Fotokunst in New York:Der Spanner von nebenan

Arne Svenson hat seine unwissenden Nachbarn durch ihre Fenster hindurch fotografiert - und wurde daraufhin verklagt. Dabei sehen die Bilder des New Yorker Fotografen nicht aus wie das Werk eines Übeltäters.

Von Kathleen Hildebrand

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Fotokunst in New York:The Neighbors #11, 2012, Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York

Arne Svenson

Quelle: Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York

Arne Svenson hat seine unwissenden Nachbarn durch ihre Fenster hindurch fotografiert - und wurde daraufhin verklagt. Dabei sehen die Bilder des New Yorker Fotografen nicht aus wie das Werk eines Übeltäters.

Von Kathleen Hildebrand

Ein Mann hält friedlich sein Mittagsschläfchen auf einer grauen Designercouch. Die Farben von Kissen, Sofa und seinem leicht hochgerutschten Pullover passen harmonisch zusammen - seine größte Sorge dürfte der leichte Luftzug in der Nierengegend sein.

Das wäre wahrscheinlich anders, wenn er wüsste, dass er gerade von einem fremden Mann aus dem Haus gegenüber durch ein Teleobjektiv fotografiert wird. Dieser Mann ist Arne Svenson, ein renommierter Kunstfotograf aus New York. Er habe "die tägliche Routine seiner Nachbarn in Downtown Manhattan studiert", beschreibt er seine künstlerische Arbeit.

The Neighbors #11, 2012 (Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York)

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Fotokunst in New York:The Neighbors #1, 2012 (Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York)

Arne Svenson

Quelle: Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York

Seinen Nachbarn gefiel die Fotoserie "The Neighbors", die Svenson im Mai und Juni in der New Yorker Julie Saul Gallery ausgestellt hat, allerdings nicht. Zwei von ihnen, die ihre Kinder unter den Motiven wiedererkannt hatten, verklagten den 60-jährigen Fotografen, weil er in ihre Privatsphäre eingedrungen sei.

Nun hat ein Gericht entschieden, dass Svensons Fotografien unter die Kunst- und Meinungsfreiheit fallen, die die amerikanische Verfassung den Bürgern garantiert. Das Urteil sei "ein großer Sieg für die Rechte aller Künstler", sagte der Fotograf dem britischen Guardian.

The Neighbors #1, 2012 (Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York)

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Fotokunst in New York:The Neighbors #3, 2012 (Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York)

Arne Svenson

Quelle: Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York

Arne Svenson bezeichnet sich selbst als "Porträtisten" - dass er das nicht im ganz konventionellen Sinn meinen kann, zeigen seine Nachbar-Fotos, auf denen kein einziges Gesicht ganz erkennbar ist. Die Fenster rahmen die Bilder und die leicht verschmutzten Scheiben lassen sie älter erscheinen als sie sind: Durch die blassen Farben haben "The Neighbors" etwas beinahe Altmeisterliches.

Er habe mit den Bildern die "Nuancen der menschlichen Existenz beobachten" wollen: "Ich finde, die ungestellten, unbewussten Aspekte des Lebens am schönsten zu fotografieren", erklärt er, "ich interessiere mich viel mehr dafür, den Atem zwischen den Worten festzuhalten, als für die Worte selbst."

The Neighbors #3, 2012 (Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York)

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Fotokunst in New York:The Neighbors #17, 2012 (Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York)

Arne Svenson

Quelle: Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York

"Ich fotografiere nichts Anzügliches oder Herabwürdigendes", sagte Arne Svenson dem Guardian über die Moralität seines Werks. "Ich fotografiere die Bewohner des Hauses nicht als spezifische, identifizierbare Individuen, sondern als Repräsentanten der Menschheit."

"The Neighbors" repräsentieren freilich eine spezifischen Ausschnitt der Menschheit - den wohlhabenden, designverliebten New Yorker. Die Apartments im Zinc Building im Stadtteil Tribeca, durch dessen anspruchsvoll gegliederte Glasfassade Svenson fotografiert hat, kosten von einer Million Dollar aufwärts - für eine Einzimmerwohnung.

The Neighbors #17, 2012 (Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York)

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Fotokunst in New York:The Neighbors #4, 2012 (Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York)

Arne Svenson

Quelle: Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York

Seine Fotoserie reiht sich ein in die lange Tradition der Großstadtfotografie, die beständig das Verhältnis zwischen Individuum und Masse auslotet. "New Yorker sind Meister darin, Beobachter und Beobachteter zugleich zu sein. Wir leben so dicht zusammengepackt, dass Kontakt unvermeidlich ist", sagte Svenson dem Magazin Slate. "Ich habe diese symbiotische Beziehung zwischen Betrachter und Betrachtetem nur hier gefunden - wir verstehen, dass Privatsphäre fließend und dass Glas wirklich durchsichtig ist."

Arne Svensons Neugier nach fremden Leben ist keine Einbahnstraße - er selbst lässt auch Fotografen in seine Wohnung. Die New York Times veröffentlichte im vergangenen Jahr eine Homestory über sein Loft, das ein wahres Kuriositätenkabinett ist: mit einem Tisch mit Kamelbeinen, einer Beinprothese und sehr vielen ausgestopften Tieren, manche zu Dioramen arrangiert.

The Neighbors #4, 2012 (Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York)

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Fotokunst in New York:The Neighbors #16, 2012 (Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York)

Arne Svenson

Quelle: Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York

Ähnlich abseitig sind auch die Motive, die er sonst fotografiert. In Svensons Werk-Mappe finden sich zerkuschelte Spielzeugtiere, Katzenbabys, deren Gesichter nicht erkennbar sind und forensische Gesichtsrekonstruktionen von Leichen, die nicht identifiziert werden konnten - unter anderem von Opfern der nie geklärten Frauenmorde im mexikanischen Ciudad Juárez.

"Ich ziehe gern kleine Teile aus dem Leben heraus. Der Rest ist zu überwältigend", sagt Svenson.

The Neighbors #16, 2012 (Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York)

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Fotokunst in New York:The Neighbors, 2012 (Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York)

Arne Svenson

Quelle: Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York

Auf die Idee zu "The Neighbors" kam Arne Svenson, als er ein Teleobjektiv von einem Freund erbte, der begeisterter Vogelbeobachter gewesen war. Um das Objektiv auszuprobieren, richtete er es auf das Haus gegenüber - "das war das logische Motiv".

Die Bewohner des Zinc Building müssen sich darüber bewusst gewesen sein, dass bodentiefe Fenster zur Beobachtung einladen. Insofern sagen die Bilder auch einiges über unsere Fähigkeit aus, andere Menschen aus unserer Wahrnehmung auszublenden.

The Neighbors, 2012 (Arne Svenson Courtesy Julie Saul Gallery, New York)

© SZ.de/cag/rus
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