Frank-Walter Steinmeier in München:"Soft Power" - eine der cleversten Strategien der Politik

Außenminister Steinmeier imIrak

Der "freie Mitarbeiter" des Goethe-Instituts unterwegs: Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei jesidischen Flüchtlingen im Irak.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Wie virtuos Außenminister Steinmeier die Überzeugung durch Kultur beherrscht, zeigt ein Besuch in München.

Von Andrian Kreye

Es war ein Besuch mit einem historischen Kern. Am Montag kam Außenminister Frank-Walter Steinmeier in die Zentrale des Goethe-Instituts in München. Es war sein erster Besuch. Das ist der historische Kern. Seine Vorgänger Joschka Fischer und Guido Westerwelle hatten sich hier nie blicken lassen. Langjährige Goethe-Mitarbeiter und das Archiv erinnern sich an eine Visite von Klaus Kinkel im Juni 1998.

Es war dann zwar ein kurzer Besuch, auch kurzfristig angesetzt. Die Gänge und Räume, von denen man wusste, dass sie der Außenminister durchschreiten würde, waren noch schnell frisch angestrichen worden. Statt langer Debatten und Verkündungen gab es eine Podiumsdiskussion, die Goethe-Präsident Klaus-Dieter Lehmann moderierte, um pädagogisch wertvoll die wichtigsten Punkte der kulturellen Außenpolitik Deutschlands zu vermitteln.

Die CIA finanzierte den Kongress für Kulturelle Freiheit in Paris - und damit auch Künstler

Und doch war es ein deutliches Zeichen für die 300 anwesenden Mitarbeiter (Außendienstmitarbeiter konnten die Veranstaltung via Stream im Internet verfolgen), dass sie an einer Schlüsselstelle dessen arbeiten, was der Harvard-Politologe Joseph Nye einst "Soft Power" nannte.

Nye beschrieb damit die Politik der Überzeugung durch Glaubwürdigkeit, die man vor allem mithilfe von Kultur und Wissenschaft erreicht. Diese sah er als Gegensatz zur Politik des Zwangs mithilfe von militärischer und wirtschaftlicher Stärke. Inzwischen ist Soft Power ein stehender Begriff der Politologie, der eingedeutscht etwas ungeschickt als "weiche Macht" gebraucht wird. Dabei geht es bei der Soft Power und auch beim Goethe-Institut keineswegs um weiche Themen.

Die Arbeitsgruppe soziale Medien führte dem Minister zum Beispiel gleich mal die App "Gut ankommen" vor, mit der sich Flüchtlinge in vier Sprachen auf das Leben in Deutschland vorbereiten können. In anderem Rahmen wäre so etwas eine hübsche Spielerei. Im Kontext einer Flüchtlingskrise, in der soziale Medien für Menschen auf der Flucht oder im Exil ein lebenswichtiges Instrument geworden sind, ist das Kärrnerarbeit.

Man könnte jetzt noch etwas über das konzentrierte Interesse Steinmeiers an der Goethe-Arbeit erzählen, von der Bugwelle aus Bodyguards, Entourage und Hierarchen, die an so einem drückenden Sommervormittag aus dem Blaulichtkonvoi in die kühlen Gänge eines Amtes fluten, das ja eigentlich ein Verein ist, aber letztlich eben doch so etwas wie ein ausführendes Organ des Außenministers.

Es ist ein kompliziertes Konstrukt, das Steinmeier mal mit dem Satz "Ich bin freier Mitarbeiter des Goethe-Instituts" auf den Punkt brachte. Man hätte dann die hübsche Filmszenerie eines klassischen Staatsbesuches. Wenn die Ausübung dieser Soft Power nicht so viel komplexer wäre als ein kurzer Auftritt eines Machthabers bei den Ausführenden.

Abstrakter Expressionismus - Erfolg von Soft-Power-Politik

Wollte man dies nicht den Mitarbeitern des Goethe-Instituts erklären, die das von Berufs wegen ohnehin schon wissen, sondern interessierten Politik-Laien, hätte man auch kurz die Straße runterfahren und einmal links abbiegen können. Da steht das Museum der Sammlung Brandhorst, in der gerade zwei Ausstellungen laufen. Eine zeigt Arbeiten des abstrakten Expressionisten Cy Twombly, die andere zeigt Werke aus der Sammlung, die sich vor allem auf die Sechziger- und Siebzigerjahre, also auf die Folgen des abstrakten Expressionismus konzentriert.

