Fotografie: Sowjetische Architektur:Der schmutzige Traum

Was ist hässlicher? Die alte sowjetische oder die neue russische Architektur? Fotograf Frédéric Chaubin hat als architektonisches Trüffelschwein im ehemaligen Sowjetreich nach utopischen Ausnahmen gesucht - und sie gefunden.

Till Briegleb

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(Foto: Taschen Verlag/Frédéric Chaubin)

Was ist hässlicher? Die alte sowjetische oder die neue russische Architektur? Fotograf Frederic Chaubin hat als architektonisches Trüffelschwein im ehemaligen Sowjetreich nach utopischen Ausnahmen gesucht - und sie gefunden. Die Bilder. Was ist hässlicher? Die alte sowjetische oder die neue russische Architektur? Die "Eliminierung der Extravaganz auf dem Bausektor", die Chruschtschow 1955 per Dekret erließ, hat monotone Blöcke aus bröckelnden Fertigbauteilen hinterlassen, die nur in Details und Wandmosaiken Überraschungen bieten. Die Stilblüten der Extravaganz, die Russlands Neureiche und Baufirmen heute in Form einer aufgeblähten, papageienhaften Postmoderne verbreiten lassen, sind in ihrer kitschigen Geltungssucht oft noch aufdringlicher als die Monotonie der Planwirtschaft. Doch russische Moderne war nicht immer und überall so schlimm, wie das Land sich heute darstellt. Einzelne Zeugnisse konstruktivistischer Abstraktionen, die fast achtzig Jahre Ignoranz Russlands gegenüber seinem Erbe der Revolutionszeit mit Glück überlebt haben, belegen noch heute die große vertane Chance der sozialistischen Stadtentwicklung. Auch in der doktrinären Lehre vom richtigen Bauen, die über vierzig Jahre das Sowjetreich riegelgerecht formte, gab es Ausnahmen und bürokratische Unaufmerksamkeiten, die aufregende, oft sogar extravagante Architektur zuließen. Text: Till Briegleb/SZ vom 4.2.2011/sueddeutsche.de/frey/rus Alle Bilder stammen aus dem besprochenen Band: Frédéric Chaubin, Cosmic Communist Constructions Photographed, erschienen im Taschen-Verlag.

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(Foto: Taschen Verlag/Frédéric Chaubin)

Der französische Fotojournalist Frédéric Chaubin hat sich als architektonisches Trüffelschwein mehrere Jahre auf die Suche nach solchen Bauten im ehemaligen Sowjetreich begeben. Und was er dabei gefunden hat, ergibt eine köstliche Sammlung wild wuchernder Architekturphantasien, die er jetzt in einer großen Ausstellung "CCCP - Cosmic Communist Constructions Photographed" im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe präsentiert. Vor allem runde Formen beherrschen die Entwürfe der Architekten zwischen Tallinn und Tiflis. Als wäre im Diktat von Ordnung und rechtem Winkel die geschwungene Linie ein schmutziger Traum, in dem alle unterdrückten Sehnsüchte hervorbrechen, nimmt sich das expressive Vokabular plötzlich alle Freiheiten - sogar die, beim Klassenfeind zu lernen. Die dynamische Leichtigkeit von Eero Saarinen findet sich ebenso adaptiert wie die Form- und Material-Collagen Alvar Aaltos, Frank Lloyd Wrights Guggenheim-Schwünge hinterließen ebenso Spuren wie Philip Johnsons Formexperimente. Und doch verwandelten die Baumeister des Ostblocks dieses konspirative Wissen in einen eigenen sowjetischen Stil. Wuchtiger sind ihre Linien, kraftstrotzender ihre Gesten, und vor allem verbinden sie die Vorbilder aus dem Westen und die gelegentlichen Anleihen beim hauseigenen Suprematismus der Vor-Stalin-Ära mit Elementen der übrig gebliebenen Regionalkultur. So entstehen in dieser subversiven Sowjet-Avantgarde bizarre Mischformen aus Skulptur und Ornament, teilweise sogar in den monströsen Größen, die der staatliche Repräsentationswille verlangte.

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(Foto: Taschen Verlag/Frédérich Chaubin)

Natürlich sind es vor allem jene Versammlungsorte, an denen das sozialistische Subjekt sich kollektiver Freuden hingeben durfte, die in den Genuss von Dekor, Mut und Formphantasie kamen. Zirkusse und Sportarenen, Theater und Hochzeitspaläste, Urlaubsanlagen und andere Sonderbauten durften ihre individuelle Erbauungsfunktion auch gesellschaftlich anzeigen. Außerdem genossen die der Wissenschaft gewidmeten Gebäude gelegentlich das Vorrecht, sich architektonisch hervorzuheben. Die Begeisterung für Technik und Raumfahrt erlaubte bei der Gestaltung eine Art Weltraum-Futurismus, der sich als sanktionierte Ausnahme von der Norm-Moderne auch auf andere Bauaufgaben übertrug. Vor allem die fliegende Untertasse hatte im Lande Gagarins als Vorbild Hochkonjunktur. Ob als gigantische Ferienanlage auf Stelzen am Schwarzen Meer, als Zirkus in Kasan, Arena in Taschkent, als Sommerresidenz des armenischen Präsidenten am Sevansee oder als Wissenschaftsinstitut in Kiew, überall schlug sich die Zukunfts- und Technikeuphorie in Gebilden nieder, die direkt aus den Zeichenbüros der sowjetischen Unterhaltungsindustrie hätten stammen könnten.

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(Foto: Taschen Verlag/Frédéric Chaubin)

Doch diese Freude am Utopischen und Fantastischen, die dem sowjetischen Konformismus eine spielerische Note hätte geben können, blieb Ausnahme. Dabei war diese revolutionäre Architektur weit eher fähig, Ausdruck einer gesellschaftlichen Umwälzung zu sein, als die Verwalter der Revolution es mit ihren schweigenden Bauten der Ordnung und Überwachung zuließen. Aber das war vermutlich genau der Grund, warum die Politbürokraten trotz ihrer Vorliebe für den Sowjet-Protz die Originalität ihre Architekten so fürchteten. Wunschträume mussten in Nischen gezwungen werden, damit sie nicht ansteckend wurden. In diesen utopischen Winkeln aber hat bis heute einiges überdauert, das einen Subtext zur grauen Architekturgeschichte des Kommunismus liefern kann. Allerdings sind viele dieser Bauten von dem Willen der neuen Herrschaft bedroht, mit dem Sowjetreich nichts mehr zu tun zu haben. Die meisten der von Frédéric Chaubin dokumentierten Architekturwunder sind in einem erbärmlichen Zustand, manche bereits abgerissen. Der Geist der Gier, der sich mit pseudohistorischen Architekturelementen verkleidet, hat für die echte Geschichte des Landes nichts übrig. Vielleicht bewirkt Chaubins Schatzsuche ja, dass dieses Erbe der Menschheit die Aufmerksamkeit erfährt, die es verdient. Frédéric Chaubin. CCCP - Cosmic Communist Constructions Photographed, ZKM- Museum für neue Kunst, Karlsruhe, bis 27. März 2011, Katalog: Taschen Verlag, 288 S., 49,99 Euro.

© SZ vom 04.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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