Es geht also doch ganz ohne deutsche Seele. Zum Auftakt des neuen Bayreuther "Ring des Nibelungen" treiben sowohl Dirigent Kirill Petrenko als auch Regisseur Frank Castorf dem Vorabend "Rheingold" jede Spur von Germanenmythos aus. Gespielt wird irgendwo im Wilden Westen, in einem funkelnagelneuen "Golden Motel", das Dank der Drehbühne von allen Seiten zu bestaunen ist.
In dessen Swimmingpool schimmert das Rheingold, bewacht von einem nuttigen Nixentrio, das Slips und BHs an die Wäscheleine hängt, sich langweilt und auf den Chef wartet. Nebenbei wird der Loser Alberich aufgegeilt und abserviert. So entwickelt sich in einer alternden und saturierten Gesellschaft ein zunehmend melancholischer Machtkampf, den Petrenko dezent mit einer Lesart von Richard Wagners Partitur unterlegt, die deren moderne Züge betont.
Eröffnet wurden die Festspiele bereits am Donnerstag, mit der Wiederaufnahme des "Fliegenden Holländer" vom Vorjahr, den Christian Thielemann dirigierte. Dass Thielemann nicht den diesjährigen "Ring" zum 200. Geburtstag Richard Wagners machen darf, wird ihn und seine Anhänger sicher schmerzen. Doch er leitete bereits den vorangegangenen Bayreuther "Ring".
Zudem gilt Petrenko, was Romantisches angeht, als der neue Wundermann. Mit seinem Meininger "Ring" war er 2001 schlagartig berühmt geworden, die Bayerische Staatsoper hat ihn als neuen Musikchef verpflichtet und seine letzten Wagner-Aufführungen haben enormen Enthusiasmus ausgelöst. Früh ist im "Rheingold" zudem klar, dass sich Castorfs Entmythologisierung kaum mit Thielemanns Hang zur Verklärung vertragen hätte.
Doch in Petrenko hat der Regisseur nun einen Partner gefunden, der ebenfalls nach Wagners Substanz jenseits jeder Deutschtümelei sucht. Petrenko arbeitet unangestrengt und zurückhaltend Wagners kleinteilige Montagetechnik heraus, die häufigen Brüche und Entstellungen, das bloße Andeuten, das Konterkarieren des Offensichtlichen. Alles dient der Charakteristik des Gangsterclans auf der Bühne. Wolfgang Koch gibt den leicht schmierigen Obergangster Mr. Wotan, der die Männer tyrannisiert und mit allen Frauen herumbusselt. Sogar Urmutter Erda ist eine Puffmutter, doch auch ihr dunkles Warnen interessiert Wotan weit weniger als ihr Dekolleté.
Mittelständischer Gaunerclub statt höchste Götterhierarchie
Der gelegentlich ethische Überlegungen anstellende Fasolt von Günther Groissböck und der ungleich derbere Fafner des Sorin Coliban sind Underdogs und Schwerstarbeiter, der grandiose Martin Winkler zeigt Alberich als gescheiterten Luden, dessen Bruder Mime, gesungen von Burkhard Ulrich, hat es nicht einmal so weit gebracht.
Castorf lässt das Personal von einem Kamerateam filmen und die Bilder auf eine Großleinwand übertragen, die Teil des Bühnenbilds von Aleksandar Denic ist. So begeistert das Mienenspiel der Sänger, das sonst im Riesenraum kaum jemand wahrnimmt. Aber das Zusammenspiel zwischen Film und Szene nutzt Castorf auch, um die Abgründe dieses Machtkampfs zu zeigen, der zunehmend aussichtsloser und sinnloser wird.
Obwohl Petrenko und Castorf die alten Mythen demontieren und oft komisch ins Abseits stellen, wird der Abend nicht platt. Zwar geht es nicht mehr um die höchste Götterhierarchie, sondern nur mehr um einen mittelständischen Gaunerclub, die Probleme des Machterhalts aber sind dieselben und sie sind genauso existenziell.
Weil Göttergewohnheiten aber selbst einem Wagner-gestählten Opernbesucher immer ein wenig abstrakt vorkommen, ist es wohltuend, diese Problematik in einem aus einschlägigen US-Serien vertrauten Ambiente zu erleben. Da erzählen sie sich nicht nur schlüssiger, sie bilden da sogar eigene Mythen aus, die leichter verständlich sind als Wagners kopfgesteuerte Romantikkonglomerate. Dass solch eine Remythisierung Wagners nicht jedermanns Sache ist, versteht sich. Auf jeden Fall darf man hoch gespannt sein, wie Castorf und Petrenko ihre Geschichte weitererzählen wollen.