Wahrscheinlich ist der abstrakte Expressionismus einer der größten Erfolge von Soft-Power-Politik. Der Kongress für Kulturelle Freiheit in Paris hatte diese Kunstbewegung nach Europa gebracht. Finanziert wurde die Organisation in den Fünfziger- und Sechzigerjahren von der CIA. Der CIA-Beamte Donald Jameson sagte damals, er würde zu gerne behaupten, dass die CIA den abstrakten Expressionismus erfunden habe, um zu sehen, wie die Kunstwelt in New York darauf reagierte. Er lieferte dann aber die realistische Begründung für seine Witzelei: Die Kraft der modernen Kunst habe das Pathos des sowjetischen Realismus alt und steif aussehen lassen.

Sicher muss man mit der historischen Parallele vorsichtig sein. Und auch Steinmeier betonte, dass Kulturarbeit nicht von der Politik gelenkt werden dürfe. Damals finanzierte die CIA ja nicht nur ein Programm, das Kunst und Gedanken ohne Vorgaben förderte, sondern initiierte auch Putsche und Bürgerkriege. Und doch zeigt das CIA-Programm (man kann das in Frances Saunders' Buch "The Cultural Cold War" nachlesen), wie eine Nation mit Kulturarbeit einen nachhaltigeren weltpolitischen Status erreichen kann als mit Flugzeugträgern oder Freihandelsverträgen.

Damit wären wir wieder beim Montagvormittag in München. Deutschland hat derzeit keine kulturelle Bewegung vorzuweisen, die die Gegenwart bestimmt. Berlin mag als interessanteste Stadt der Welt gefeiert werden, die kulturelle Welt bewegen aber immer noch New York, London und Paris. Mal davon abgesehen, dass diese Zentren vor allem für Europa und Amerika Bedeutung haben. Auch das erwähnt Frank-Walter Steinmeier dann auf dem Podium. Man dürfe nicht vergessen, dass Europa und seine Werte nicht mehr die automatische erste Adresse seien, an der sich gesellschaftliche Wandlungsprozesse orientieren.

Als Kronzeugen für diese Bemerkung hatte er den Schriftsteller und Sinologen Tilman Spengler mitgebracht. Der erzählte davon, wie China derzeit weltweit mit seinen Konfuzius-Instituten und im Inland mit einer "Plethora an Baulichkeiten" Kulturpolitik betreibt. China habe zwar ein Problem, weil es ohne die europäische Tradition der Ensembles und Orchester seine ganzen neuen Opern- und Konzerthäuser nicht füllen könne. Doch es zeige, dass die kulturpolitische Konkurrenz nicht nur aus Europa und Amerika kommt.

Im amerikanischen Soft Power Index steht Deutschland derzeit auf Platz drei

Der entscheidende Unterschied zu China ist allerdings, dass Deutschland seine Kulturpolitik mit dem Goethe-Institut nicht offensiv betreiben muss. Es geht um subtilere Themen. Darum, den neuen EU-Ländern zu helfen, sich nicht nur in die EU zu integrieren, sondern sich selbst zu finden. Darum, Afrika zu helfen, seine eigene Kultur und damit seine Länder zu stärken. Darum, Flüchtlingen auf dem Weg nach Europa einen Wertekanon zu vermitteln.

Wie wichtig das sein muss, erklärte der Schriftsteller Albert Ostermaier. Mit ihm ist Frank-Walter Steinmeier befreundet. An diesem Vormittag war er aber nicht als Autor, sondern als Veranstalter eingeladen, der seit vielen Jahren Literaturfestivals organisiert. Zuletzt das Festival front::text in München, das die Literatur im vergangenen Herbst aus ihrem Vorlesemodus riss und in einen Dialog mit Flüchtlingen und ihren Kulturen lenkte. Ostermaier brachte aus seiner Erfahrung an diesem Vormittag den größten Optimismus mit: "Ich traue ja nicht nur den Künstlern und Schriftstellern einiges zu, sondern uns allen." Er habe große Hoffnung. Und die ist in der Kulturpolitik das wahrscheinlich größte Kapital.

Im amerikanischen Soft Power Index steht Deutschland derzeit übrigens auf Platz drei, im britischen Soft Power Survey auf Platz zwei. Beide Male hinter den USA. Aber die haben natürlich die englische Sprache, das Internet, Hollywood und Taylor Swift. Da kann niemand mithalten.

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