Fotomontagekünstler John Heartfield:Der Moralist als Don Quichotte

Kein Künstler suchte politische Lügen so hartnäckig zu entlarven wie John Heartfield. Er war nervös, überempfindlich und von seiner Aufgabe besessen bis zur Rücksichtslosigkeit.

Birgit Weidinger

Durch die stürmische See stampft ein Schiff, seine mächtigen Segel, Brot- und Fettmarken nachgebildet, blähen sich zwischen Hakenkreuzen im Wind. Darüber riesige Wolkenberge, düster, bedrohlich. Veröffentlicht wurde diese Fotomontage von John Heartfield unter dem Titel "Windstärke 1917" im September 1937 in der Volks-Illustrierten.

Der Text dazu lautete: "Macht euch bereit, macht euch bereit, wir segeln in die große Zeit." Die große Zeit sollte dann ebenso kurz wie verheerend ausfallen. Ihre so unfassbaren wie unvorhersehbaren Ereignisse hat John Heartfield, geboren 1891 in Berlin als Helmuth Herzfeld, als unerbittlicher Gegner des Naziregimes in zahlreichen Werken aufgegriffen.

Welt voller Unwägbarkeiten

Vor dem Beginn seines letzten Lebensjahrzehnts kaufte Heartfield 1957 ein Grundstück in Waldsieversdorf, wenige Kilometer entfernt von Berlin, um sich dort seine kleine Sommeridylle zu schaffen. Dazu ermuntert hatte ihn sein Freund Bert Brecht, der im nahen Buckow seine Bleibe hatte und daher die Schönheiten der Märkischen Schweiz gut kannte. Um das von Heartfield nach eigenen Plänen gestaltete Haus kümmert sich heute der "Freundeskreis John Heartfield", der zugleich mit Ausstellungen und Vortragsreihen das Andenken an das Werk des Künstlers zu bewahren sucht.

Auch solche Initiativen ändern allerdings wenig daran, dass der Mann mit dem seltsamen Namen im Bewusstsein der Öffentlichkeit hinter seinem Werk verschwunden zu sein scheint. John Heartfield war einer der Erfinder der politischen Fotomontage, ebenso berühmt wie umstritten, ja als platter Agitator verschrien.

Wer indes Heartfields Arbeiten genauer betrachte, so argumentieren seine Verteidiger, erkenne rasch, dass noch seine im Zweiten Weltkrieg entstandenen Montagen keineswegs nur dem politischen Kampf dienten. Sogar wenn man sie aus der konkreten historischen Situation ihrer Entstehung herauslöse, entfalteten sie sich zu abwechslungsreichen Schöpfungen. Heartfields üppige Symbolik stelle, so gesehen, vor allem eine Welt voller Unwägbarkeiten dar.

Grafiker, nichts weiter

Ganz falsch, rufen da andere (und konservativere) Kunstbetrachter. Sie finden, dass diese Bilder nur in Verbindung mit dem jeweiligen Anlass ihre Überzeugungs- und Durchschlagskraft entfalten konnten. Und außerdem, könne denn ein Bildermacher wie Heartfield, der vor allem für massenhaft reproduzierte Medien arbeitete, den Anspruch auf wahre Künstlerschaft erheben? Der Mann sei ein Graphiker gewesen, und nichts weiter.

John Heartfield selbst hätte dieser Streit eher kaltgelassen. Auch wenn er sich in der geistigen Tradition eines Hogarth, eines Goya oder Daumier sah, bezeichnete er sich doch nie als Künstler. Stattdessen sah er sich als "Monteur", der vorgefundenes Material wie Fotos, Plakate, Propagandaschlagworte bearbeitete, neu aufeinander bezog und so die Wahrheit hinter den PR-Lügen kenntlich zu machen suchte.

Mit seinen Arbeiten gehörte Heartfield zu den eifrigsten politischen Aktivisten des 20. Jahrhunderts. "Sein Auftreten zeigt deutlich, dass er nicht weiß, was Ruhe heißt", schrieb sein Bruder Wieland 1913 an die Dichterin Else Lasker-Schüler. Extrem wie die Tendenz seiner Montagen war die politische Einstellung des Ruhelosen. Er hasste die Nazis und hing dem Kommunismus an, ohne jeden Vorbehalt.

Halbfertige Montage

Heute, kurz vor der 40. Wiederkehr seines Todestags (er starb am 26. April 1968), erscheint Heartfields zwiespältiges Renommee selbst als eine halbfertige Montage, an der verschiedene Interessengruppen herumschnipseln. Man vereinnahmt ihn, man lehnt ihn ab, lobt ihn als Humanisten und Aufklärer und beschimpft ihn als verbissenen Sektierer. Doch so oder so: Die Perfektion seiner Collage- und Montagetechnik gilt weiterhin als faszinierend. Unterstützt hat ihn bei deren Entwicklung zeitlebens sein Bruder Wieland (der später seinem Nachnamen ein e anhängte: Herzfelde).

Wieland bereitete die Bühnen, auf denen der Bruder seine ersten Montagen veröffentlichte: 1917 gründete er den Verlag Malik, benannt nach dem literarischen Märchenprinzen der Else Lasker-Schüler. Nach einem schwierigen Start konnte sich der Verlag etablieren, auch weil er sich mit der Bewegung des Dadaismus verbündet hatte.

Viele Malik-Autoren pflegten eine intensive und kritische Gegnerschaft zum deutschen Nazismus und Militarismus, die Wieland Morddrohungen einbrachte. 1933 musste der Verleger ins Exil, kämpfte von Prag aus gegen Hitler, und ging dann via London in die USA. Dort rief er 1944 mit deutschen Exilanten wie Ernst Bloch, Bert Brecht, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger und Oskar Maria Graf in der Nachfolge des Malik-Verlags den Aurora-Verlag ins Leben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum der kommunistische Künstler sogar in der DDR Schwierigkeiten hatte.

Der Moralist als Don Quichotte

Nach dem Krieg übernahm Wieland dann eine Professur an der Leipziger Uni. Sein Verlag, der sich einen Ruf erworben hatte als der einzige prominente linke Verlag Deutschlands, wurde 1983 als "Neuer Malik Verlag" in Kiel wiedergegründet und 1996 von Piper aufgekauft. Heute wird dort unter der Marke Malik anspruchsvolle Reiseliteratur gedruckt.

Das wiederum hätte sich John Heartfield wohl kaum vorstellen wollen. Sein Metier war die Politik. Mit ihr war er aufgewachsen, seitdem er in Berlin-Schmargendorf auf die Welt gekommen war. Die Eltern Herzfeld waren Sozialisten. Als dem Vater, einem bekannten Schriftsteller, eine Haftstrafe wegen Gotteslästerung drohte, entzog sich die Familie durch die Flucht, erst in die Schweiz, dann nach Aigen bei Salzburg.

In ihrem Exil fristeten die Herzfelds ein ärmliches Dasein - bis eines Tages Vater und Mutter unter bis heute ungeklärten Umständen verschwanden. Sohn Helmuth wurde erst einem katholischen Kloster anvertraut (was er als getaufter Protestant als arge Belastung empfand) und schließlich mit seinem Bruder Wieland von Pflegeeltern aufgenommen.

Protest gegen die deutsche Englandfeindlichkeit

1905 kann der nun 14-jährige Helmuth eine Buchhändlerlehre beginnen. Von 1908 an studiert er Werbegraphik in München und Berlin, wo er zu den Dadaisten Kontakt aufnimmt und den Maler George Grosz kennenlernt, dessen Lebens- und Kunststil ihm schwer imponiert. 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, ändert Helmuth Herzfeld aus Protest gegen die Englandfeindlichkeit der Deutschen seinen Namen in John Heartfield. 1918 tritt er in die KPD ein; wenig später beginnt er mit seinen Fotomontagen erbittert gegen den Militarismus und den bald heraufziehenden Nationalsozialismus zu kämpfen.

1933 ist dieser Kampf fürs Erste verloren. Nachdem die Deutschen die Nazis an die Macht gebracht haben, flieht Heartfield zunächst in die Tschechoslowakei, wo er mit seinem Bruder weiter für Malik arbeitet. Doch obwohl er bereits 1931 die Sowjetunion besucht und dort Vorlesungen, gehalten hatte, weicht er 1938 vor den sich weiter ausbreitenden Nazis nicht nach Moskau aus, sondern nach London. Dort bleibt er bis 1948. "Es war lustig zu beobachten, wie schnell Heartfield den zähen Londoner Arbeitern im Straßenbild ähnlich sah. Er fühlte sich richtig zu Hause", erinnert sich Bruder Wielands Sohn an den Onkel.

