"France" im Kino:Ein Leben für die Show

"France" im Kino: Dieses hübsche, aber emotional unbewegte Leben: Léa Seydoux in "France".

Dieses hübsche, aber emotional unbewegte Leben: Léa Seydoux in "France".

(Foto: R. Arpajou/3B Productions/MFA)

Selbstmitleid und Selfie-Journalismus: Léa Seydoux spielt in der Mediensatire "France" eine Fernsehmoderatorin in der Krise. Oder geht es in Wahrheit um etwas ganz anderes?

Von Kathleen Hildebrand

Wie bedeutungsschwanger kann der Name einer Filmfigur sein? Für den Regisseur Bruno Dumont reicht Doppeldeutigkeit längst nicht aus. "France de Meurs" hat er seine Hauptfigur genannt, eine berühmte französische Fernsehjournalistin. Sie heißt wie ihr Land, das ist schon mal eine Last. Aber eben auch "de Meurs", was klingt wie die französischen Wörter für "Überbleibsel", "sterben", "Schwachkopf" und wie "mœurs", die Sitten. Dumont will ein Sittengemälde malen mit seinem neuen Film, der Satire ist, Tragödie, Melodram und Komödie in einem, und natürlich ist es kein schmeichelhaftes. Ein besonders gelungenes ist es aber auch nicht - wäre da nicht seine Hauptdarstellerin Léa Seydoux.

France de Meurs moderiert eine politische Nachrichtensendung, die ein bisschen "Weltspiegel" ist und ein bisschen "Anne Will", aber ein deutsches Pendant für sie gibt es nicht, allein schon wegen des Glamours, mit dem France ihre grauen Talkgäste überstrahlt: ihre Haut wie Elfenbein, ihr Haar platinblond, ihre exquisite Kleidung in leuchtenden Farben. Der Name ihrer Sendung lautet "Un regard sur le monde", aber um einen Blick auf die Welt geht es hier eigentlich nicht. Was zählt, ist der Blick auf sie, auf France.

France bekommt Depressionen und versucht sie in einer luxuriösen Hotelklinik zu kurieren

Und zwar auch dann, wenn sie zwischen ihren Moderationen in die Krisengebiete der Welt reist. Dort trägt sie zwar Schutzhelm oder Kopftuch, aber ihr greller Lippenstift ist derselbe wie immer. In einem nordafrikanischen Bürgerkriegsgebiet stellt France einem Kämpfer eine Frage, nicht mehr. Dann dirigiert sie die Kamera für möglichst effektvolle Schnittbilder. Am Abend sitzt sie wieder wohlfrisiert im Studio. Selfie-Journalismus, lautet hier wohl der Vorwurf an die Medienwelt - ich war vor Ort, und das zu zeigen ist genug. Für solche Anwesenheitsnachweise begibt sich France im Nahen Osten sogar in echten Kugelhagel. Oder will Dumont die Inszenierung der Kämpfer als verfälschend kritisieren? Wenn ja, was findet er so entstellend an den konventionellen Bildern, die Frances Team produziert? Die Schwäche von Dumonts Satire ist ihre Unschärfe.

Was Dumont wahrscheinlich vor allem aufs Korn nehmen will, ist der absolute Narzissmus einer bestimmten Form von medialer Repräsentation, die immer auf die Resonanz in den sozialen Netzwerken schielt. Das ist es, wofür France steht. Ihr ganzes Leben scheint kuratiert zu sein für den "regard", den Blick darauf. Ihre riesige Wohnung an der fotogenen Pariser Place des Vosges sieht aus wie ein düsterer, avantgardistischer Ausstellungsraum. Ihr Mann (Benjamin Biolay) ist ein bekannter Schriftsteller, der nur Schwarz trägt. Ihr Sohn: existiert, trägt die Haare modisch lang und weiß, dass er nicht stören darf, wenn die Eltern Besuch haben. Ist es vielleicht doch eher Milieukritik, was Dumont hier betreibt? Für ein Ziel entscheiden will er sich jedenfalls nicht.

Dieses hübsche, aber emotional unbewegte Leben muss der Regisseur im Folgenden zerstören, damit sein Film interessant bleibt. Er tut das mit einiger Brutalität. Erst fährt France auf dem Weg zur Arbeit einen Moped-Boten an, den Sohn eines Immigranten, und fühlt plötzlich etwas, nämlich Schuld, Mitgefühl.

Sie bekommt Depressionen und versucht sie in einer luxuriösen Hotelklinik (als Drehort diente Schloss Elmau am Fuß der Alpen) zu kurieren. Dort verliebt sie sich in einen jungen Mann, der sich später als Journalist entpuppt und einen Artikel über ihr Leid schreibt. Eine große Kränkung. In einer Szene, gefilmt durch ihr Lenkrad hindurch, bricht sie im Auto zusammen, ihre ebenmäßigen Gesichtszüge entgleiten ihr, der rot geschminkte Mund erscheint verzerrt, beinahe clownesk. Nicht nur hier, auch in anderen Szenen könnte man Dumont durchaus auch Misogynie vorwerfen - Frances Oberflächlichkeit, ihre Selbstverliebtheit, ihre Freude an schönen Kleidern. Das große Glück des Regisseurs ist, dass er Léa Seydoux für diese Rolle gewonnen hat. Sie spielt mit einer Souveränität und mit einer Undurchschaubarkeit, dass man dem ganzen Film seine Unschärfen immer wieder verzeiht und als kunstvolle Mysteriösität auszulegen geneigt ist.

Für France jedenfalls kommt es noch schlimmer und schlimmer. Am Ende ist man fast ein wenig genervt von all den Schlägen gegen sie. Was France dann aber, nach einer kleinen Berufspause, tut, ist: Sie stellt sich wieder vor die Kamera. Dass sie neuerdings immerzu weinen muss, nutzt sie für die noch bessere Show. Ob es Tränen des Mitleids mit Migranten in einem Schlauchboot sind oder des Selbstmitleids für ihr zerfallendes Leben: egal. Dass France die Läuterung versagt bleibt, ist vielleicht das Konsequenteste an diesem Film.

France, Frankreich 2021 - Regie und Buch: Bruno Dumont. Kamera: David Chambille. Mit: Léa Seydoux, Benjamin Biolay, Blanche Gardin, Emanuele Arioli. MFA+, 133 Minuten. Kinostart: 9. Juni 2022.

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