Frankfurter Buchmesse 2012:Zehn Vetos gegen den Trend

Am kommenden Dienstag beginnt die Frankfurter Buchmesse. Wunderbar! Neue Bücher! Herrlich! Aber es gibt da ein paar Dinge, Trends und Themen, die wir nie mehr lesen, sehen, kaufen wollen. Hier sind sie: unsere zehn Einsprüche gegen Bücher, die sich zum Ärgernis entwickelt haben.

Am 10. Oktober startet die Frankfurter Buchmesse

Letzte Aufbauten für die Frankfurter Buchmesse: 

(Foto: dapd)

I.Regionalkrimis

Eiskalt in Nippes. Eiskaltes Schweigen in Heidelberg. Tod in Garmisch. Hafenmord, ein Rügen-Krimi. Gemünder Blut. Der Taunus lässt büßen. Friesensturm. Blutbuchen in der Altmark. Bayerwald-Thriller. Die Welt ist voller Morden. Und voller Fragen: War es der Meixner-Bauer, der geschossen hat? Wer hat die Spätzle vergiftet? Oder schmecken die immer so im Allgäu? Was verschweigt die Wirtin vom Bräuhof zur letzten Einkehr? Und wie viele Serienkiller gehen um im deutschen Regionalkrimi? Dutzende? Hunderte? Wer kann das noch wissen? Und wer kennt eine deutsche Gebietskörperschaft, in der es noch keinen melancholischen Kommissar gibt? Keine vom Anblick eines betrunkenen Papageis traumatisierte Ermittlerin? Keinen nebelumwaberten Krötenteich, in dem der schlafgestörte Angler frühmorgens eine Frauenleiche treiben sieht? Und was plant das Black-Ops-Team der CIA nächtens bei Kirchzarten? Und wer liest das alles? Und warum? Es muss irgendwo, tief in der Provinz, ein schreckliches Geheimnis geben.

II. Urologenberichte

Die meisten Menschen gehen einer bezahlten Tätigkeit nach, dann haben sie Feierabend, trinken etwas und gehen früh schlafen, weil sie am nächsten Morgen zeitig raus müssen. Auch der Rettungssanitäter Jörg Niessen sollte eigentlich ausgeschlafen sein, was tut er stattdessen? Er schreibt ein Buch über sein Leben als Rettungssanitäter. Aber wir wollen nicht wissen, was Jörg Niessen im Rettungsdienst erlebt und was er dabei empfindet. Wir wollen von Herrn Niessen gerettet werden, sofern es bei uns noch etwas zu retten gibt. Genauso wie wir vom Pathologen Paul Hille obduziert werden möchten, falls an unserem Ableben etwas merkwürdig sein sollte, ohne zuvor sein Buch "An Herzversagen stirbt man nicht" gelesen zu haben. Nur mit dem Urologen Dr. Martin Anibas möchten wir bitte möglichst wenig zu tun haben müssen, sein Buch "Das muss ich mir auf einer schmutzigen Toilette geholt haben" soll dort bleiben, wo es spielt. Liebe Ärzte, Helfer, Menschheitsretter: Tut weiter eure wunderbare Arbeit, wascht euch hinterher die Hände und fasst den Laptop nur an, um eure Abrechnungen zu machen. Die finanziellen, natürlich. Es gibt viel zu viele Berufstätige, die Bücher über ihren Berufsalltag schreiben, irgendwann kommt bestimmt sogar noch die Ehefrau irgendeines gewesenen Staatsmanns daher und schreibt, wie es ist, die Ehefrau eines gewesenen Staatsmanns zu sein.

