Framing-Check: "Asyltourismus":Als wäre Flucht eine Kreuzfahrt mit Piña colada

Framing-Check: "Asyltourismus": Eine Familie auf großer Fahrt?

Eine Familie auf großer Fahrt?

(Foto: AP)
  • Die bayerische SPD droht der Staatsregierung unter Ministerpräsident Markus Söder mit einer Klage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof, sollte diese nicht den Begriff "Asyltourismus" definieren.
  • Der Begriff ist umstritten, denn er suggeriert: Hier kommen Menschen, die sich in unserem Land Urlaub versprechen, also unsere Sozialsysteme ausnutzen wollen.
  • Damit wird die Flucht vor Gewalt, Krieg, Folter, Verfolgung, Hunger oder Armut zur Urlaubsreise umgedeutet.

Von Jakob Biazza

Wer den Begriff benutzt:

Sätze, die mit "Die Wahrheit (...)" beginnen, sind grundsätzlich verdächtig. Die Sätze, in die Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in den Tagesthemen jüngst den Begriff "Asyltourismus" eingebaut hat, lauten: "Die Wahrheit beim Thema Asyl liegt auch an der Grenze." Es müsse deshalb, so Söder, an der deutschen Grenze auch Zurückweisungen geben. Damit könne Deutschland ein "europäisches Signal setzen, um den Asyltourismus zu beenden". Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann benutzt den Begriff regelmäßig - zuletzt unter anderem in einem Interview mit dem Handelsblatt, wenige Tage bevor Söder den Ausdruck in die Debatte einbrachte. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass die CSU-Politiker den Begriff gerade bewusst und koordiniert pushen.

Am Donnerstag wurde nun bekannt, dass die SPD im bayerischen Landtag der Staatsregierung mit einer Klage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof droht, sollte diese den Begriff nicht definieren. Auch die Formulierungen "Belehrungsdemokratie" und "Anti-Abschiebe-Industrie" möchte die SPD konkretisiert wissen. Sie beruft sich dabei auf das in der Verfassung verankerte Anrecht auf Auskünfte für die Opposition.

Der Begriff "Asyltourismus" ist freilich nicht neu, er ist seit jeher beliebt im rechten Spektrum. Sowohl die NPD als auch die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei nutzen den Ausdruck immer wieder. 1978 warnte im Bundestag allerdings auch schon der SPD-Politiker Reinhard Bühling, "durch die große Masse der sogenannten Asyltouristen kommt der wirklich Asylbedürftige allzuleicht in die Gefahr, allzulange hingehalten zu werden oder vielleicht auch mit einem Misstrauen betrachtet und behandelt zu werden".

Was der Begriff suggeriert:

Tourismus ist "das Reisen, der Reiseverkehr [in organisierter Form] zum Kennenlernen fremder Orte und Länder und zur Erholung". Sagt der Duden. Das hat natürlich direkte Auswirkungen auf die assoziative Ebene: Wer an Tourismus denkt, sieht vor dem inneren Auge vermutlich etwas wie Strand, Sonne, Berge, Meer, Swimmingpool, Cocktails. Und fühlt eine Ebene darüber etwas wie Freiheit, Leichtigkeit, Sorglosigkeit und auch Wohlstand. In dem Begriff schwingt in jedem Fall Entspannung und Freizeit mit. Vor allem assoziiert man mit ihm aber auch: Freiwilligkeit.

Urlaub ist darin ein Luxus für Menschen, die ihn sich leisten können - finanziell wie zeitlich. In seiner heutigen Form ist Tourismus nämlich erst durch die Industrialisierung und die damit verbundene Arbeitsteilung möglich. Außerdem verdankt er sich einem gesamtwirtschaftlichen Aufschwung. Tourismus ist damit nicht nur ein Zeichen für den Wohlstand des Reisenden, sondern auch des Landes, aus dem er kommt. Die Problemdefinition lautet also: Hier kommen (womöglich sogar wohlhabende) Menschen, die sich in unserem Land Urlaub versprechen, also unsere Sozialsysteme ausnutzen wollen. Im Urlaub arbeitet schließlich keiner.

Wie das die Wahrnehmung steuert:

Weil die Länder, die Asylbewerber verlassen, im schlimmsten Fall so aussehen:

Oder die Lage dort so ist, wie in Afghanistan, wo eine aktuelle Studie jüngst zeigte: "Auf 70 Prozent des Territoriums Afghanistans sind die Taliban offen aktiv."

Wobei man fair bleiben muss: Strenggenommen will zumindest Söder Asyltourismus aktuell eher verstanden wissen als die (verbotene) Weiterreise in ein zweites oder drittes Land, nachdem ein Asylbewerber bereits in einem anderen Land registriert wurde.

Doch selbst in dieser Lesart haftet dem "Asyltourismus" immer noch etwas von wohligem Freizeitvergnügen an. Es sagt implizit: Diese Menschen kommen freiwillig, weil sie es sich leisten können. Damit wird die Flucht vor Gewalt, Krieg, Folter, Verfolgung, Hunger oder Armut zur Urlaubsreise umgedeutet. Als wäre eine Mittelmeerüberquerung im überfüllten Schlauchboot eine Kreuzfahrt mit Piña colada in der Hand und Musik der Band 10CC im Ohr. Der Begriff bereitet damit relativ geradlinig konkrete Politik vor - beispielsweise die "Transitzentren", die die Union als Kompromiss im Asylstreit ausgehandelt hat.

Was ein weniger framender Begriff wäre:

Es reichen hier die schlichten Begriffe "Migration" oder "Asylbewerber" völlig aus. Wer darauf hinweisen will, dass Menschen in ein anderes EU-Land weiterreisen, nachdem sie bereits registriert sind, muss wohl oder übel zu einem zusätzlichen Relativsatz greifen - oder zum etwas sperrigen Fachterminus "Sekundärmigration". Wenn er nicht implizit unterstellen will, dass Flüchtlinge cocktailschlürfende Pauschaltouristen sind.

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