Fotografie:Der Müll, die Stadt und das Leben

Der südafrikanische Fotograf Pieter Hugo zeigt die Armen als Persönlichkeiten. Im Kunstmuseum Wolfsburg ist sein Werk jetzt in einer großen Retrospektive zu sehen.

Von Till Briegleb

Es sind die Schauplätze des hässlichen und brutalen Afrikas, an denen Pieter Hugo fotografiert. Auf den Spuren des Völkermords in Ruanda oder auf der berühmten Elektronikschrott-Kippe Agbogbloshie in Ghana, in den Randbezirken des urbanen Molochs Lagos oder in Problemstädten seines Heimatlandes Südafrika. Und trotzdem sind Hugos Bilder hochästhetisch und selbst beim Blick auf das größte Grauen frei vom anklagenden Voyeurismus des Schocks. Kann das im Sinne der Wahrheit sein?

Eine Dokumentarfotografie, die nicht die europäischen Klischees reproduziert über einen Kontinent, auf dem sich Aids, Slums, Armut und Kriminalität paaren mit greisen Diktatoren, grausamen Warlords, Bürgerkriegen und lähmender Totalkorruption, garniert mit Natur- und Hungerkatastrophen, die kann sicherlich nicht falsch sein. Aber wenn diese Sorte von Darstellung schön wird, dann sind meistens Löwen, Giraffen und tanzende Folklore-Schwarze zu sehen. Hugo aber hat ikonische Bilder geschaffen, die durch die Medien der Welt zirkulieren, und ist trotzdem aufrüttelnd und präzise. Wie geht das?

Die umfassende Werkschau mit 16 Serien und rund 150 Fotos, die das Kunstmuseum Wolfsburg gerade zeigt, macht die außergewöhnliche Haltung Hugos zum Abbild der Wirklichkeit schrittweise nachvollziehbar. So ist er nicht der erste Fotograf oder Künstler, der sich mit der brennenden Wohlstandshölle von Agbogbloshie beschäftigt hat, die im Volksmund "Sodom und Gomorra" heißt und einer des kontaminiertesten und gesundheitsschädlichsten Orte der Welt ist. Aber er hat nicht, wie die meisten seiner Vorgänger, das Desaster dieser Müllkippe, auf der jährlich Millionen Tonnen von Technikmüll der ersten Welt gefleddert und verbrannt werden, ins Zentrum seiner Motive gerückt, sondern die Menschen, die dort ihr Essen verdienen. Seine würdevollen Porträts junger, teils stolz auftretender Männer und Frauen, die mitten im qualmenden Dreck mit verschmutzten Klamotten ernst in die Kamera blicken, feiern die menschliche Schönheit und Selbstbehauptungskraft.

Die Ebene giftigen Abfalls, die den Hintergrund abgibt für diesen respektvollen Blick im Geist der sachlichen Fotografie August Sanders, verliert nichts von ihrem Schrecken. Aber die Bilder sind nicht reduziert auf die Anklage. Hugo ist nicht der Goya des Müllkriegs, sondern der Vermeer des Überlebens. Er adelt die Ärmsten als Persönlichkeiten, als Ikonen des Tätigen, die in einem anderen Leben auch Models oder Popstars sein könnten.

Der Betrachter soll sich nicht im Schock übergeben, sondern zur Besinnung finden

Hugo verschiebt das Abgebildete bewusst ins Künstlerische, um ihm eine neue Qualität zu geben. Er konzentriert sich dazu nicht nur auf die Porträtfotografie, er zieht oft auch die Farbsättigung hinunter. Diese Besänftigung primärer Eindrücke verstärkt die Konzentration auf das Wesentliche, den menschlichen Ausdruck. Wo andere Fotografen gleich auf Schwarz-Weiß setzen, um die Prägnanz eines Porträts zu erhöhen, gibt Pieter Hugos subtile Annäherung an die Palette alter Malerei seiner Erzählung Afrikas die besondere Wucht des Tiefgründigen, des Bleibenden und Kontemplativen.

Hugos berühmte Serie einer nigerianischen Jahrmarktstruppe, die mit Riesenhyänen, Mandrills und Schlangen in der nigerianischen Megalopolis Lagos umherzieht und mit ihrer Tiershow Naturmedizin verkauft, hat nicht zuletzt wegen dieser Wendung ins Pastellfarbige solch eine internationale Aufmerksamkeit erzielt.

Hugo stellt vor Beginn seiner Fotoreisen und bei der Reflexion der Ergebnisse eindeutige politische Überlegungen an: "Wie übernimmt man Verantwortung für die Geschichte, und in welchem Ausmaß sollte man das versuchen?", fragte er sich etwa anlässlich seiner "Heimat"-Serie "Kin", deren Bilder er zwischen 2006 und 2013 fotografiert hat. Zuvor beschrieb er den Zustand seines Landes so: "Südafrika ist ein wahrhaft zerrissener, schizophrener, geschundener und problematischer Ort", an dem die "Wunden von Kolonialismus und Apartheid noch lange nicht verheilt" seien. Der weiße Fotograf stellt sich dieser Verantwortung nun, indem er wiederum in Porträtform die Spuren der Wunden in den Gesichtern seiner Umgebung aufspürt, seiner "Kin", seiner "Sippe".

So zeigt er den Unterschied zwischen der Verlebtheit und der Trauer in den Blicken der Hausangestellten seiner Eltern und der Zufriedenheit und Freundlichkeit dieser selbst, wie sie umarmt im Bett posieren. Umgekehrt präsentiert Hugo aber ebenso den depressiven Anblick eines im Gesicht tätowierten weißen Surfbrettaufpassers vom Strand als Opposition zu dem ironisch-grinsenden Kopf seines lässig rauchenden schwarzen Atelierwächters. Nicht plumpe Parteilichkeit zählt in dieser sehr umfangreichen Serie, sondern die offene Erzählung über Südafrikas Brüche.

Selbst in seiner Serie über den Genozid in Ruanda bleibt Hugo zurückhaltend. Zwar fotografiert er, zehn Jahre nachdem dort ein Massaker stattfand, eine Kirche, in der noch immer Schädel, Knochen und Habseligkeiten der Ermordeten herumliegen. Aber selbst diese schauerlichen Zeugnisse nimmt er mit dem Auge des Memento-Mori-Malers auf, dem es nicht darum geht, dass man sich vor Schock übergibt, sondern zur Besinnung findet.

Trotz dieser bewusst inszenierten Schönheit als Würdeformel, ist diese außerordentliche Werkschau kein Lied der Hoffnung. Sie steckt sowohl in den Bildern wie in den Texten Hugos voller Zweifel über die Kraft der Menschlichkeit und den richtigen Weg, persönlich wie politisch.

Pieter Hugo: Between the Devil and the Deep Blue Sea. Kunstmuseum Wolfsburg. Bis 23. Juli. Katalog (Prestel) 32 Euro.

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