Frankfurter Buchmesse 2010:Dumm gelaufen

In Kürze erzählen sich die Verleger auf der Frankfurter Buchmesse wieder die schönsten Erfolgsmeldungen. Dabei sind die Geschichten von verpassten Bestsellern und grandiosen Fehlurteilen viel besser.

Peter Wagner

An dieser Stelle erzählen Verleger von dem größten Fehlurteil ihrer bisherigen Karriere. Weitere Geständnisse lesen Sie in der SZ am Wochenende vom 2.10.10.

SZW

Stephenie Meyer: Bis(s) zum Morgengrauen

Lektoren werden zugeschmissen mit Manuskripten. Aber man liest sie ja nie während der Bürozeit, sondern nur am Abend oder am Wochenende. Dann prüft man in einer Sitzung ein Buch nach dem anderen und wenn alles mittelmäßig ist, kriegt man den Frust. Am Abend, als ich "Twilight" las, war es so.

"Noch 30 Seiten von diesem Schwachsinn, dann ist der Abend mein."

Ich hatte eine Reihe mit Mittelmaß hinter mir, griff nach dem nächsten Papierstapel und las auf dem Titel von "Vampiren" und "High School". Ich verdrehte die Augen. ,Mein Gott', dachte ich. ,Ich setze mich jetzt hin, lese noch 30 Seiten von dem Schwachsinn, dann ist der Abend mein.' Ich habe es in einem Rutsch durchgelesen. Ich war begeistert und wusste, dass ich dieses Buch mit 14 Jahren geliebt hätte. Dann schaltete ich in den Programmleitermodus und überlegte, ob es nicht doch zu kitschig ist? Hat es zu wenig Handlung? Lässt sich daraus eine Kampagne machen? Schließlich ging ich zu meinem Verleger.

Barbara König ist Programmleiterin Kinder- und Jugendbuch im Carlsen Verlag.

Ich habe damals "Twilight" gelesen und dachte: ,Das ist zu schmalzig, da passiert doch gar nix.' Es gibt so etwas wie Frauengeschmack und Männergeschmack. "Twilight" ist nicht Männergeschmack. Ich hätte es nicht ins Programm genommen. Zum Glück aber haben wir die Regelung, dass die Leiter der einzelnen Programmbereiche frei sind in der Wahl ihrer Bücher. Ich glaube an die Subjektivität von Entscheidungen. Sie führte dazu, dass ich "Harry Potter" gemacht habe, sie hat mich aber auch in die Irre geführt. Früher war ich bei Fischer und habe dort den Kinderbuchbereich aufgebaut. Eines Tages lag "Der goldene Kompass" von Philip Pullman auf dem Tisch. Ich las rein und konnte einfach nichts damit anfangen; dann hat es der Carlsen Verlag gekauft. Als ich den "Kompass" später wieder gelesen habe, war ich fassungslos darüber, dieses grandiose Buch abgesagt zu haben! Aber diese Entscheidung plagt mich nicht mehr - ich bin dem Buch zu Carlsen gefolgt.

Klaus Humann ist Verlegerischer Geschäftsführer im Carlsen Verlag.

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"Ich dachte: Ja, der hat einen besonderen Ton"

Jedes Jahr erreichen uns bei DuMont gut 1500 unverlangt eingesandte Manuskripte. Wir prüfen die alle, allein, um das Gefühl zu haben, alles richtig gemacht zu haben. Trotzdem haben wir noch kein einziges Mal ein unverlangt eingesandtes Manuskript zum Buch gemacht.

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Uwe Tellkamp: Der Turm

Ende 1999 aber bin ich auf einen Text mit lyrischer Prosa gestoßen, der herausstach. Ich habe dem Autor geschrieben, dass er mir sehr gut gefallen hat, dass wir ihn aber nicht unterkriegen. Es war Uwe Tellkamp. Zwei Jahre später hat er mir wieder etwas geschickt und beim dritten Mal habe ich dann abgesagt. Ich dachte immer: ,Ja, dieser Tellkamp hat einen besonderen Ton.' Er hat diese sehr ambitionierte Erzählweise, die einem eine Entscheidung für ihn zur selben Zeit leicht und schwer macht. Ich habe hin und her überlegt und dann entschieden, dass ich mir das nicht zutraue. 2004 gewann er den Bachmann-Preis, "Der Eisvogel" kam raus, und er bekam weitere Preise, von denen seine Bücher profitierten. Und dann kam "Der Turm". Traurig war ich über den Erfolg nicht. Es wäre schwerer zu ertragen, wenn man lange über ein Manuskript nachdächte und es dann nie wieder auftauchte. Das würde bedeuten, dass die Branche nicht richtig funktioniert.

Jo Lendle ist Verlegerischer Geschäftsführer bei DuMont.

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"Das war meine größte verlegerische Fehlentscheidung"

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Waris Dirie: Nomadentochter

Ich habe vor Jahren die "Wüstenblume" von Waris Dirie verlegt. Das Buch war ein Millionenerfolg, und ich hatte mit der Autorin eine mündliche Absprache über ein zweites Buch, "Nomadentochter". Dann hat sie sich, was vorkommt, eine literarische Agentin zugelegt. Diese Agentin hatte plötzlich eine Preisvorstellung, die das Fünffache dessen war, über das wir uns geeinigt hatten.

So sehr habe ich aber nicht an den Erfolg des zweiten Buches geglaubt. Ich war tödlich beleidigt und sagte: "Diese Summe zahle ich nicht." Daraufhin erschien das Buch bei Random House und wurde ein Bestseller, der sich auch finanziell gerechnet hat. Das war meine größte verlegerische Fehlentscheidung. Ich war zu ehrpusselig. Einige Jahre später erschien bei Random House "The Secret" von Rhonda Byrne. Das Buch hat mehr als eine Million Exemplare verkauft. Bei den Verhandlungen zu Byrnes zweitem Buch war wieder dieselbe Agentur wie bei Waris Dirie im Spiel. Auch die geforderte Garantiesumme war dieselbe wie bei "Nomadentochter". Diesmal schätzte Random House das Potential des zweiten Buches geringer ein. Daraufhin wendete sich die Agentur an mich. Ich habe "ja" gesagt. Wer den Erfolgstitel hat, glaubt oft nicht an den Erfolg des zweiten. Diesmal glaube ich daran. "The Power" erscheint zur Buchmesse - wir haben eine Erstauflage von 250000 und Papier für 400000 bestellt.

Hans-Peter Übleis ist Verlegerischer Geschäftsführer von Droemer Knaur.

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