Zum Tod von Frank Benseler:Der Literaturproduzent

Zum Tod von Frank Benseler: Frank Benseler begeisterte die Studenten mit seiner Vorlesung über die Französische Revolution.

Frank Benseler begeisterte die Studenten mit seiner Vorlesung über die Französische Revolution.

(Foto: Reinhard Rohlf)

Frank Benseler, Lektor und Soziologe, ist im Alter von 92 Jahren gestorben.

Von Willi Winkler

Jede Revolution braucht Wegbereiter, Herolde, Täuferjohannesse, Geburtshelfer aller Art, und Frank Benseler war alles auf einmal. Lektoren arbeiten sonst im Verlagsunterbau, sie sollen den Glanz der Autoren, die sie zu betreuen haben, mit ihrer Bergwerksarbeit bloß nicht verrußen, aber Benseler war viel zu sehr Aufklärer, als dass es ihn im Keller gehalten hätte. Das katholische Elternhaus war nur die Vorstufe zum Marxismus, dem er sich unerschütterbar anvertraute. In den verbissen antikommunistischen Fünfzigern promovierte er über die "Diktatur des Proletariats" (allerdings in der jugoslawischen Verfassung) und ging 1959 zum Luchterhand-Verlag, dem er Theorie ins Haus holte.

Ernst Bloch wurde ihm knapp von Suhrkamp weggeschnappt, aber er konnte sich die ersten Bücher seines Jahrgangsgefährten Jürgen Habermas sichern. Dessen Habilschrift "Strukturwandel der Öffentlichkeit" brachte es allein im Erscheinungsjahr 1962 auf fünf Auflagen. Im gleichen Jahr kam Georg Lukács ins Programm. In Budapest hatte der unzuverlässige Kommunist Publikationsverbot, doch im Westen wurde er durch Luchterhand zum Autor der Stunde. Benseler brachte in der Reihe der Soziologischen Texte Talcott Parsons, Lucien Goldmann und Émile Durkheim heraus und etablierte mit der deutschen Ausgabe des "Eindimensionalen Menschen" Herbert Marcuse als Messias der ausbleibenden Revolution.

Geistesarbeiter waren für ihn "Literaturproduzenten" - und ein Teil der Arbeiterbewegung

Der Theorie sollte die Praxis folgen: Zusammen mit dem ehemaligen Suhrkamp-Lektor Walter Boehlich benannte Benseler die Geistesarbeiter in "Literaturproduzenten" um und erklärte sie zu einem Teil der Arbeiterbewegung. Aber vielleicht war er für den strammen Lukácsianismus dann doch zu ironisch, sonst hätte er im anno santo 1968 nicht von "der für uns erst in weiter Ferne wahrscheinlichen Revolution" gesprochen, die er mit seinen Büchern doch so glänzend vorbereitet hatte.

1972 warf der Verleger Eduard Reifferscheid seinen wichtigsten Mann raus; der Literaturproduzent war ihm allzu rätedemokratisch geworden. Benseler wurde Soziologieprofessor an der katholischsten Universität des Landes in Paderborn, wo er die Lehramtsstudenten mit seiner Vorlesung über die Französische Revolution begeistern konnte. Sein ehemaliger Assistent Michael Th. Greven hat einen ganz und gar undogmatischen Satz überliefert: "Es ist kein Zynismus festzustellen, dass die Qual zu leben, und nicht Gott und Freiheit zu sein, sich mit geformter Erinnerung, mit Kunst ertragen lässt." Wie erst zum Jahresende bekannt wurde, ist Frank Benseler am 22. Dezember 92-jährig in Borchen bei Paderborn gestorben.

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