Fotografie:Mensch, hast du dich verändert

Der Eisverkäufer Genesio Borrillo in Peterborough - 1980 (rechts) und 2014

Der Eisverkäufer Genesio Borrillo in Peterborough - 1980 (rechts) und 2014.

(Foto: Chris Porsz / Bav Media)

Immigranten, Teenager, Eisverkäufer: Chris Porsz knipste in seiner Heimatstadt Peterborough einst alle Menschen, die ihm interessant erschienen. Knapp 40 Jahre später porträtierte er sie noch einmal. Die Wirkung ist verblüffend.

Interview von Alexander Menden

Chris Porsz, 63, arbeitet als Sanitäter im südostenglischen Peterborough. Von 1980 bis 1985 dokumentierte er das Leben in seiner Heimatstadt, indem er Menschen auf der Straße fotografierte. Gut 30 Jahre später nahm er dieselben Menschen an denselben Orten noch einmal auf. Das Ergebnis, 135 Bildpaare, ist jetzt als Buch mit dem Titel "Reunions" erschienen.

SZ: Hat Sie das große Interesse an ihrer Fotoserie überrascht?

Chris Porsz: Allerdings. Ich habe so ziemlich aus jedem Land der Welt Interview-Anfragen bekommen, von Südamerika über Europa bis Asien und Australien. Dabei hatte ein Verlag, dem ich "Reunions" angeboten hatte, mit der Begründung abgelehnt, dass das Thema "zu lokal" sei. Es scheint aber so zu sein, dass das Konzept entscheidend ist, nicht der Ort, an dem die Fotos entstanden sind. Und es gibt bestimmt auch einen Nostalgie-Effekt.

Was genau ist das Konzept?

Ich habe Anfang bis Mitte der Achtzigerjahre einfach Menschen geknipst, die sich irgendwie von der Masse abhoben. Die allermeisten waren Fremde, von denen ich keine Kontaktdaten hatte und oft nicht einmal wusste, wie sie hießen. Ich wollte ursprünglich Sozialarbeiter werden, und der dokumentarische, gesellschaftliche Aspekt dieser Bilder hat mich fasziniert. Es ging schneller, als einen langweiligen sozialwissenschaftlichen Aufsatz zu schreiben. Danach habe ich jahrelang überhaupt keine Fotos gemacht.

Und was hat Sie bewogen, dieselben Menschen noch einmal zu fotografieren?

Vor ungefähr sieben Jahren wurde hier ein Teil der Innenstadt abgerissen, um einem Einkaufszentrum Platz zu machen. Ich hatte Fotos vom Stadtzentrum in den Achtzigerjahren und bot sie unserer Lokalzeitung an. Der Redaktion gefiel das Bild, und sie fragten mich, ob ich noch mehr aus der Zeit hätte. Meine Porträts wurden dann in einer Serie namens "Paramedic Paparazzo" veröffentlicht. Manche Leser entdeckten sich oder Verwandte auf diesen Bildern und meldeten sich bei mir. Zum Beispiel der Vater eines jungen Mannes, den ich am Bahnhof beim Küssen mit seiner Freundin fotografiert hatte. Das brachte mich auf den Gedanken, noch mehr Menschen wiederzufinden und die Fotos von damals mit ihnen nachzustellen.

Hobbyfotograf Chris Porsz

Menschen an ihren Orten - vor 40 Jahren und heute

Wie haben Sie die Menschen gefunden?

Auf viele bin ich über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter gestoßen. Bei manchen war es reiner Zufall: Ich wurde zum Beispiel eines Abends als Sanitäter zu einem Haus gerufen, und der Mann, den ich behandelte sagte zu mir: "Du hast vor 30 Jahren ein Foto von mir gemacht." Ich erinnerte mich, er war damals erst zwölf Jahre alt, hat aber schon geraucht.

Interessant auch, wie sich die Orte verändert haben.

Bei manchen hat sich wenig verändert, bei anderen konnte ich das Bild gar nicht an derselben Stelle rekonstruieren, weil alles völlig anders aussah. Ich habe damals gar nicht so auf die Hintergründe geachtet.

Wollen Sie mit den Fotos etwas über den Zustand Großbritanniens erzählen?

Das spielt eine wichtige Rolle. Meine Eltern stammten aus Polen. Meine Mutter überlebte das KZ Ravensbrück, bevor sie hierher kam. Nach der Brexit-Entscheidung gab es viele Angriffe auf polnische Immigranten in England. Ich hoffe, dass meine Bilder einen Gegenentwurf zeigen - Menschen jeder Herkunft, jeder Schicht, die friedlich miteinander leben. Nichts Dramatisches. Alltag.

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