstand war in diesem Jahr jedoch nicht das bloße Nebeneinander sich gegenseitig ausschließender Gesellschaftsentwürfe, sondern die Furcht um körperliche Unversehrtheit.

Die Jungfaschisten hatten viel Hohn übrig für Jasmina Kuhnkes Behauptung, sie fühle sich in Frankfurt körperlich bedroht. Gleichzeitig aber wurden während der Messetage Audio-Mitschnitte öffentlich, in denen sie sich in Gewaltfantasien ergehen, unter anderem gegen die Autoren Andrea Röpke und Andreas Speit, denen man, so hieß es, in Frakturschrift das Wort "Deutschland" ins Gesicht tätowieren solle. Aus der Luft gegriffen war die Sorge, dass es zu Übergriffen kommen könnte, jedenfalls nicht.

Der Unterschied zum Jahr 2017, als Götz Kubitscheks Antaios-Verlag mit geisteswissenschaftlich anmutenden Büchern Anschluss an das bürgerliche Lager suchte, bestand darin, dass die Fronten in diesem Jahr von Anfang an geklärt waren. Zwischen den bürgerlichen und den rechtsradikalen Akteuren der deutschen Geisteswelt gibt es heute nichts mehr zu verhandeln, die Grenzen sind gezogen, die Loyalitäten sortiert. Deshalb konnten sich die Rechten in diesem Jahr die Arbeit sparen, im Schafspelz aufzutreten. Sie gehen mit ihrem rassistischen, antidemokratischen Weltbild jetzt ganz offen um.

Die Diskussion verlängerte sich bis in die Verleihung des Friedenspreises

In den bürgerlichen Bereichen der Buchbranche und überhaupt im lesenden Deutschland gibt es hingegen den ehrlichen Wunsch, lange Zeit marginalisierte Stimmen endlich in die Mitte zu holen, sie als gleichberechtigte Diskursteilnehmer dabei zu haben. Nur deswegen hat es jetzt eine so große Wirkung entfaltet, als eben diese Autorinnen und Autoren darauf aufmerksam machten, dass die Unsicherheit, die sie dafür in Kauf nehmen müssen, unverhältnismäßig hoch ist, weil der Widerstand, der ihnen entgegenschlägt, sich in physischer Gewalt äußern kann.

Die Diskussion verlängerte sich bis hinein in die traditionelle Abschlussveranstaltung der Messewoche: die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Diese Sonntagsfeierlichkeit in der Frankfurter Paulskirche war viele Jahre lang dazu da, die Prominenz des Geisteslebens in ihrer eigenen Bedeutung schwelgen zu lassen.

In diesem Jahr aber nahm die simbabwische Autorin Tsitsi Dangarembga den Preis entgegen. Dangarembga ist für eine Romantrilogie bekannt, die den Kampf eines Mädchens, später einer jungen Frau namens Tambudzai um Bildung und ein selbstbestimmtes Leben in Simbabwe schildert. Auch für ihre Dokumentar- und Spielfilme ist Dangarembga in Frankfurt ausgezeichnet worden, ebenso wie für ihr Engagement für Frauenrechte und gegen politische Korruption, die ihr im vergangenen Jahr eine Verhaftung und Prozesse eingebracht haben.

Die Autorin hat in Deutschland studiert, ihr deutscher Ehemann und die drei gemeinsamen Kinder hatten sie nach Frankfurt begleitet. Aus dieser Zeit stammt auch eine Freundschaft mit Auma Obama, ihrerseits Autorin und Schwester des ehemaligen US-Präsidenten, die eine warme, persönliche Laudatio hielt.

Sich mit Tsitsi Dangarembga zu beschäftigen, konnte einem noch einmal besonders bewusst machen, dass man deutsche Zustände stets in größere Dimensionen rücken muss. Sie schilderte die Kolonialgeschichte ihres Landes und die Formen der Gewalt, die darin vorkommen, neben der physischen also die ökonomische und die metaphysische Gewalt, die sich im heutigen Simbabwe fortsetzten. Das sei kein historisch isoliertes Ereignis, sagte Dangarembga: "Diese Arten der Gewalt sind in die Strukturen der globalen Ordnung, in der wir leben, integriert und wurzeln in den Strukturen des westlichen Imperiums, dessen Anfänge sich vor über einem halben Jahrtausend bildeten."

Heute offenbarten sich diese Strukturen nicht mehr nur in den ehemals kolonisierten Ländern. Durch Migration und die Gegenwehr dagegen, reichten die Konflikte inzwischen in das "imperiale Kerngebiet". Man habe heute, sagte Tsangarembga, dieses eine Mal elegant vom Redemanuskript abweichend, ein herausragendes Beispiel dafür gesehen.

Diese Störung der Sonntagsfeierlichkeit wurde sehr offen aufgenommen

Damit nahm sie den Auftritt von Mirrianne Mahn auf. Die Grünen-Politikerin, Jahrgang 1989, gehört dem Frankfurter Stadtparlament an und ist Vorsitzende des Kulturausschusses. Während der Begrüßung des Oberbürgermeisters Peter Feldmann bei der Friedenspreisverleihung trat sie hinter ihn, nahm sich das Wort und wies darauf hin, dass es ein "Paradox" sei, dass einer schwarzen Frau der Friedenspreis verliehen werde am Ende einer Messe, auf der schwarze Frauen nicht willkommen gewesen seien, "weil nicht dafür gesorgt wurde, dass sie sich sicher fühlen".

Diese Störung wurde vom Publikum und der Preisträgerin sehr offen aufgenommen. Ungemütlicher noch war ja der Anspruch, den Tsitsi Dangarembgas Rede stellte: sich kundig zu machen in dem weiten Wissensbereich der Kolonialgeschichte, der dem großen deutschen Publikum nicht sehr vertraut sein dürfte. In einer erkenntniskritischen Wendung am Schluss mahnte Dangarembga eine "neue Aufklärung" an. Weniger "Ich denke, also bin ich", sondern mehr vom aus der Ubuntu-Philosophie bekannten Leitsatz "Ich bin, weil du bist" könne ein Anfang sein, so ihr Vorschlag.

Die Kulturelite klatschte stehend Beifall, obwohl oder gerade weil ihr gerade die Grundlagen ihres Denkens entzogen worden waren. Man erklärte sich so bereit, Selbstgewissheit aufzugeben. Es gibt da eine Offenheit und Demut von Jurys und Kulturfunktionären, die einen allerdings - gerade weil sie die Tränen in den Augenwinkeln an diesem Sonntag so schön glitzern ließ - eines fürchten lässt: Wenn in Deutschland die Rührung so groß ist, folgt oft wenig später ein Backlash. Und sei es von ganz rechts außen. Dem wird zu parieren sein, nicht nur auf Twitter, sondern hoffentlich auch wieder auf den Gängen der Buchmessen kommender Jahre.

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