Franka Potente über Pornos:"Sex-Shops sind heute Lifestyle-Läden"

Sie ist eine der international erfolgreichsten deutschen Schauspielerinnen. Nun übernimmt Franka Potente ("Lola rennt") die Rolle einer Frau, die wie kaum eine andere für die Deutschen für Sex steht: Beate Uhse. Am 9. Oktober wird die 37-Jährige in "Beate Uhse - Das Recht auf Liebe" im ZDF zu sehen sein.

Michaela Haas

Das Avalon, ein schönes Hotel aus den Zwanzigern in Beverly Hills. Franka Potente raucht nicht mehr, trinkt Wasser. Paparazzi haben sie vor kurzem mit ihrer im April geborenen Tochter und dem amerikanischen Schauspieler Derek Richardson abgeschossen, obwohl sie Baby und Kindsvater eisern als Privatsache betrachtet. Der nette Pressemensch hatte davor gewarnt, die Paparazzi-Fotos überhaupt zu erwähnen, sonst würde Franka "sofort schlechte Laune" kriegen. Aber sie ist bester Stimmung und sprudelt sofort los, in einem bezaubernden deutsch-berlinerisch-amerikanischen Mix.

Franka Potente mag Strip-Clubs

Absolut glaubhaft in der Rolle der Beate Uhse: Franka Potente.

(Foto: dapd)

SZ: Frau Potente, kommende Woche sehen wir Sie in der Rolle der Beate Uhse im Fernsehen. Waren Sie schon mal im Sexshop?

Franka Potente: Klar, ich war schon in einigen, zum Beispiel in London. Hier in Los Angeles gibt's einen schönen, den Pleasure Chest in West Hollywood. In Berlin war ich auch schon in einem, der war allerdings ein bisschen altmodisch. Ich glaube, heute sagt man gar nicht mehr Sexshop, das sind eher so Lifestyle-Läden geworden, nee?

Ach ja?

Manche sind wie eine Lounge gemacht, es ist völlig normal, dass man da für eine Junggesellinnen-Party irgendwas einkauft. Ich finde es schade, dass der Beate-Uhse-Laden am Bahnhof Zoo in Berlin schon so angestaubt ist. Es wäre toll, wenn die das Marketing mal moderner machen würden. Man muss das schon nett machen, sonst hat man keine Lust, da reinzugehen.

Ich war mal in einem Pornokino. Da war nichts lustvoll.

Im Pornokino laufen natürlich diese Wichsgeschichten. Aber das muss ja gar nicht so sein.

Ist Ihnen die Vorstellung, dass ein Fan Sie im Sexshop erkennen könnte, nicht unangenehm?

Ich habe da keine Berührungsängste. In dem Sexshop auf der Melrose Avenue, den es mittlerweile nicht mehr gibt, hat mich mal ein Fan angesprochen. Das war total komisch, weil ich mich dann mit einem Dildo in seiner Weste verfangen habe. Es ist übrigens auch nicht viel unangenehmer, als beim Gynäkologen zu sitzen, der dann mitten in der Untersuchung sagt: "Mensch, ich hab Ihren letzten Film gesehen. Fand ich gut!" Da denkste dir: Der könnte jetzt aber auch kurz mal warten, bis wir fertig sind... Aber das ist halt Enthusiasmus, der kennt keine Grenzen.

Obwohl man Sie beide so gar nicht miteinander in Verbindung gebracht hätte, wirken Sie absolut glaubhaft in der Rolle der Beate Uhse. Wer war sie für Sie?

Am besten beschreibt es ein Interview, das ich bei der Vorbereitung gesehen habe. Sie hatte schon ein fettes Unternehmen und war bereits geschieden. Sie sitzt da mit ihrem Sohn, hat so eine fast selbstgestrickte Weste an, über einer zugeknöpften Bluse, dazu ihren berühmt komischen Haarschnitt, und die ganze Zeit vermittelt sie auf sympathische Weise den Eindruck, dass sie gar nicht bei dem Interview dabei sein möchte.

Und damit können Sie sich identifizieren?

"Sie war ganz bodenständig"

Beate war immer ganz froh, wenn sie nichts sagen musste. Das kenne ich. Manchmal muss ich so viel reden über meine Arbeit. Da denke ich mir heimlich, Mensch, was machste denn da?

