Sammler Pinaults Museum in Paris:Glücksfall

Lesezeit: 4 Min.

Endlich in Paris: nachdem ihm die Genehmigung für einen Museumsbau auf einer Seine-Insel zu lange hinzog, ist der Industrielle François Pinault mit seiner Kunstsammlung in die Börse gezogen. (Foto: Pinault Collection © Tadao Ando Architect & Associates, Niney et Marca Architectes, Agence Pierre-Antoine Gatier Photo Patrick Tourneboeuf)

Der Kunstsammler und Milliardär François Pinault eröffnet sein Privatmuseum - und Paris freut sich über ein neues Kunstzentrum.

Von Joseph Hanimann

Seit einem Vierteljahrhundert zeigt sich in Frankreich neben den großen Staatsinstitutionen Louvre, Musée d'Orsay und Centre Pompidou immer deutlicher auch das andere Gesicht der Kultur. Gesetzgebung und Steuererleichterung für Privatstiftungen haben die Dynamik so sehr in Schwung gebracht, dass manche sich fragen, ob der Staat da nicht an seinem eigenen Ast sägt. In Paris häufen sich seit dem 1994 eingeweihten Glasschmuckkasten von Jean Nouvel für die Fondation Cartier die Prestigebauten. 2016 eröffnete die Fondation Louis Vuitton unter den geblähten Glassegeln von Frank Gehrys Monumentalpalast im Bois de Boulogne ihren Standort. Und nun macht nach Tadao Andōs Umbau der ehemaligen Pariser Handelsbörse auch der neue Ausstellungsort für die Kunstsammlung des Industriellen François Pinault auf.

Erst sollte das Museum als Neubau entstehen

Juristisch ist Pinaults zeitgenössische Kunstsammlung mit ihren 10 000 Werken von annähernd 400 Künstlern keine Stiftung, sondern Teil seiner Aktiengesellschaft. Ursprünglich sollte das Museum für diese Schätze auf dem Gelände der ehemaligen Renault-Werke auf der Seine-Insel Seguin als Neubau entstehen. Tadao Andō hatte dafür schon die Pläne gezeichnet. Angesichts der sich in die Länge ziehenden Baugenehmigung verlor der Kunstsammler aber die Geduld und ging 2006 nach Venedig, wo Andō ihm den Palazzo Grassi und die Punta della Dogana umbaute. Nach dreijähriger Bauzeit und einem Jahr Verzögerung wegen der Corona-Pandemie ist er mit seiner Sammlung in Paris zurück: Zusammen mit dem kaum einen Steinwurf entfernten Centre Pompidou hat die Stadt damit einen neuen Ankerplatz für die zeitgenössische Kunst.

Die erste Ausstellung präsentiert auch sperrige, zeitgenössische Kunst wie Tatiana Trouvés "The Guardian" (2020) . (Foto: © Tatiana Trouvé/ADAGP, Paris, 2021 Courtesy de Tatiana Trouvé et Gagosian Gallery Photo Aurélien Mole)

Anders als seine Rivalen aus dem privaten Kunstsektor ist dieser Ort jedoch nicht für Wechselausstellungen, sondern als Schauraum für die Collection Pinault angelegt. Statt sie jedoch in einer festen Hängung verstauben zu lassen, werden sie durch kuratierte Programmzyklen periodisch ausgewechselt, wie das bisher auch in Venedig schon der Fall war. Ohne explizite Themenvorgabe tauchen einzelne Werke oder Werkgruppen für ein paar Monate aus dem Fundus auf und kehren dann wieder dorthin zurück. Und die Fluktuation in den einzelnen Sälen verläuft nicht zwangsläufig synchron. Ein solches Konzept fordert die Museumsarchitektur besonders heraus. Doch das Fazit ist offensichtlich: Andō hält in Paris noch besser, was er schon in Venedig versprach.

Aus dem denkmalgeschützten Rundbau der Handelsbörse, der 1889 aus den Resten einer Getreidespeicherhalle aus dem 18. Jahrhundert hervorging, hat der Japaner mit minimalen Eingriffen ein visuelles Uhrwerk gemacht, das die Jahrhunderte architektonisch subtil ineinander verzahnt. Als einzigen Eigenbeitrag baute er in den sorgsam restaurierten kreisrunden Börsensaal unter der Glaskuppel einen neun Meter hohen Betonzylinder von 29 Metern Durchmesser. Diese nach oben offene Rotunde trägt an ihrer Außenwand die Treppenaufgänge in die oberen Etagen und bildet zugleich den größten der insgesamt sieben Ausstellungssäle. Dass alle Veränderungen am historischen Bau reversibel sein müssen, da dieser Eigentum der Stadt Paris bleibt und laut Vertrag in fünfzig Jahren zur Nutzung an sie zurückgeht, hat der Architekt souverän berücksichtigt.

