"Frank" als Video-on-Demand:Leg ein Ei mit mir!

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Puppenkopf Frank (Michael Fassbender) und sein Keyboarder Jon (Domhnall Gleeson) in "Frank" (Foto: Intertopics/Lmkmedia Ltd.)

Die Komödie "Frank", in der Michael Fassbender als manisch-depressiver Musiker mit Pappmascheekopf agiert, ist einer der bezauberndsten Filme des Herbstes. Vor allem aber ist der Film ein Beispiel für das große Potenzial von Video-on-Demand.

Von David Steinitz

Der Bandleader Frank trägt aufgrund eines akuten Weltflucht-Bedürfnisses einen riesigen Puppenkopf aus Pappmaschee. Und zwar immer. Auf der Bühne wie unter der Dusche. Unter dieser Pappkugel befindet sich der momentan heiß begehrte Kopf des Schauspielers Michael Fassbender, der seit ein paar Jahren zu den absoluten Topstars in Hollywood gehört. Nur ließ sich zum großen Leidwesen der Produzenten des Films "Frank" diese Starpower für eine großflächige Vermarktung des Films im Kino kaum nutzen - weil man den Star nie sieht.

Weshalb die Tragikomödie "Frank", eine bittersüße Ode an die Liebe zur Popmusik und einer der schönsten Filme dieses Herbstes, nun als Video-on-Demand-Angebot empfohlen werden kann - und damit ein Musterbeispiel für die neuen Wege der Filmauswertung ist, die es jenseits des Kinos gibt. Mit aufmerksamen Fans, die im Netz nach dem Besonderen suchen, könnte das schräge Porträt des manisch-depressiven Musikers Frank, inspiriert vom britischen Musiker und Komiker Chris Sievey, der ebenfalls mit Puppenkopf auftrat, eine Chance haben.

Der Film erzählt die Geschichte des jungen Keyboarders Jon (Domhnall Gleeson), der an den so charismatischen wie wahnsinnigen Experimentalmusiker Frank gerät und in dessen Band eintritt. Frank musiziert irgendwo im Grenzbereich zwischen Urschreitherapie und Kraftwerk. Für die neue Platte nimmt er die Geräusche auf, die er macht, wenn er über eine Wiese hüpft. Seine Mitmusiker brüllt er im Proberaum an, dass sie mit ihm ein Ei legen sollen. Außerdem entdeckt er dieses merkwürdige neue Phänomen namens Youtube als Marketinginstrument. Dieser Humor funktioniert per Internet sicher besser als im Kino.

Produzenten werden mutiger

Klar, Video-on-Demand (VoD) für einen solchen Fall ist nun wirklich keine ganz neue Idee. VoD gibt es schon seit weit mehr als einem Jahrzehnt, und spätestens seit 2006 entsprechen die Umsatzzahlen der VoD-Branche dem, was man allgemein einen Boom nennt. Aber erstens waren die prozentualen Zuwächse der Streaming- und Download-Auswertung von Filmen anfangs vor allem deshalb so eindrucksvoll, weil sie eben vorher bei null lagen. Kinozuwächse müssen mit den Einspielerfahrungen der mehr als hundertjährigen Kinogeschichte verglichen werden. Und zweitens entdecken nun gerade die kleinen, unabhängigen Verleihe langsam das volle Potenzial von VoD.

Zwar ist der Hype um Online-Videos nicht immer gerechtfertigt. Die deutsche Netflix-Spielfilmauswahl zum Beispiel ist in Relation zu dem Theater, das um den Start des Streaming-Dienstes in Deutschland in den vergangenen Wochen gemacht wurde, noch recht schmal. 2014 ist für das Medium aber trotzdem ein besonders spannendes Jahr, weil mittlerweile immer mehr kleinere Independent-Filme per VoD zumindest so viel Geld einspielen, dass Produzenten mutiger werden und immer schrägeres Material über iTunes, Netflix oder andere Anbieter vertreiben - statt nur sichere Konsens-Blockbuster. Eben Filme wie "Frank".