Gibt es noch andere Facetten von Beate Uhse, in denen Sie sich wiedererkennen?

Sie war ganz bodenständig und sehr pragmatisch. Ich glaube, es war eher Zufall, dass sie in diese ganzen Sex-Diskussionen geraten ist und Erotikartikel verkaufte. Die war einfach besser aufgeklärt als die anderen Frauen zu dieser Zeit. Es wurde ihr dann zum Anliegen, als es ihr an Haus und Hof gegangen ist. Ich empfinde Beate als erfrischend undogmatisch - anders als eine Alice Schwarzer, die sich auf einer ganz anderen Ebene für Frauen eingesetzt hat. Beate war ein kämpferischer Mensch, aber auf jeden Fall nicht streitsüchtig, sondern eher: so, das gehört mir, und da kackt ihr mir nicht vor die Haustür. Nicht mehr und nicht weniger. Dieses Einfache, ganz positiv gesehen, fand ich berührend. Eben so, wie sie da in diesem Interview saß, in dieser Strickweste und davon erzählt, dass sie am liebsten im Garten Gemüse anbaut.

Die Aufklärerin der Nation träumte ganz spießig von der Formel "Haus, Garten, Familie".

Wie Kinder, Küche, Kirche.

Wie lautet Ihre Formel?

Familie, Freund, Rotwein. Das war so ein Fünfziger-Jahre-Ding, da wurden den Frauen ganz artig drei Wörterchen geschenkt, um ihre Träume zu beschreiben. Heute dürfen wir ganze Bücher drüber schreiben, und das, was wir wollen, auf T-Shirts drucken.

Sie wuchsen in der Kleinstadt Dülmen auf. Ihre Mutter war medizinische Assistentin, Ihr Vater Lehrer. Waren Ihre Eltern eher konservativ?

Ich kann mich zum Beispiel nicht daran erinnern, dass meine Eltern ständig nackt durchs Haus gelaufen wären. Das war völlig normales Mittelmaß. Mit 15 oder 16 habe ich die Pille genommen, mein Freund, den ich damals hatte, durfte auch bei mir übernachten. Da waren meine Eltern relativ cool, wobei die sich wohl dachten, das soll lieber unter unserem Dach passieren.

"Nix mit Biene und Blume"

Erinnern Sie sich daran, wie Sie aufgeklärt wurden?

Ich glaube, das war eine Mischung aus Schulfreunden und dann zu Hause mal hingesetzt. Aber meine Eltern haben schon gesagt, wie's ist, also nix mit Biene und Blume. Ich habe immer mit vielen Kindern unterschiedlichen Alters draußen auf dem Sandberg gespielt. Da hat man alles Mögliche mitgekriegt. Ich weiß noch, dass die immer vom "Ficken" sprachen. Irgendwann weiß man dann, was das bedeutet.

Bei Beate Uhse denkt man auch an Pornos. Die kann man als Frau meistens nur begrenzt erotisch finden, oder?

Wenn die Sache mit den Pornos nicht wäre, könnte man sich Beate eher als Galionsfigur vorstellen. Das ist natürlich ein zweischneidiges Schwert. Jeder wirklich gute Unternehmer hat auch Ware, mit der er emotional gar nicht so verbandelt ist. Sie hat selbst gesagt, dass sie auch Sachen im Sortiment hat, die sie persönlich gar nicht drin haben möchte, aber da gäbe es nun mal eine Nachfrage.

Im Film ist übrigens von Pornos nicht die Rede. Obwohl Beate Uhse darin eine Zeitlang Marktführerin war.

Die Pornos sind im Film nicht drin, weil das wieder ein ganz neues Fass aufmachen würde. Wir haben uns darauf beschränkt, Beate als Mutter, Ehefrau und kämpfende Unternehmerin zu zeigen.

Sie war eine starke Frau, hat aber mehr als zehn Jahre die Affäre ihres Mannes mit dem Kindermädchen geduldet. Ist das nicht ein Widerspruch?

Stärke ist relativ. Beate Uhse war eher starrköpfig als stark. Das ist ja auch das Interessante. Die Leute, die am glorreichsten dastehen, haben auch immer ihre Achillesferse. Beate wollte einfach so sehnsuchtsvoll ein Ideal leben, wie das, nach dem ihre Eltern lebten ...