III. Väterergüsse

Viele Frauen werden Mütter. Das bedeutet meist: Sie kümmern sich fortan um einen zweiten Menschen, ziehen ihn liebevoll auf, managen im Hintergrund die ganze Logistik, stehen also sehr früh auf und gehen abends dann ins Bett, weil so ein Tag mit Kindern anstrengend ist. Auch viele Männer werden Väter. Das bedeutete bislang: Sie gehen morgens aus dem Haus, um Geld ranzuschaffen. Abends gehen sie dann mit Freunden weg, was recht anstrengend ist, weshalb sie morgens länger schlafen müssen. Am Wochenende struwweln sie den Kindern mal durchs Haar oder sagen, dass sie endlich Hausaufgaben machen sollen. Heute bedeutet es im Prinzip dasselbe, nur dass sie zwischendurch ein paar Monate Elterngeld beziehen und in dieser Zeit Bücher über ihr Vatersein schreiben. Was recht anstrengend ist, weshalb sie morgens länger schlafen müssen. Über die Dinge, die für Frauen die letzten 500.000 Jahre völlig normal waren: Wickeln, spielen, zuhören, da sein. Väter dieser Welt, gut, dass es euch gibt, noch besser, dass ihr euch ein bisschen mehr Zeit nehmt als frühere Generationen. Aber bitte, nutzt diese Zeit doch für die Kinder statt für Bücher über euch und diese Kinder. Das könnt ihr ja immer noch machen, wenn sie aus dem Haus sind. Ihr werdet euch wundern, wie bald das ist.

IV. Welterkärungsformeln

Die meisten Werke, die ein "Warum wir" oder ein "Wie wir" im Untertitel haben, funktionieren so: Man verbindet Ergebnisse der empirischen Forschung, die scheinbar zwingend zu deuten sind, mit politisch-gesellschaftlichen Forderungen, die nun aber wirklich die einzig mögliche Lösung sind, die verdammt nochmal allerletzte alternativlose Rettung vor dem Weltenbrand. Das Rezept, das immer öfter ausprobiert wird, ist die ultimative Mischung aus wissenschaftlichem Positivismus und gedehnter Leitartikelprosa von endzeitlicher Dringlichkeit. Zum Anspruch, die wahren Hintergründe aller Miseren zu erklären, tritt das repressive Meinungs-"Wir", oft kombiniert mit einem Begriff des Niedergangs oder einem Begriff des Sollens. Titel aus jüngerer Zeit: "Wie wir die Zukunft unserer Kinder retten". "Warum wir Deutschland und Europa neu erfinden müssen". "Warum wir eine neue ökonomische Vernunft brauchen". "Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen". "Wie wir unser Land aufs Spiel setzen" . . . In all diesen Büchern wird man hoffentlich auch Richtiges und Bedenkenswertes finden. Doch das Warum-und-wie-wir-Genre übt inzwischen einen furchtbaren Zwang aus: Man nennt es Debatte und meint Hysterie. Dennoch sehnen sich die Verlage nach dem nächsten Bestseller-Aufreger. Möglicher Titel: "Warum wir es einfach nicht lassen können".

V. Netzwerke

So wie es aussieht, wird das Internet nicht mehr abgeschaltet. Das gibt es auch morgen noch. Und ja, es ist, wie es ist. Auch fürchterlich. Aber es gibt nicht: das Internet. Was es gibt, sind Autoren, die "das Internet" gerade für ihr Publikum entdeckt haben wie Kolumbus sein Amerika. Die finden das Netz dann irgendwie: schlimm und krankmachend, beschleunigt-beschleunigend, demokratisierend, sozial, eine große Chance, eine schlimme Gefahr, die Zukunft, das Ende. Kurzum: Das Netz ist so schlimm und so gut wie das Leben selbst. Verlage machen daraus analoge Bücher, die eine Bedeutungshalbwertzeit von drei Wochen haben. Dann sind sie Teil DER Debatte - die unbedingt geführt werden muss, weil es ja diesen enormen Erregungsgrad gibt. Nun verhält es sich aber so mit dem Leben, ihr lieben Autoren: Wenn unterm Strich alles richtig ist, was da jeder so für sich hinschreibt, dann ist alles falsch. Dann ist die Welt lediglich als so indifferent beschrieben, wie sie eben ist, aber sie ist leider damit nicht erklärt. Wenn man nämlich die genaueste Landkarte der Welt haben möchte, dann braucht man eine im Maßstab 1:1. Das sind die Internet-Bücher in Summe: Eine 1:1-Erregungsgrad-Karte. Ganz vorne dran, ja klar, aber nicht im Leben. Und darum auch instant hinfällig. Lasst also das Internet in Ruhe! Es hat euch nichts getan.

