Frankfurter Altstadt:Das Wirtschaftssystem entscheidet, wie gebaut wird

Frankfurt am Main, Dom Roemer Areal, Huehnermarkt, Altstadt-Quartier - PRESSSEBILD

Der Hühnermarkt im Dom-Römer-Areal von Frankfurt am Main.

(Foto: Barbara Staubach)

Warum werden zeitgenössische Neubauten nicht mit so viel Detailliebe gebaut wie das Dom-Römer-Projekt in Frankfurt? Weil niemand dafür zahlen will.

Von Laura Weissmüller

Wer während der Bauzeit des Dom-Römer-Projekts durch das Quartier lief, sah glückliche Gesichter. Es waren die Handwerker, die immer wieder stolz ihre eigene Arbeit begutachteten. Fein geschliffene Sandsteinkonsolen, Laubengänge in leuchtenden Farben, reich verziertes Fachwerk. Maurer begeisterten sich für alte Bauweisen, die hier wieder zum Einsatz kamen. Baggerfahrer rangierten so sorgsam in den schmalen Gassen, als ginge es darum, rohe Eier zu umkurven. Und eine Restauratorin, die gerade einen Zierbrunnen gestaltete, strahlte über ihr Werk fast so sehr wie die glitzernden Steinchen, die sie dafür nebeneinandersetzte. Egal, was man architektonisch von dem Wiederaufbauprojekt hält, die Sorgfalt und die Detailliebe, die hier zum Einsatz kamen, waren beeindruckend.

Ist dieses kleine Quartier deswegen der Beweis dafür, dass Architektur, die sich streng an der Vorkriegsvergangenheit orientiert, eine bessere ist als die der Nachkriegszeit? Schließlich wird hier auf engstem Raum Wohnen und Arbeiten wieder zusammengeführt, was automatisch zur Belebung führen dürfte. Die Menschen können durch die Gassen flanieren, weil die Plätze öffentlich und frei von Autos sind. In gewisser Weise wirkt das Viertel, das nicht mehr als drei Dutzend Häuser umfasst, damit wie der Sehnsuchtsort vieler Städter, deren Alltag von Dauerstau, weiten Wegen und öder Monotonie der Betonfassaden ringsum bestimmt ist.

Doch die Lebendigkeit, die bald in diese paar Straßen zwischen Dom und Römer einziehen dürfte und die man sich für jedes Neubauquartier in diesem Land nur wünschen kann, hat wenig mit der historisierenden Fassadengestaltung, dafür viel mit der Qualität des Bauens zu tun. Man würde sich wünschen, dass einmal so viel Liebe fürs Detail und Sorgfalt in ein Bauprojekt gesteckt wird, das nicht so tut, als hätte es den Zweiten Weltkrieg nie gegeben. In ein Quartier also, das tatsächlich unsere Gegenwart ernst nimmt und versucht, Formen zu finden, wie Menschen auch in Zukunft in den Zentren unserer Städte wohnen und arbeiten können. Und zwar alle Schichten. Das neue Altstadtquartier in Frankfurt blendet hinter Fachwerk all diese drängenden Fragen aus. Seine Qualität liegt ausschließlich in der Ausführung.

Das fängt mit der Planung an. Um auf den etwa 7000 Quadratmetern 35 Gebäude, dazu diverse Plätze, Innenhöfe und Gassen unterzubringen, brauchte es vor allem die Erlaubnis, kreativ mit dem Baugesetz umgehen zu dürfen. Anders wäre eine solche Dichte - und genau die ist es ja, die zur Belebung führen wird - gar nicht realisierbar gewesen. Bei dem städtischen Projekt zogen offenbar alle an einem Strang, Architekten, Auftraggeber, aber auch die Baubehörde. So war es möglich, dass der Frankfurter Kunstverein, ein Bau aus der Nachkriegszeit, den Brandschutz für ein angrenzendes Gebäude des neuen Quartiers übernehmen durfte. Von einem solchen Entgegenkommen auf Seiten der Baubehörde können viele Architekten, die etwas Neues ausprobieren wollen, nur träumen.

Dazu kam die Sorgfalt bei der Ausführung. Vieles war Handarbeit. Jedes Haus bekam die Aufmerksamkeit, die es verdient. Standard war nichts, individuelle Lösungen dafür alles, bis zu der Aufgabe, der aktuellen Energieeinsparverordnung gerecht zu werden. Diese Sorgfalt in der Planung und in der Ausführung kostete Zeit und sie kostete Geld.

Genau das fehlt den allermeisten Neubauquartieren dieses Landes. Statt sich in der Entwurfsphase Gedanken zu machen, wie jedes Haus, jeder Platz und jede Straße so gestaltet werden können, dass aus dem Areal ein lebendiges Ganzes wird, stülpt man unterschiedlichen Orten nahezu identische Masterpläne über. Ein Haus darin wirkt so austauschbar wie das andere. Lieblose Schachteln, mal längs, mal quer aufgestellt. Es ist eine ortlose Architektur, die so unbehaust ist wie die öffentlichen Plätze, die dort entstehen.

Der industrielle Wohnungsbau genauso wie der Büro- und Gewerbebau unserer Zeit sind das minutiöse Abbild des heutigen Turbokapitalismus. Alles, was Geld kostet, aber dem Investor keinen Gewinn bringt, wird gestrichen. Der großzügige Innenhof genauso wie die Freifläche zwischen Grundstücksgrenze und Straße. Das Fenster im Bad, genauso wie der Laubengang oder das lichte Treppenhaus. Jeder Quadratmeter muss sich rechnen. Wie wohl sich ein Mensch darin fühlt, ob die Bewohner eines Hauses sich entspannt oder gereizt begegnen und ob das neugebaute Viertel dem alten Quartier etwas bringt, spielt in einer solchen Kalkulation keine Rolle. Wie auch, bevor die Bewohner einziehen, hat der Investor das Projekt längst verkauft. In welchen Gebäuden eine Gesellschaft wohnt, arbeitet und einkauft, ist das Ergebnis ihres Wirtschaftssystems - und nicht der Wahl eines Architekturstils.

Qualität und Sorgfalt sind keine Frage des Architekturstils

Und genau deswegen macht es keinen Sinn, das neue Frankfurter Altstadtquartier in Stellung gegen eine Architektur zu bringen, die versucht, auf die Probleme unserer Zeit zu reagieren. Wer die Qualitäten beider Richtungen - hier die Bauten der Altstadtfreunde, dort die der Avantgardisten - ernsthaft vergleichen möchte, müsste erst mit derselben Sorgfalt, Detailfreude und Unterstützung der Baubehörde ein ähnlich dichtes Stück Stadt, und zwar in gleicher zentraler Lage, in zeitgenössischem Gewand bauen lassen. Ansonsten ist es unlauter, eine Architektur für ihre Unbehaustheit verantwortlich zu machen, wenn man sie aus Kostengründen genau in dieses Korsett zwingt.

Die Berliner Philharmoniker haben gerade angekündigt, ein Benefizkonzert für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses zu geben. Wer durch deutsche Neubauquartiere läuft und deren Trostlosigkeit sieht, wünscht sich auch für diese Häuser eine solche Unterstützung. Schließlich verbringen wir nirgendwo mehr Zeit als in den Gebäuden, wo wir arbeiten und wo wir wohnen.

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