Süddeutsche Zeitung

Theater:Befreiung

In Frankfurt soll in einem Sommerbau wieder Theater gespielt werden. Draußen, wie einst bei Shakespeare.

Von Till Briegleb

Shakespeare ist gerade in aller Munde. Nicht wegen aktueller Inszenierungen, sondern weil sein Theater einst auf einer Bühne stattfand, die den deprimierten Kulturschaffenden der Gegenwart wie die Lösung all ihrer Probleme erscheint. Wer über mögliche Szenarien für Theater, Musik und auch Kunstperformances im Virenalarm nachdenkt, stößt unweigerlich auf das Londoner Globe Theatre als Vorbild. Mit seinen getrennten Zuschauerlogen und dem Spielplatz unter freiem Himmel ist der Rundbau von 1599 die perfekte Vorlage für den gut gelüfteten Neustart der spielerischen Künste.

Deswegen fiel der Hinweis auf diese berühmte Freilichtbühne in der Struktur eines Opernhauses natürlich auch bei der Vorstellung des "Sommerbaus" in Frankfurt. Ein Zusammenschluss vieler Institutionen performativer Kultur im Rhein-Main-Gebiet, die ihre Arbeit seit Monaten nur in Streams präsentieren dürfen, plant eine große Arena gegen das Kulturfasten - unter Federführung des Künstlerhauses Mousonturm und der Kulturkooperative Frankfurt LAB. Sollte das aktuelle Infektionsschutzgesetz, das Live-Kultur bei zu hohen Inzidenzwerten auch draußen kategorisch verbietet, bis dahin genügend mit vernünftigen Ausnahmeregelungen aufgeweicht sein, kann von Juli an drei Monate lang ein dichtes Sommerprogramm organisiert werden - vor allem aus den vielen Projekten, die im Lockdown produziert und nie live gezeigt wurden.

Entworfen hat das neue Globe-Theater in Dreiecksform Raumlabor Berlin, ein Kollektiv aus Architekten, Künstlern und Designern, die seit Jahren temporäre Bauten für Kultur- und Bildungsveranstaltungen entwickeln. Mitten in einem Bürostandort auf der Stadtgrenze von Frankfurt und Offenbach, zwischen Autobahn, Parkplätzen und Main (aber mit S-Bahn-Anschluss), würde sich das Konstrukt aus Baugerüsten, Containern, Holz und einer Fassade aus großen schrägen Blechwänden wie eine geköpfte silberne Pyramide spektakulär einfügen. Ein schillerndes Symbol für die Befreiung der Kultur aus dem Pharaonengrab des Digitalen.

Innen soll der "Sommerbau" von ähnlicher Buntheit geprägt sein wie eine ägyptische Grabkammer, nur eben mit Zweier-Logen für rund 200 Besucher auf drei Geschossen. Da kann die Kulturmumie der Covid-Epoche auferstehen ohne den geringsten Fluch der Ansteckung zu verbreiten, denn zwischen den gegenüberliegenden Besucherzellen des inneren Bühnensechsecks liegen 25 Meter. Und solche Spielstätten mit separierten Logen und bester Lüftung plant Raumlabor Berlin nicht nur in Frankfurt. Für das Theater der Welt in Düsseldorf etwa, das diesen Juni gerne starten möchte, wurde eine Freilichtbühne vor dem Theater aus den Flugzeugteilen einer zersägten Transall der Bundeswehr konzipiert. Recyclen gehört zum Grundprogramm von Raumlabor. Die Gerüstkonstruktion für Frankfurt etwa kann fast komplett demontiert und wieder dem Baugewerbe zur Verfügung gestellt werden.

Rund eine Million Euro Fördergelder benötigt das Globe Frankfurt für Aufbau und Betrieb. Aber die einzutreiben, ist im Moment nicht das Problem der Veranstalter. Alle Institutionen, die sich für Kultur interessieren, geben gerade gerne Geld und Unterstützung, auch in der kommunalen Politik von Frankfurt und Offenbach. Was Matthias Pees, der Intendant des Mousonturms fürchtet, ist, "dass es Ausnahmeregelungen für Live-Kultur wieder nur für Rockfestivals gibt", also für kommerzielle Großveranstalter und nicht für eine lebendige Stadtkultur.

Dabei könnte das Modell der robusten Blechbühne Schule machen, als Copy-and-Paste-Theater für alle Städte, um Kulturvergnügen ohne Angst zu garantieren. Fürchten müssten sich dann höchstens noch die Akteurinnen und Akteure auf der Bühne. Frankfurt etwa hat im Juli statistisch 14 Regentage. Aber wenn das im verregneten London des 17. Jahrhunderts kein Problem war, sollte es im outdoorverrückten Deutschland 2021 kein Grund sein, zu Hause zu bleiben. "Wetter ist doch super", sagt der Sommerbau-Architekt von Raumlabor, Benjamin Foerster-Baldenius, dazu. "Die Schmerzgrenze des Homeoffice ist doch für alle längst erreicht". Bei Shakespeare heißt das: "Hol die Pest alle feigen Memmen und das Wetter obendrein."

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