Und war bereit, dafür beide Augen zuzudrücken und ihren Mann auch noch finanziell auszuhalten?

Wie sagt man so schön im Englischen: It takes two to tango. Klar, wenn wir heute mit Beate befreundet wären, würden wir sagen, "Beate, du spinnst!" Ich glaube, dass Beate das sehr getrennt hat. Das kann ich auch gut nachvollziehen. Arbeit ist Arbeit, privat ist privat. Weil es so eine Sehnsucht gibt danach, dass man sich nicht zu sehr in dem einen Bereich verliert. Ich glaube, wenn man das zu sehr verschmilzt, das Private und die Arbeit, gelten plötzlich dieselben Regeln für beide Bereiche. Damit kann ich auch nicht gut umgehen.

Sie ziehen zwischen Ihrem Privatleben und der Öffentlichkeit klare Grenzen. Wie haben Sie es geschafft, Ihre Schwangerschaft und die Geburt Ihrer Tochter im April so lange geheim zu halten?

Das ist ein großes Missverständnis. Aktiv habe ich gar nichts verheimlicht. Ich habe einfach mein Leben normal gelebt. Ich twittere eben nicht und verhalte mich normal, dann werde ich einfach übersehen. Es wird einem suggeriert, jeder habe ein Anrecht darauf, alles zu wissen. Als Künstler muss man die Öffentlichkeit aber nicht in Kenntnis setzen über Veränderungen im Privatleben. Das wird einem nur eingeredet - natürlich weil es dann eine Schlagzeile ist. Ich finde das als Phänomen interessant, aber natürlich ist es unangenehm, wenn es einen selber betrifft.

Was genau ist daran unangenehm?

"Mensch, bist du nicht die aus dem Film?"

Die Leute tun so, als gäbe es einen unsichtbaren Pakt, dass man für den roten Teppich und die Berühmtheit, die man doch so genießt, und das viele Geld, das doch alle gerne hätten, damit bezahlen soll, etwas von sich preiszugeben. Als wäre das eine Währung. So funktioniert's vielleicht bei Leuten wie Kim Kardashian. Die kriegen auch wirklich Geld dafür.

Fühlen Sie sich, wie Klinsmann und Gottschalk, in Los Angeles auch deshalb wohl, weil Sie unbehelligt durch die Straßen gehen können?

Ganz ehrlich, es passiert mir hier eher öfter, dass mich Leute ansprechen. Diese Begegnungen lösen bei mir eigentlich immer physisches Unwohlsein aus; aber hier sind sie lässig. Ein kurzes: "Mensch, bist du nicht die aus dem Film, wie heißt du noch mal?" Dann gehen die Leute weiter. Das ist okay. Klar, gegen Stars wie Julia Roberts oder Tom Hanks bin ich die von nebenan.

Sind die Amerikaner denn heute noch so prüde, wie man sagt?

Im Bibelgürtel geht natürlich gar nix; in Kalifornien sind wir relativ liberal. Für mich als Europäerin ist eher das Rechtssystem ein Problem, diese ganzen Doppelmoral-Dinger. Zum Beispiel darf man nicht mit einer Flasche Bier auf die Straße gehen, sondern muss da 'ne Tüte drum rum wickeln. Diese ganzen Regelungen kommen, glaube ich, gar nicht so sehr aus den Menschen heraus, sondern aus diesem komischen Rechtssystem, wo irgendeiner mal überlegt hat: Wen kann ich denn jetzt verklagen?

Aber auch in Kalifornien holen die Amis den Sheriff, wenn eine Frau am Strand ihr Bikini-Oberteil ablegt.

Das hängt aber auch damit zusammen, dass es gesetzlich reguliert wurde. Aber da wir gerade über lustvolles Erleben sprachen, da fallen mir an Amerika ganz andere Dinge auf, zum Beispiel, dass man hier sehr gehetzt ist, etwa beim Essen oder Trinken. Da denke ich mir schon, also, wenn man nicht mal ein Glas Wein genießen kann, wie sieht's dann in anderen Bereichen aus?

Auf Ihrer Website steht als Ihr Motto: Always keep moving. Immer in Bewegung bleiben. Sie wirken aber eher ganz angekommen hier. . .