Liebeslyrik

Statt das große Lamento anzustimmen, dass wir am liebsten überhaupt nur noch ein Drittel der jährlichen Buchproduktion sehen würden, und zwar ohne die nervöse bis pompöse Begleitpoesie der Marketing-Abteilungen unserer geschätzten Verlage, beschränken wir uns auf eine Warnung pars pro toto: Was zunehmend an den Nerven sägt, ist die "bewegende Liebesgeschichte vor dem Hintergrund großer internationaler Konflikte" (Schöffling), gern auch als "Geschichte einer großen Liebe in düsteren Zeiten" (KiWi) beworben, als Erzählung von "Hoffnung und Liebe inmitten von Grausamkeit und Tod" (Knaus) oder, historisch konkreter, als "mitreißende Liebesgeschichte vor der Kulisse des besetzten Paris" (DVA). Bei der grassierenden Variante "Die schönste Liebesgeschichte seit Doktor Schiwago" (ebenda) sind Krieg und finstere Zeiten platzsparend im Referenztitel versteckt.

Wo der internationale Konflikt als Folie fehlt, und allein die Liebe es richten soll, läuft der Slogan vor Erregung schon mal aus dem Ruder: "Wie weit bist du bereit für die Liebe zu gehen?" (btb). Das geht gar nicht, beziehungsweise nur noch auf den Keks. Ja, die Liebe höret nimmer auf, und als Romanstoff dürfte sie unsterblich sein. Die Liebe des Berufslesers zum Buch und seinen Be- oder Vertreibern aber ist ein fragiles, flüchtiges Gefühl, das man nicht über Gebühr strapazieren sollte.

Blogbuster

Sie haben Schreibdrang? So sehr, dass Sie alle Welt im Netz daran teilhaben lassen? Schön, Sie sind also ein Blogger. Sie wollen mehr? Weil auch Sie - digitale Zeiten hin oder her - ein Buch in sich tragen, das gedruckt werden möchte? Dann machen Sie ein Blook, fassen also Ihre Blogeinträge in Buchform zusammen. Vorteil: Ihr digitaler Bekanntheitsgrad steht in umgekehrter Relation zu etwaigen Werbekosten für Ihr Buch. Sie können endlos Fortsetzungen herausbringen. Und Sie werden etwas Merkwürdiges erleben: Leute, die alles schon online gelesen haben, kaufen den Nachdruck. Ein Buch scheint haptische Grundbedürfnisse zu befriedigen. Mit Glück schnappt es sich sogar ein Produzent und macht einen Film daraus. Nun könnte man einwenden, das Konzept Blog-Buch stelle einen Widerspruch in sich dar. Ein Buch ist abgeschlossen, ein Blog ewig in Veränderung. Ein Buch, wenn es literarische Ansprüche hat, besitzt einen Spannungsbogen, ist durchstrukturiert. Ein Blog hingegen ist kurzweilig und -lebig, spontan, Stückwerk. Nun, wir wollen nicht pingelig sein. Und werden das (den?) Blook minderer Qualität an dem Ort lesen, an dem alle Witz- und Sinnspruch-Büchlein deponiert sind.