In der von ihm entworfenen Rotunde hat der Schweizer Künstler Urs Fischer zur Eröffnung seine Installation "Untitled" aus dem Jahr 2011 nachgebaut. Sie besteht aus der Kopie der manieristischen Marmorskulptur "Raub der Sabinerinnen" von Giambologna, einer lebensgroßen Figur von Fischers Künstlerfreund Rudolf Stingel sowie aus sieben unterschiedlichen Sitzobjekten, die vom kunstvoll geschnitzten Museumsstück aus dem Quai Branly bis zum simplen Plastik-Gartenstuhl reichen. All das ist aber aus Wachs und brennt langsam ab, bis in etwa sechs Monaten nichts davon übrig sein wird.

Pinault darf das historische Gebäude nur 50 Jahre lang nutzen - Architekt Tadao Andō musste bei seinem Umbau darauf Rücksicht nehmen. (Foto: Courtesy Bourse de Commerce - Pinault Collection Photo Studio Bouroullec)

Der Collection Pinault wird manchmal nachgesagt, sie trumpfe vor allem mit berühmten Namen und Modephänomenen wie Jeff Koons auf. Bei dieser ersten Werkauswahl wurde sichtlich Wert darauf gelegt, dies zu widerlegen und Prominentes mit wenig Bekanntem zu mischen. Prinzipiell werden nicht Solitärstücke, sondern größere oder kleinere Ensembles der jeweiligen Künstler ausgestellt. Dafür bieten die um die Rotunde sich krümmenden Säle mit ihren Durchblicken nach innen und hinaus auf das Stadtleben vielfältige Möglichkeiten. Dem Afroamerikaner David Hammons ist ein Saal mit rund 30 Werken gewidmet, darunter "Minimum Security", der Nachbau einer kalifornischen Gefängniszelle aus dem Jahr 2007. Der sonst dem Ausstellungsbetrieb sich fernhaltende Künstler ließ sein Werk vor einem beim Umbau der Handelsbörse zum Vorschein gekommenen Fresko aufstellen, das mit imperialistischer und kolonialistischer Botschaft bildwuchtig für die weltweiten Handelswege zu Land und zu Wasser wirbt.

Die Architektur hält sich hier beinah klassisch zurück

Unvermeidbar bleibt allerdings, dass das in der Schau offenbar gewollt mitschwingende politische Konfliktpotenzial zwischen Raumsymbolik, Werkaussage und impliziten Botschaften durch die Pracht der Inszenierung ästhetisch verklärt wird. So viel restaurative Virtuosität auf dem Weg über die drei Etagen bis hinauf ins noble Restaurant ganz oben tut nicht allen Werken gut. Manches dürfte in den schlichten, weißen, fensterlosen Räumen, wie sie den fotografischen Arbeiten von Michel Journiac, Louise Lawler, Sherrie Levine vorbehalten sind, besser aufgehoben sein.

Bemerkenswert ist indessen, was in den drei Sälen der letzten Etage vorgeführt wird. Unter dem Stichwort "Figure humaine" wird dort den Multiple-Objekten, Videos und sonstigen Installationen des zeitgenössischen Kunstschaffens die gemalte oder räumlich geformte menschliche Gestalt entgegengehalten. Mit den fotografisch anmutenden, großformatigen Schwarz-Weiß-Porträts auf Leinwand von Rudolf Stingel, den zwischen Realismus und Symbolismus schwingenden Szenen des jungen Brasilianers Antonio Obá oder den mysteriösen Maskengesichtern der Schweizerin Miriam Cahn wird hier überzeugend die Dauerhaftigkeit des Menschenbilds in der Gegenwartskunst behauptet.

Dass der Kunstsammler und die Stadtregierung sich für dieses Projekt auf das verwaiste Gebäude der Handelsbörse einigen konnten, macht Jahre des Ärgers wett und ist architektonisch ein Glücksfall. Denn wo die Belle Époque sich sonst gern mit bombastischer Architektur aufplustert, hält sie sich hier beinah klassisch zurück. Für den mit seinen Schätzen aus dem Vollen schöpfenden Milliardär ist das ein permanenter Ansporn zur Diskretion. Ein privates Gentlemen's Agreement stellt sich in den Dienst des öffentlichen Kunstgenusses.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKunst und Corona
:Raus jetzt

Was tun, wenn die Ausstellungen geschlossen sind? In Berlin bespielen Künstler jetzt Balkone, in der Schweiz reißt ein Museum seine Wände ein. Über Kunst im Freien.

Von Catrin Lorch

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: