Fotomarathon in München:Haste Fotos?

"Oh du lieber Augustin" Foto-Inszenierung

Beim Fotomarathon ist alles erlaubt. Hauptsache, die Bilder sind in richtiger Reihenfolge.

(Foto: Laura Wilhelm)

"Es tanzt ein Bi-Ba-Butzemann ...": Kinderlieder fotografieren - wie soll das gehen? Besuch bei einem Fotomarathon.

Von Klara Fröhlich

Ein Stöhnen geht durch die Menge. Gerade wurden die ersten sechs Themen des diesjährigen Münchner Fotomarathons bekannt gegeben. Das Motto: "Haste Töne?!". Zwölf Bilder zu zwölf Kinderliedern müssen die Teilnehmer in acht Stunden produzieren. "Das Wandern ist des Müllers Lust", "Kommt ein Vogel geflogen", "Wer will fleißige Handwerker seh'n?". Kinderlieder fotografieren? Wie soll das gehen?

180 Teilnehmer haben sich zum Marathon angemeldet. Zum vierten Mal findet der Wettbewerb in München statt. Auch in anderen Städten zieht das Konzept Hobby-, Amateur- und vereinzelt Profi-Fotografen an. Berlin hatte schon den 15. Fotomarathon, auch in Dresden, Hamburg und Stuttgart gibt es ihn seit mehreren Jahren. Dabei gilt: Jeder kann fotografieren, was und wo er will. Der künstlerischen Freiheit werden keine Grenzen gesetzt - solange die Bilder in der Reihenfolge der vorgegebenen Themen aufgenommen werden. Das wird über das Aufnahmedatum und die Uhrzeit auf dem Bild kontrolliert. Fotografiert man fünf Bilder und hat dann eine geniale Idee für das erste Thema, kann man das Foto zwar machen, muss aber die vier folgenden Bilder noch einmal schießen.

Fotomarathon München

Wird Startnummer 178 das Rennen machen? Alle Teilnehmer versammeln sich zu Beginn des Foto-Wettbewerbs für die Themenbekanntgabe.

(Foto: Michael Behr)

Man muss sich durch Witz und Originalität unterscheiden

Sebastian Rieger, kurze braune Haare und drei-Tage-Bart, hat den Kopf in die Hände gestützt und starrt auf den Tisch: "Die ersten zwei Ideen kann man gleich wieder wegschmeißen. Die haben die anderen nämlich auch", erklärt er. Eigentlich arbeitet der 34-Jährige für eine Versicherung. Vor anderthalb Jahren hat er das Fotografieren auf einer Urlaubsreise entdeckt und verbringt nun viel Zeit mit dem neuen Hobby. Beim Fotomarathon will er sich durch Witz und Originalität hervorheben und ein Bild-im-Bild Konzept ausprobieren. Das heißt: Erst ein Motiv fotografieren, dann das Bild ausdrucken und dieses Bild noch einmal abfotografieren. So entstehen zwei überlagerte Bilder, die zusammen eine Geschichte erzählen.

Sebastians erste Position ist ein Sportwarengeschäft am Marienplatz. Für das Thema "Das Wandern ist des Müllers Lust" borgt er sich einen Wanderschuh aus und fotografiert ihn ab. Dann sucht er das zweite Motiv zum Thema "Kommt ein Vogel geflogen". In einem Souvenirladen findet er eine kleine Meise aus Ton. Weiter geht es zum großen Kaufhaus. Dort hofft er, Hammer und Meißel für das Lied über die fleißigen Handwerker zu finden. Nach zweieinhalb Stunden ist die erste Schicht fotografiert.

Marmorkuchen vor Frauenhintern

Im Fotoladen muss Sebastian eine Stunde auf das Ausdrucken der Bilder warten. Die zweite Hälfte wird stressig, doch jetzt gibt es kein Zurück mehr. Als er die Fotos in den Händen hält, sucht er passende Hintergründe. Das Bild vom Wanderschuh hält er vor eine schwarze Fläche, auf der das Gütesiegel einer Bäckerei zu sehen ist, eine goldene Mühle. Die Hand, die ein Bild ins Bild hält, ist sein roter Faden und erinnert den Betrachter, dass hier jemand hinter der Kamera steht und inszeniert.

Das wird besonders deutlich beim Foto zum Thema "Backe, backe Kuchen". Statt Sebastians Hand sieht man schlanke, feminine Finger mit durchsichtigem Nagellack. Die Hand hält ein Bild von einem Stück Marmorkuchen vor einen nackten Frauenhintern. Der stammt von einem Werbeplakat. Der klassischste und traditionellste aller Kuchen vor einem wohlgeformten Frauengesäß - das provoziert. Nacktsein und Backen. Ein Kinderlied könnte man so wohl nicht illustrieren, schräg ist die Idee aber auf alle Fälle.

Backe, backe Kuchen

So inszeniert Hobbyfotograf Sebastian Rieger das Thema "Backe, backe Kuchen".

(Foto: Sebastian Rieger)

Am Nachmittag finden sich die Teilnehmer an einem zentralen Treffpunkt in der Innenstadt ein. Hier soll es die nächsten sechs Themen geben. Die Tische der Bäckerei, die als Treffpunkt dient, sind alle belegt. Selbst auf dem Bordstein sitzen Menschen mit Startnummern und strecken die Beine aus. Cappuccino und Espresso wird in der Bäckerei gerade gut verkauft.

"Hier kann ich endlich mal was Eigenes machen"

Laura, Mitte dreißig, dunkelblonde Haare, blaue Augen, schwarzes Sommerkleid, hat sich mit ihrem italienischen Freund Alberto einen abgelegenen Rastplatz gesucht. Beim Dönerimbiss besprechen sie den zweiten Themenblock und hören sich dabei auf dem Smartphone Kinderlieder an. Laura redet schnell, gestikuliert viel und schreibt sich in einem kleinen Buch Schlagwörter auf.

Laura und Bernard beim Münchner Fotomarathon

Nach getaner Arbeit entspannt Laura Wilhelm mit dem Fotokollegen Bernhard Rauscher beim Münchner Fotomarathon.

(Foto: Klara Fröhlich)

Eigentlich wollte Laura Menschen im Grünen von oben auf ihren Decken fotografieren. So sieht man auf ihrem ersten Bild einen kleinen Jungen, der auf der Seite liegend mit Trekking-Stöcken posiert. Er wandert quasi im Liegen. Doch die Inszenierung wirkt noch ein bisschen hölzern.

Als gegen Mittag Wind aufzieht, sind die Wiesen an der Isar verwaist. Laura muss ihr Decken-Konzept abwandeln. Hochformat und Vogelperspektive bleiben, doch die Motive inszeniert sie lockerer. Für das Thema "Oh, du lieber Augustin" zum Beispiel schaut Alberto, mit weit aufgerissenem Augen den Mund zu einem "Oh" geformt, von unten in die Kamera. Sein Oberkörper ist nackt, drumherum liegen Bananenschalen und Flaschendeckel.

Laura arbeitet als Kommunikationsdesignerin: "Ich gestalte beruflich immer für andere Menschen", sagt sie. "Hier kann ich endlich mal was Eigenes machen." Das sehen wohl viele Teilnehmer ähnlich. Auch wenn nicht alle mit zwölf Bildern in der richtigen Reihenfolge am Ziel eintreffen, herrscht am Ende des Tages fast euphorische Stimmung. Bei Limo oder Bier werten die Teilnehmer ihre Ideen aus, diskutieren über die Bilder und verabreden sich fürs nächste Mal. Bis September müssen sie nun auf die Prämierung warten.

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