Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Mit akribischer Vehemenz

Zum Tod des französischen Heidegger-Anhängers François Fédier.

Von Joseph Hanimann

Sein letzter Kampf war der schwierigste in seinem Berufsleben. Wie verteidigt man Heidegger nach der Lektüre der "Schwarzen Hefte" gegen den Verdacht des Antisemitismus?

Auch in dieses Unternehmen stürzte François Fédier sich mit argumentativem Übermut. Als Haupt der französischen Heidegger-Gemeinde, das argwöhnisch über der Werkausgabe bei Gallimard wachte und selbst einiges als Übersetzer beisteuerte, war er in den vergangenen vierzig Jahren mit geradezu genüsslich abgefeuerten Argumentationssalven gegen die Heidegger-Kritiker Victor Farías oder Emmanuel Faye angetreten, um ihn gegen den Vorwurf der Nazi-Gefolgschaft in Schutz zu nehmen.

Der 1935 geborene Fédier war ein typischer Vertreter der französischen Eliteausbildung. Er war Schüler des Philosophielehrers Jean Beaufret, der gleich nach dem Krieg Heidegger in Frankreich einführte und mit Figuren wie dem Dichter und Résistance-Kämpfer René Char bekannt machte. Nach Beaufrets Tod 1982 übernahm Fédier selbst das inoffizielle Schulmeisteramt der Heidegger-Auslegung in Frankreich und bildete seinerseits als Philosophielehrer eine neue Generation der philologisch-philosophischen Wortzerlegung aus.

François Fédiers Sprachgefühl verleitete ihn manchmal zu kuriosen Wortschöpfungen

Sein uneingestandener Schmerz bestand darin, dass der Weg, der Heidegger laut dem Philosophen Hans-Georg Gadamer über Frankreich wieder nach Deutschland zurückführen sollte, nicht über ihn führte. Die Denker Jacques Derrida, Jean-Luc Nancy, Philippe Lacoue-Labarthe, die Heideggers Werk auch für deutsche Leser wieder interessant zu machen vermochten, blieben dem Fédier-Kreis fern. Seine Übersetzung von "Beiträge zur Philosophie" in der Gallimard-Gesamtausgabe taten manche als unlesbar ab.

François Fédiers akribisch gelehrtes Sprachgefühl verleitete ihn manchmal zu Wortschöpfungen, die im deutschen Original verständlich, im eingeschliffenen Französisch aber nur noch kurios klangen. Dieses interpretierende Sinnschürfen setzte er in den letzten Jahren auch ein beim Versuch, Heideggers offensichtlich antisemitische Stellen der "Schwarzen Hefte" in Antisemitismuskritik umzudeuten. Mit seinen apologetischen Bemühungen leistete er der Rezeption Heideggers zwar große Dienste. Bei einem Kolloquium über "Heidegger und die Juden'" 2015 in Paris stritt er offen mit Peter Trawny, dem deutschen Herausgeber der "Schwarzen Hefte". Doch schoss er mit seinem Dagegenhalten immer wieder übers Ziel hinaus. Am Mittwoch ist François Fédier in Paris gestorben. In Erinnerung bleiben auch seine Übersetzungen von Gedichten Friedrich Hölderlins.

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