Der Stress ist raus. Ich bin zur Ruhe gekommen, gleichzeitig ist alles neu und aufregend. Das Schreiben ist natürlich auch ein absolutes Anhalten. Dynamisch im Kopf - aber man sitzt de facto still da. Das ist das Härteste daran.

Was ist das Schreiben für Sie - Freude, Qual, Bedürfnis?

Qual, Bedürfnis, und der Raum größtmöglicher Freiheit, das ist das Tolle daran. Als Schauspieler ist das, was ich zeige, immer die Vision eines Regisseurs...

Worum geht's in dem Buch?

Es ist noch zu früh, das zu sagen. Es wächst noch. Ich will nicht als Schauspielerin, die jetzt auch noch schreibt, wahrgenommen werden. Das Schreiben soll mein zweites Standbein werden. Und ich will natürlich auch hier auf Englisch publiziert werden, zumal die Geschichte in Los Angeles spielt.

Ist Los Angeles also jetzt Ihre neue Heimat geworden?

Im Moment spreche ich nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie. Los Angeles ist jetzt der Lebensmittelpunkt, an dem wir sicher erst mal bleiben. In Berlin sind nach wie vor meine engsten Freunde und Familie. Ich hab' viel Geschichte in Berlin, das wird immer so bleiben, aber unsere Lebensrealität ist jetzt hier.

Sind Sie hier glücklich?

Ich bin glücklich. Als ich vor sieben Jahren das erste Mal hierherkam, war ich es nicht. Meine Beziehung war gerade zu Ende gegangen, das politische Klima - der Irak-Krieg und George Bush - war auch schwierig, ich empfand das alles als sehr anstrengend. Da hatte ich nach einiger Zeit keinen Bock mehr drauf und bin wieder für eine Weile zurück nach Berlin gezogen. Inzwischen aber hat sich auch Los Angeles positiv verändert, obwohl die Stadt kein Geld hat.

Können Sie verstehen, dass der Hollywood-Durchbruch in Deutschland als Nonplusultra gilt?

Das steht mir eher im Weg. Wenn sich einer entscheidet, dass er mich darauf festlegen will. Mancher versucht dann so eine seltsame Verbrüderung: "Ey, gehste da auch immer ins Spago..."

. . . das Promi-Restaurant, in dem der Salat 30 Dollar kostet . . .

Ja. Und: Nee, da geh ich nicht hin. Das hat mit mir gar nichts zu tun. Manchmal wünsche ich mir, es würde dieses ganze Hollywood-Ding, diesen Background gar nicht geben. Also ganz ehrlich, wegen mir muss da niemand ein Geschiss drum machen. Das hat weder mit mir noch mit meiner Arbeit was zu tun.

Natürlich beäugt man die eigenen Leute in Hollywood besonders, schließlich geht's ja um die Frage: Hat unser Land Superstar-Potential?

Jahaa. "Ohne Oscar nach Hause gekommen", hat mal einer geschrieben. Oh Mann! Ja, weesste? Genau wie der Martin Scorsese. Scorsese und ich!

Franka Potente, geboren am 22. Juli1974 in Münster, mag sperrige Figuren. Seit sie 1998 als "Lola" durch Berlin rannte, ist sie auch in Hollywood ein Star. Sie hat in "Blow" neben Johnny Depp gespielt, in "Die Bourne Identität" neben Matt Damon, 2009 hatte sie zwei Gastauftritte in der amerikanischen Erfolgsserie "Dr. House". Für den Stummfilm "Der die Tollkirsche ausgräbt" schrieb sie das Drehbuch und führte Regie. Im letzten Jahr erschien ihr Erzählband "Zehn" mit Kurzgeschichten aus Japan, zuvor hatte sie bereits ein Fitnessbuch mit ihrem Trainer Karsten Schellenberg und einen Briefwechsel mit einem Freund veröffentlicht ("Berlin-Los Angeles. Ein Jahr"). Sie schreibt an ihrem ersten Roman, der 2012 bei Piper erscheinen soll. Zunächst aber ist sie am 9. Oktober 2011 im ZDF in der Titelrolle von "Beate Uhse - Das Recht auf Liebe" zu sehen; im November dann im ARD-Zweiteiler "Laconia".

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