Der Neffe erzählt auch, wie sich die Inspiration und die zynische Lust des Fotomonteurs an der Kritik politischer Zustände mit dem organisatorischen und unternehmerischen Geschick des Verlegers verbinden: John "stolperte über seine Gedanken und brauchte seinen Bruder, um sie zu präzisieren und zu formulieren." So entstehen die Arbeiten, die John Heartfield weltweit bekanntgemacht haben: die aufsehenerregenden Bucheinbände der Malik-Publikationen und die Fotomontagen in der Arbeiter-Illustrierten AIZ, die zwischen 1927 und 1933 ihre höchsten Auflagen entwickelt.

"Besessen bis zur Rücksichtslosigkeit"

In seinen Fotomontagen verspottet, verfremdet, entlarvt Heartfield den "größten Feldherrn aller Zeiten", die zaudernde Kirche, das obrigkeitstreue Militär, die von alldem profitierenden Geschäftemacher. Er zeigt ein Hakenkreuz aus blutigen Henkersbeilen, einen Adolf Hitler im Röntgenbild, der "Gold schluckt und Blech redet" oder den Genfer Völkerbundpalast als Kathedrale aus Granaten. Das Tausendjährige Reich ist ein Kartenhaus, der feiste Göring posiert blutbespritzt und mit Axt als "Henker des Dritten Reichs".

"Er war ein kleiner drahtiger Mann, nervös und überempfindlich, von seiner Aufgabe besessen bis zur Rücksichtslosigkeit", erinnert sich Wieland Herzfeldes Sohn. "Die unerträglichen Ereignisse", so Oskar Maria Graf, "sind die Antriebskräfte seiner Kunst, er ist gleichzeitig ein fanatischer Moralist und ein Don Quichotte. Er will die Menschen und das System verändern, weiß aber zutiefst in seinem Herzen, dass das oft ein Kampf gegen Windmühlen ist. Daher rührt seine fast giftige Selbstverspottung, seine tiefe Verlegenheit, wenn man ihn oder seine Arbeit lobt, sein Galgenhumor, der sich manchmal knüppeldick zeigt in der bestürzenden Gewichtigkeit seiner künstlerischen Anstrengung."

1952 lässt sich Heartfield in der DDR nieder. Doch seine kommunistische Überzeugung ist ihm da zunächst kaum von Nutzen. Es dauert Jahre, bis er und sein Bruder vom dortigen Regime künstlerisch und politisch anerkannt und unterstützt werden.

Posthume Würdigung

Trotzdem: In der DDR wie in der Bundesrepublik suchte man nach dem Krieg erst einmal nach "bleibenden Werten". Folgerichtig sank das Interesse für einen, dessen Kreativität sich vor allem über Massenmedien verwirklichte. Man reduzierte Heartfield zum zeitabhängigen Agitator, seine Bildkunst rückte in den Hintergrund. Dass seine Texte im Lauf der Zeit lakonischer gerieten und seine Fotomontagen mit zunehmend weniger Elementen eine zunehmend größere Ausdruckskraft erreichten, wurde vor allem von orthodoxen Linken kaum als Reifung empfunden, sondern als Rückschritt in ideologische Unschärfe gewertet.

Bis heute beeindruckend geblieben ist Heartfields künstlerischer Nachlass: 250 Zeichnungen, Studien und Skizzen; an die 960 Zeitungsdrucke, 1750 Buchumschläge und Broschüreneinbände; 369 Plakate; 414 gebrauchsgraphische Arbeiten. Darüber hinaus: Mehr als tausend Entwürfe für Zeitschriften wie Die Pleite, Der Knüppel, Die Rote Fahne, die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung, die Volks-Illustrierte, für Buchumschläge und Plakate, für Bühnenbilder, Kostüme und Lichtbildprojektionen.

Erst lange nach seinem Tod dokumentierten große Ausstellungen (wie die von 1992 in Berlin, die dann nach New York ging) das Gesamtwerk des "Monteurs". Spätestens nun wurde klar, dass John Heartfields hartnäckige politische Überzeugung kein Grund sein sollte, sein Talent für Anschaulichkeit und visionäre Schärfe zu vergessen.

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