Zuerst ist da ein Brief, adressiert an das "Austria Girl" in der Mason Avenue in Las Vegas, NV 89102. Der Absender heißt Troy. Und was er schreibt, ist ein greller Mischmasch aus blindem Begehren, selbstbewusstem Wahnsinn und einer Groß- und Kleinschreibung, die bestenfalls im Englischen ein deutsches Schriftbild nachstellen soll, wahrscheinlicher aber auf eine nicht besonders ausführliche Schulbildung hinweist: "HELLO, HELLO the Upper Most incredible, sensational, Amazing, and Beautiful girl/woman or anything I've seen!!"
Er habe bei diesem unglaublichsten, sensationellsten, betörendsten und schönsten Mädchen/Frau oder sonst was, das er je gesehen habe, neulich an die Tür geklopft, weil er eigentlich seiner Ex-Freundin Hallo sagen wollte, aber die wohnte nicht mehr da, stattdessen dieses Mädchen/Frau aus Österreich, nun sei er verliebt, und zwar nicht nur in ihr Gesicht, sondern auch in ihre Stimme. Er habe ein Haus gleich in der Nähe, vier Schlafzimmer, zwei Autos. Er würde auch ihr ein niedliches, schnelles Auto kaufen, das fast neu wäre; eine Heirat mit ihm könne ihr das Bleiberecht in den schönen USA bescheren, auch wenn Österreich sicher ebenfalls ganz hübsch sei. Sollte sie schon verheiratet sein, finde sich sicher auch irgendein Weg, schon bald nämlich werde er Amerikas nächste Berühmtheit sein, und sie habe auch das Zeug dazu.
Fotografie:Eine Erzählung wie aus einem David-Lynch-Film
Die österreichische Fotografin Stefanie Moshammer dokumentiert in ihrer Berliner Ausstelung "Not just your face honey" Amerika als einen seelischen Zustand.
Dann beginnt auf den Bildern eine Reise ins Umland von Las Vegas, Wüste, Kakteen, Parkplätze, Tankstellen, Motelzimmer, das Haus von Troy, nachts heimlich durchs Autofenster fotografiert. Ein klassischer Roadtrip mit der Kamera, nur hier als Dokumentation aufgemacht und mit einem Narrativ unterlegt, das aus einem Film von David Lynch stammen könnte.
Sozialreportagen aus Krisengebieten
Das war der internationalen Jury, die den neu geschaffenen C/O Berlin Talent Award vergibt, einen ersten Preis für Stefanie Moshammer wert, denn so heißt das "Austria girl", und dazu kann man nicht nur Frau Moshammer sehr herzlich beglückwünschen, sondern auch die Jury und am allermeisten sich selbst. Denn dadurch gibt es jetzt in der Berliner Ausstellungshalle für Fotografie eine wundervolle kleine Ausstellung, die praktisch fast nahtlos an die wundervollen großen Ausstellungen von Irving Penn und davor Joel Meyerowitz anschließt und zeigt, dass es für klassische Americana offensichtlich gar nicht die großen alten weisen Männer aus Amerika braucht: Das kann eine junge Frau aus Wien schon auch, wenn sie lange genug mit einem Arbeitsstipendium in Las Vegas sitzt. Denn das eigentliche Thema dieser Arbeit ist ja ganz offensichtlich, wie man dort überhaupt noch irgendetwas fotografieren, filmen und erzählen soll, wo alles schon fotografiert, gefilmt und erzählt, wo alles in jeder Hinsicht so überdeterminiert ist wie in Amerika, wie man also dort arbeiten soll, ohne pausenlos Klischees zu reproduzieren.
Stefanie Moshammer hat in der Stadt der Hotels, Casinos und Fake-Architekturen zunächst einmal weder Hotels, Casinos noch Architekturen fotografiert, sondern Stripperinnen, aber nicht bei der Arbeit, sondern in den Pausen, backstage, wo die ganze Härte und Knorpeligkeit des amerikanischen Sex-Business noch härter und knorpeliger, noch geschäftlicher und unsexier wirkt als unter Scheinwerferlicht. Die Arbeiten von Moshammer hatten in der Vergangenheit häufig so etwas Fotojournalistisches, etwas von Sozialreportagen aus Krisengebieten. Sie hat in Brasiliens Favelas fotografiert und in Haiti.
Was aber nun die Folge "Not just your face honey" dokumentiert oder zu dokumentieren vorgibt, ist ein Amerika als seelischer Zustand. Dass die Fotos mit Zeilen aus Troys wirrem Liebesbrief betitelt sind, versetzt Bild und Text in ein gegenseitiges Verweissystem, in dem alles ein Zeichen für alles sein kann. "I thoroughly believe you can be a celebrity for the United States too" heißt das Bild eines Schmucksteins in einem Beet voller Kakteen, "Call, text, or write a letter" das von einem sehr William-Eggleston-farbigen Motelzimmer mit altem Telefonapparat auf dem Nachtschrank. Der aus Handtüchern geformte Schwan, den sie einem in solchen Motels auf die Bettdecke setzen, trägt den Titel "happily married, or want out", und unter einem aufgespießten Vogel steht, ein bisschen sehr direkt, "if you came to live with me", wenn du bei mir einziehen würdest.
Während viele dieser Bilder so ähnlich, nur anders betitelt, auch in den Siebzigerjahren schon entstanden sein könnten, oder ähnliche in den Siebzigerjahren entstandene zu zitieren scheinen, hantiert Moshammer zwischendurch immer wieder auch mal mit Landkartenausschnitten aus Google Earth und anderen ausdrücklich zeitgenössischen Techniken sowohl der Fotografie wie auch des Stalkens, was hier zusehends in eins fällt.
Und wenn auf einem Bild der Zeigefinger einer Frau in einer halbierten Orange herumbohrt, bekommt bei Moshammer sogar die Geste des ungläubigen Thomas noch etwas Masturbatorisches. Denn dass der Brief von diesem Troy schon sehr stark so wirkt, als habe Moshammer, oder besser gesagt das lyrische Ich des "Austria girls", als das sie sich hier inszeniert, ihn sich in ihrer Stipendiateneinsamkeit in Las Vegas selber ausgedacht - das trägt ja unbedingt bei zu der psychotischen Gesamtstimmung der Arbeit. Kann schon sein, dass Troy existiert, es gibt solche Männer, gerade in Amerika; aber es deutet doch auch irritierend viel darauf hin, dass er hier nicht der einzige sein könnte, der in der Wüste seinen eigenen Projektionen hinterherjagt.
Stefanie Moshammer: Not just your face honey. Bis 23.9. C/O Berlin. Info: www.co-berlin.org.