Der Syrienkrieg ist optisch so dicht dokumentiert wie kein Schlachtfeld zuvor, das Netz ist voller Leid und Tod und Zerstörung. Nur welche Bilder werden in Erinnerung bleiben? Gibt es etwas, das stärker nachwirkt als das aktuelle Trauma? Das Deutsche Archäologische Institut (DAI) Istanbul hat in seinen Schätzen gegraben, gemeinsam mit dem Museum für Islamische Kunst in Berlin hat es schon seit 2012 rund 150 000 historische Fotos aus Syrien digitalisiert. Sie zeigen historische Monumente, aber auch Straßenszenen, Alltag. Dieses gewaltige Archiv war nun Ressource für ein bislang einmaliges Projekt.
Schüler, Studenten, Architekten, Hausfrauen, Arbeiter, Archäologen, die aus Syrien in die Türkei geflüchtet sind, konnten sich die Fotos ansehen und mit ihren Erinnerungen verbinden. Das Ergebnis bestätigt, dass sich Erinnerung gern an zunächst unbedeutend wirkenden Details festhält: an dem Zitronenbaum im schattigen Garten, den Taubenschwären in der Umayyaden Moschee in Damaskus. Omar, 23, aus Idlib, weiß noch, wie sein Freund bei einem Spaziergang auf eine antike Statue stieß. "Idlib", sagt er, "sitzt auf einem Meer von archäologischen Schätzen".
Idlib? Von der syrischen Provinz ist derzeit in den Kriegsberichten viel die Rede, weil sie die letzte umkämpfte ist. Von dort könnte eine neue Flüchtlingswelle ausgehen. Oral History kann keine Gegenöffentlichkeit schaffen, aber einen erweitern Raum der Erinnerung. Sie unterstreicht die Bedeutung des Archivmaterials, als Stütze für das kollektive Gedächtnis. Zu sehen und zu hören sind Fotos und Interviews bis 26. Oktober unter dem Titel "Bir Mekân, Bir Hikâye (Ein Ort, eine Geschichte) in der Khas Galerie der Kadir Has Universität in Istanbul. Der Katalog ist dreisprachig, Englisch, Arabisch, Türkisch. Die Ausstellung ist Teil eines aus der Not geborenen Stipendienprogramms, für das es jetzt auch den Europa-Nostra-Preis gab: Das DAI Istanbul bildet seit zwei Jahren ein halbes Dutzend Archäologen und Architekten aus Syrien weiter. Unterstützt wird es dabei von der Gerda Henkel Stiftung und dem Auswärtigen Amt. Dies geschieht in der Hoffnung "auf eine Wiederbelebung des kulturellen Erbes nach dem Ende des Konflikts", sagt der Direktor des Instituts, der Archäologe Felix Pirson.
Wenn es einmal so weit ist, und die Baukonzerne aus der Türkei anrücken, wird es gewiss Debatten darüber geben, wie viel vom historischen Erbe wiederauferstehen soll, zum Beispiel in der zerschossenen, einst so großartigen Altstadt Aleppos. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat jüngst erst gesagt, er habe mit Merkel und Macron schon über den Wiederaufbau gesprochen. Die Türkei, so viel ist klar, erhofft sich finanzielle Hilfe aus Europa, auch weil sie möglichst viele der 3,6 Millionen Syrer, die sie aufgenommen hat, nun bald wieder zurückschicken will.
"Steine sind nicht nur Steine, sie sind unsere Identität", sagt Yasser Dallal, ein Archäologe aus Aleppo, der zu den Stipendiaten gehört. Die sind alle zwischen Ende 20 und Mitte 30. Der Architekt Ahmad Masri, auch ein Stipendiat, hat in Aleppo noch unter Lebensgefahr historische Bauten dokumentiert. Nicht alle seine Kollegen vom Syrischen Verein für Kulturerhalt haben ihr Engagement überlebt. Diana Miznazi, Architektin und Denkmalpflegerin, die das Projekt im DAI betreut, sagt, sie wolle "Reichtum und Schönheit" ihre Landes zeigen. Die historischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen in der Ausstellung strahlen eine besondere Ruhe aus. Viele ältere Besucher aus Syrien stehen lange davor und schweigen.