Eamonn Bowles, "Frank"-Produzent und Chef des amerikanischen Filmverleihs Magnolia Pictures, erklärte das kürzlich sehr anschaulich im Online-Magazin Indiewire: "Um einen Kinofilm in den USA im ganzen Land zu starten, brauchen Sie mindestens 3000 Kopien. Allein die Kinos mit dem Film zu versorgen, kostet circa drei Millionen Dollar. Das Marketingbudget ist da noch gar nicht dabei. Bei einer VoD-Auswertung erreichen wir alle Menschen mit Internetanschluss - und verdienen pro umgesetztem Dollar etwa 50 Prozent mehr als an den Kinokassen."

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"Frank" wurde deshalb im September in einer Handvoll amerikanischer Kinos in einigen Großstädten gezeigt, um den Film mit Premieren-Events und Filmrezensionen in den größeren Zeitungen zu bewerben. Drei Wochen später hatte er seinen offiziellen Start als Stream im amerikanischen iTunes-Store. Gerade im Segment des Independent-Films profitieren von dieser Vorgehensweise sowohl die vor allem ökonomisch denkenden Produzenten als auch die Filmemacher. Der Verleih hat ein wesentlich geringeres Kostenrisiko, und der Film findet Zuschauer, die er anders gar nicht erreicht hätte.

Für "Frank" ist es noch zu früh, um den tatsächlichen finanziellen Erfolg des Films zu messen, zudem sind die meisten Verleiher vorsichtig mit der Veröffentlichung von VoD-Zahlen. Man treibt damit schnell die Preise für Filmrechte in die Höhe, wenn die Einnahmen gar zu sehr glänzen. Sind die Zahlen im umgekehrten Fall zu schlecht, schadet man dem Geschäft. Ab und an wagt sich aber doch mal eine Firma aus der Deckung. Und dann sieht man, wie gut VoD inzwischen als Auswertungsinstrument funktionieren kann - gerade auch punktuell eingesetzt.

Zum Beispiel Abel Ferraras Sex-Satire "Welcome to New York", mit Gérard Depardieu als Dominique Strauss-Kahn auf Orgientrip. Der Film hatte im Frühjahr seine Premiere in Cannes, abseits des offiziellen Programms, und war danach in einigen Ländern direkt als Stream abrufbar. Der Verleih Wild Bunch, der den Film unter anderem in Frankreich veröffentlicht hat, konnte damit rechnen, dass im Heimatland von Strauss-Kahn die Aufmerksamkeit besonders hoch sein würde.

Billigere Veröffentlichung, höhere Gewinnbeteiligung

So rechnete kürzlich der Wild-Bunch-Mitbegründer Vincent Maraval auf einer Fachveranstaltung beim Filmfestival von San Sebastián Folgendes vor: Die Rechte für eine Kinoauswertung von "Welcome to New York" in Frankreich hätten 649 000 Dollar betragen - die Kosten für die französischen VoD-Rechte lagen bei weniger als einem Drittel, nämlich 194 000 Dollar.

Der Film wurde in Frankreich mehr als 200 000 Mal abgerufen, für jeweils 10,40 Dollar - wovon 5,20 Dollar pro Klick direkt an den Verleih gingen. Den Film auf VoD zu veröffentlichen, war also viel billiger, als ihn ins Kino zu bringen - bei gleichzeitig deutlich höherer Gewinnbeteiligung (natürlich wurden die Einnahmen in Euro erzielt und nur zum Vergleich mit den Einkaufskosten in Dollar umgerechnet).

Wie viele Abrufe der Film in Deutschland bislang verbuchen konnte, wo er zur selben Zeit wie in Frankreich verfügbar war, wäre natürlich ein spannender Vergleich. Diese Zahlen kommuniziert die Deutschlandabteilung von Wild Bunch allerdings nicht. Dass gerade die Filmindustrie außerhalb der USA von VoD deutlich profitieren wird, das galt auf der VoD-Veranstaltung in San Sebastián als sichere Prognose.

Die manchmal noch eingegrenzten Territorien der weltweiten Video-on-Demand-Anbieter zu umgehen, ist mittlerweile ein großer Internet-Sport geworden. Für "Frank" zum Beispiel braucht man zwar einen Account im amerikanischen iTunes-Store. Das aber ist nur eine kleine Hürde, die sich nach kurzer Google-Recherche zu den Stichworten "iTunes-Store, USA, einkaufen" schnell überwinden lässt.

© SZ vom 06.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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