Fotos gegen das Regime:Hitler blind und Stalin lahm

Mit Fotos gegen die Weltpolitik: Wie zwei Fotokünstler das Regime der 30er Jahre angriffen, zeigt das Kölner Museum Ludwig in einer Ausstellung. Die Bilder.

Manfred Schwarz

6 Bilder

Marinus Fotomontage

Quelle: SZ

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"Hitler blind und Stalin lahm": Das Kölner Museum Ludwig zeigt politische Fotomontagen der 30er Jahre, mit denen die Fotokünstler John Heartfield und "Marinus" das Regime angriffen. Eine Bildergalerie.

Diese Geschichte beginnt mit dem Ersten Weltkrieg. Im Jahr 1916, "an einem Maientage, frühmorgens um 5 Uhr" soll die Fotomontage als künstlerische Technik geboren worden sein. So zumindest erinnerte sich später George Grosz , der dabei gewesen sein will, als John Heartfield, der "Häuptling Johnny" aus den Berliner Dada-Kreisen, die Fotomontage erfand.

Der Erste Weltkrieg, so schrieb später der Bruder und Weggefährte Wieland Herzfeld, hatte dazu geführt, "dass wir fortan die alltägliche Welt nicht mehr als nüchtern, banal und langweilig empfanden, sondern als ein Drama, in dem Dummheit, Rohheit und Fäulnis die Hauptrolle spielten".

Als einen aberwitzigen Tumult, dem letztlich nur noch eine am Tumultuarischen orientierte, im Verrücken und Querschlagen erprobte Ausdrucksform wie die Fotomontage gerecht werden kann, um die Welt zu spiegeln - und zu sortieren.

Marinus Fotomontage "Neues aus Berlin", Paris, 1940

Screenshots:www.museenkoeln.de Text: SZ vom 11.08.2008/ Manfred Schwarz

Marinus Fotomontage

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Heartfield selbst hat immer wieder auf das Schlüsselerlebnis des Weltkriegs verwiesen, vor allem auf die beispiellose Rolle der Bildpropaganda im Kriegsgetobe: Anstoß hätte ihm gegeben, "wie man mit Fotos Menschen belog".

Dadurch sei er "in innerliche Opposition" zu diesen Bildwelten gebracht und gereizt worden, gerade das korrumpierte Propagandainstrument Fotografie als Aufklärungsinstrument zu nutzen; auch natürlich, weil das triviale Massenmedium Fotografie damals eben nicht als ein künstlerisches Ausdrucksmittel betrachtet wurde, weil man also, wenn man damit arbeitete, kaum in den Verdacht geriet, zu diesen reaktionären und spießigen "Kunstlumpen" (Grosz / Heartfield) des klassischen Kunstbetriebs zu gehören.

"Unser Epos ist die Zeitung" wird Sergej Tretjakow einmal formulieren. Lässt sich auch nicht mehr recht klären, wie, wann und von wem die künstlerische Fotomontage erstmals eingesetzt wurde, so besteht jedenfalls kein Zweifel daran, dass dies im Umfeld des Ersten Weltkriegs geschah, im Zusammenhang mit dem Einsatz der Fotografie als Propagandamittel geschah: im Krieg der Bilder also.

Es wundert also kaum, dass der aus Dänemark stammende Fotomonteur Jacob Kjeldgaard, der - entweder unter dem Pseudonym Marinus oder anonym - zahllose Fotomontagen für französische Zeitschriften bastelte, ebenfalls im Ersten Weltkrieg mit diesem Medium zu arbeiten begann.

Titelseite der Zeitung Marianne, Paris, 6. März 1940 mit einer Fotomontage von Marinus

Marinus, Fotomontage

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Die früheste Fotomontage, die wir ihm mit Sicherheit zuschreiben können, wurde 1917 als Titelblatt der Zeitschrift J'ai vu veröffentlicht und verursachte einen politischen Skandal.

Zeigt sie doch, ohne als montierte Zusammenstellung erkennbar zu sein, einen zwielichtigen französischen Geschäftemacher bei einem - fiktiven - Gespräch mit einem deutschen Würdenträger.

Was als Anspielung gedacht war, wurde schließlich sogar als gerichtliches Beweismittel im Hochverratsprozess gegen den Franzosen verwendet und führte zu erheblichen Verwicklungen. Besser hätte man, wenn es so denn gewollt gewesen wäre, den heiklen Charakter der Fotografie, ihre Täuschungskraft, nicht thematisieren und desavouieren können: das Foto als Doppelagent.

Dem in Paris lebenden Dänen Marinus bescherte dieser Fall jedenfalls "einen Augenblick Berühmtheit", wie er viele Jahre später erklärte.

Es sollte allerdings schon der einzige Moment des Ruhms bleiben. Denn 1964 ist dieser virtuose Monteur, der in den Zwanzigern und Dreißigern für französische Zeitschriften politische Fotomontagen schuf, völlig vergessen in Paris gestorben: als ein einsamer alter Mann.