Riesenklopper

Friedrich Dürrenmatt sagte mal: "Der Grass ist mir einfach zu wenig intelligent, um so dicke Bücher zu schreiben." Ins Allgemeingültige übertragen bedeutet das: Wenn es schon Intelligenz erfordert, ein dünnes Buch zu schreiben, dann ist noch mehr Intelligenz erforderlich, um ein dickes vollzukriegen. Der Umkehrschluss schmeichelt dem Konsumenten: Je dicker das Buch, desto schlauer der Leser. Das hat zu einer Sorte von Büchern geführt, die man nicht mehr ins Regal stellt, sondern auf den Tisch legt. Bücher, groß wie die Pyramiden von Gizeh, breit wie der Assuanstaudamm, hoch wie der Mount Everest. Jeder sieht beim Eintritt in unsere Wohnung, dass in diesem Haushalt nicht klein, sondern groß gedacht wird. Und wenn schon nicht groß gedacht wird, dann wird wenigstens groß geschaut. Denn aus den Liebhaber-Ausgaben wie Arno Schmidts "Zettel's Traum" im Riesenschuber, die am besten gleich von Möbelpackern geliefert wurden, sind längst die Coffeetable-Foto-Klopper geworden. Bücher, so unhandlich, dass man sie nirgends mitnehmen kann, um sie na ja, was heißt lesen, um sie sich halt anzuschauen; noch nicht mal in das eigene Bett kann man sie schleppen, man weiß ja nicht, wie man sie halten soll, es sei denn, man heißt Schwarzenegger. Deshalb kann man nur ein Buch pro Zimmer rechnen, es sei denn, man hat Zimmer so groß wie im Buckingham Palace und genauso viele Tische wie Bücher.

Debütspektakel

In Zeiten, da Öffentlichkeit immer leichter zu haben ist und zugleich immer weniger bedeutet, gilt: Welpenschutz war gestern. Wenn in Klagenfurt das Frischfleisch der Saison auf den Markt geworfen wird, steht der gesamte Literaturbetrieb Spalier, um auf die Debütanten zu bieten. Denn hier kann man sich als Entdecker profilieren, seine Flagge als Erster in eine Terra incognita rammen, in der Hoffnung, es sei ein Kontinent und nicht bloß eine Sandbank. Debüts sind wichtig, weil sie den Generationenvertrag verkörpern, die Blutwäsche der Zunft, weil sie beweisen, dass stets Neues kommt. Außerdem hält sich das Gerücht, der Debütant sei noch näher dran am wahren Leben, bevor er am Schreibtisch zu verholzen beginnt. Obwohl es streng genommen nur ein einziges erstes Mal gibt, kann man das kompensieren. Wenn Joanne Rowling einen Erwachsenenroman schreibt, dann ist sie, wie vom Zauberstab berührt, nicht mehr das alte Schlachtross, das durch sieben Harry-Potter-Bücher geritten ist, sondern wieder das junge Fohlen, das im ersten Morgenlicht herumtollt. Das Debüt ist ein Bonus, ein Rabattmärkchen, das sich jeder Verlag in sein Portfolio klebt. Und einzeln sind sie ja in der Tat bezaubernd, diese Debütanten, scheue Rehe mit feuchten Augen und ersten tapsigen Schritten in der großen, bösen Welt der Literatur, aber in der Masse unerträglich. Doch weil sie so begehrt sind, werden die Debütanten heute in Schreibseminaren und Literaturinstituten gezüchtet. Frei laufende Exemplare sind selten wie der mexikanische Axolotl und deshalb um so gesuchter.

Pornopoesie

Wer das "Big Book of Pussy" gekauft hat (Taschen Verlag), interessiert sich Amazon zufolge auch für "Don't call it Pussy". Mal ganz abgesehen von "Klitoris - die schöne Unbekannte", vom "Big Penis Book" ("Bibel der Phallophilen) oder vom "Big Butt Book" ("herrlich hüpfende Hintern"). Das große Penis-Buch gibt es übrigens auch in einer 3D-Variante. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis es als Pop-up-Version herauskommt. Laut Media control sind "Sexbücher absolut im Trend". Entsprechend gut verkaufen sich: Sadomaso, Feuchtgebiete und alles, was irgend "tabulos" daherkommt, weshalb sich brave Buchhandlungen mittlerweile anhören wie jene Sexshops, von denen man dachte, sie seien ausgestorben: "Das große Buch vom Hintern? Gleich da vorn, zwischen dem Pussy-Regal und dem Penis-Stapel." Die Epoche der Aufklärung dauert an.

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