Marinus, Fotomontage: "Der Blinde und der Lahme", Paris 1940, Musée français de la Photographie, Bievres

Marinus. Fotomontage

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Man wusste nichts mehr von seinen Werken; man kannte nicht einmal mehr seinen Namen.

Mit dem ganzen Nazispuk, so scheint es, war auch die Erinnerung an Marinus' publizistischen Widerstandskampf gegen Hitler und all die anderen faschistischen und bolschewistischen Schreckgespenster aus dem Blick verschwunden.

Er mag diesen zwar nicht so verbissen und glühend, so prominent, letztlich auch nicht mit so furioser Bilderwucht wie John Heartfield geführt haben, der 1940 in seinem Londoner Exil mit einer Ausstellung als "Einzelkämpfer im Krieg gegen Hitler" begrüßt und gewürdigt wurde.

Aber auch er hat auf den Titelseiten der großen Zeitschriften gekämpft, mit der Waffe der satirischen Fotomontage, mit jenen damals in allen politischen Lagern so populären "mit Fotos gezeichneten Karikaturen".

Das Museum Ludwig widmet diesem lange Vergessenen und erst kürzlich Wiederentdeckten nun eine erste große - vorzüglich aufbereitete - Ausstellung.

Es handelt sich dabei um ein bemerkenswertes Ereignis. Nicht so sehr weil dieser Marinus so überragend artistisch, ein solch genialer und mächtiger Bildererfinder gewesen wäre wie etwa sein Vorbild John Heartfield - er ist dies gewiss nicht -, sondern weil die Ausstellung ein bedeutendes Kapitel der Mediengeschichte maßgeblich erweitert, weil sie einen verlorenen Kontinent zurückerobert und kartiert: Marinus' engagierte Fotomontagen, die vor allem von 1932 bis 1940 in der französischen Wochenzeitschrift Marianne erschienen, insgesamt wohl ein Konvolut von rund 250 Arbeiten.

Titelseite der Zeitung Marianne, Paris, 4. Oktober 1939 mit einer Fotomontage von Marinus

Marinus, Fotomontage

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Ein spöttisches, feingeistiges, bisweilen auch grell aufzuckendes Bildergewitter gegen Faschismus und Totalitarismus.

Ein brillantes Werk der Aufklärung, ausgeführt mit Schere, Klebstoff und Retusche. Mit scharfem Verstand und beißendem Hohn.Basierend auf den bahnbrechenden Recherchen Gunnar Byskovs zur Biographie dieses 1884 in Dänemark geborenen und schon 1909 nach Paris ausgewanderten Phantoms, konturiert die Ausstellung Lebenslauf und Persönlichkeit des Marinus und präsentiert nahezu alle noch erhaltenen originalen Fotomontagen zusammen mit den gedruckten Ausgaben des Intellektuellenblatts Marianne.

Eine vorzügliche Tour de Force durch die Frühgeschichte der Fotomontage vom 19. Jahrhundert bis in die Bildpropaganda des Ersten Weltkriegs sowie ausgewählte Arbeiten John Heartfields ergänzen den Reigen.

Marinus, Fotomontage "Der Geist des Bösen", Paris 1940, Museum für Fotokunst, Odense, Dänemark

Marinus, Fotomontage

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Außerdem werden diverse vom Motiv her verwandt scheinende Fotomontagen von Marinus und Heartfield zu Paaren gruppiert, die vor allem die - erheblichen - Unterschiede in Bildsprache und Bildkonzeption der beiden Monteure markieren: Neben Heartfields weit dynamischeren, im Umgang mit dem Bildraum viel graphischer operierenderen, zur symbolischen Verdichtung und inhaltlichen Prägnanz strebenden Montagen erscheinen die Arbeiten von Marinus anspielungsreicher, komplexer, aber auch komplizierter.

Sie sind hintersinniger und weniger, wie bei Heartfield, an den Techniken der Reklame geschult. Weniger plakativ, aber auch weniger wirkungsmächtig.

Man findet bei Marinus, der natürlich die Arbeiten John Heartfields kannte, mehr Fein- und mehr Hintersinn und weniger Dada. Allerdings auch nicht die naive, nahezu frömmlerische Hingabe an den Bolschewismus wie beim Deutschen.

Marinus war ein Einzelgänger, ein Widerstandskämpfer aus dem zwar linksintellektuellen, aber bürgerlichen Lager. Einer, der Lügen erfand, um die Lüge zu desavouieren.

Marinus, Fotomontage 'Drahtseilakt', Paris 1940, Archiv Robert Lebeck, Berlin

"Hitler blind - Stalin lahm: Marinus und Heartfield. Politische Fotomontagen der 1930er Jahre", bis 19. Oktober im Museum Ludwig, Köln. Katalog: Steidl Verlag, 39 Euro. Informationen: www.museum-ludwig.de.

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