Fotograf Robert Adams in Bottrop:Stille des Donners

Den amerikanischen Westen sieht der große US-Fotograf Robert Adams als Ort von Trauer und Hoffnung zugleich. Weil die gewaltige Natur im Menschen dort einen unerbittlichen Feind gefunden hat. Nun ist eine Retrospektive des Künstlers erstmals in Deutschland zu sehen.

Von Paul Katzenberger

10 Bilder

Robert Adams, North of Keota, Colorado, The Plains, 1965-1973

Quelle: © Robert Adams

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Den amerikanischen Westen sieht der große US-Fotograf Robert Adams als Ort von Trauer und Hoffnung zugleich. Weil die gewaltige Natur im Menschen dort einen unerbittlichen Feind gefunden hat. Nun ist eine Retrospektive des Künstlers erstmals in Deutschland zu sehen.

Die Ambivalenz aus der gewaltigen Natur der USA und ihrer Zerstörung durch den Menschen fasziniert aufklärerische Geister seit jeher. Als der französische Aristokrat Alexis de Tocqueville im frühen 19. Jahrhundert Amerika bereiste und im heutigen Bundesstaat Michigan an die Grenzen der Zivilisation vorstieß, war er hin- und hergerissen zwischen dieser unendlich erscheinenden Landschaft auf der einen und ihrer Destruktion durch die europäischen Siedler auf der anderen Seite. Schon der 26-Jährige wusste, dass die Ordnung, die die Siedler der amerikanischen Wildnis abrangen, ihren Preis hatte: "Diese Vorstellung der Zerstörung, dieser Hintergedanke eines nahen und unvermeidlichen Wechsels ist es, der nach unserem Empfinden den Einsamkeiten Amerikas einen so eigenartigen Zug und eine so ergreifende Schönheit verleiht. Man sieht sie mit einer schwermütigen Freude. Man beeilt sich gewissermaßen, sie zu bewundern", schrieb er in seinem Reisebericht "15 Tage in der Wildnis" von 1831.

Diese Zerrissenheit ist es auch, die den jungen amerikanischen Fotografen Robert Adams mehr als eineinhalb Jahrhunderte später zu seinen Aufnahmen trieb. Adams, der als promovierter Dozent für englische Literatur zunächst einen Brotberuf erlernt hatte, begann 1963 im Alter von 26 Jahren zu fotografieren und gab seine Lehrtätigkeit schon wenige Jahre danach zu Gunsten der Fotografie auf.

Robert Adams, North of Keota, Colorado, The Plains, 1965-1973

Robert Adams, Colorado Springs, Colorado, The New West, 1968-1971

Quelle: © Robert Adams

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Sein Werk, das inzwischen 40 Fotobände umfasst, zeichnet sich durch die Verbindung von Trauer und Hoffnung aus. Einerseits bestätigen seine Bilder den Verlust von Raum und Stille, den Tocqueville bereits erahnte. Sie halten die häufige Lieblosigkeit menschlicher Architektur und die Brutalität von Flurbereinigungen fest. Doch Adams' Arbeiten registrieren andererseits auch die Belege für Fürsorge und Freude unter den Menschen und die erlösende Kraft, die sein Hauptakteur - das Sonnenlicht - selbst dann noch hat, wenn es auf eine zersiedelte Vorstadtlandschaft fällt.

Robert Adams, Colorado Springs, Colorado, The New West, 1968-1971

Robert Adams, Lakewood, Colorado, The New West, 1968-1971

Quelle: © Robert Adams

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Der 1937 geborene Robert Adams zählt zu den Klassikern der künstlerischen Gegenwarts-Fotografie. Doch erst in jüngerer Zeit wurde er in Europa bekannt. Die große Retrospektive seines Werkes, die von der Galerie der Universität Yale unter dem Titel "The Place We Live" zusammengestellt wurde, ist nun, nach Stationen in den USA, erstmals in Deutschland zu sehen: Das Josef Albers Museum in Bottrop zeigt bis zum 29. September circa 300 Originalabzüge von Adams' Aufnahmen aus mehr als vierzig Jahren.

Den Durchbruch feierte Adams mit seinem 1974 erschienenen Fotoband "The New West" und der Präsentation seiner Arbeiten in der bahnbrechenden Ausstellung "New Topographics: Photographs of a Man-altered Landscape", die 1975 wesentlich zum Einzug der Fotografie in die zeitgenössische Kunst beitrug

Damals wollte die Schau, die das Gewöhnliche, die unspektakulären Momente der Alltagswelt in ihren Mittelpunkt stellte, kaum jemand sehen. Die Zeit dafür war noch nicht reif, waren es bis dahin doch eher die spektakulären Panoramen, die die Auffassung von Landschaft und urbanen Räumen prägten. Die Ausstellung galt schlicht als langweilig, doch genau dieser profane fotografische Stil, der einen profanen Alltag wiedergab, wurde zur Gewähr für die Wahrhaftigkeit des Abgebildeten - der Paradigmenwechsel ließ sich nicht mehr aufhalten.

Robert Adams, Lakewood, Colorado, The New West, 1968-1971

Robert Adams, Eden, Colorado, Eden, 1968

Quelle: © Robert Adams

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Wie kaum ein anderer Fotograf des 20. Jahrhunderts hat sich Adams mit der Landschaft des amerikanischen Westens auseinandergesetzt. Sein Blick richtet sich auf die weiten Ebenen vor den Rocky Mountains, über den mächtigen Gebirgszug bis hin zum Pazifik. Im Gegensatz zu der Verheißung von Freiheit und neuen Lebenschancen, für die der amerikanische Westen immer stand, ist Adams' Ästhetik betont sachlich und versucht eine ehrliche Bestandsaufnahme. Seine Schwarz-Weiß-Fotografien, meist mit einer großformatigen Plattenkamera aufgenommen, zeigen die urbanen Zentren und ländlichen Gebiete Colorados, Kaliforniens und Oregons.

Die Serie "Eden", aus der dieses Exponat stammt, kommentierte Adams 1968: "Der Ort Eden in Colorado ist nach einem Eisenbahn-Pionier benannt, nicht nach dem Paradies aus der Bibel. Östlich des Highways, der den Ort in zwei Hälften teilt, verlaufen die Eisenbahnschienen. Dort stehen außerdem Gastanks und ein Fertigbau-Schuppen aus Metall. Im Westen: eine Raststätte (geschlossen), ein militärischer Abfallverwertungshof, ein Schrottplatz und der Fernfahrerrastplatz Westland. Entlang der Schnellstraße stehen Reklametafeln mit Whiskey, Grundstücken und Eis." 

Robert Adams, Eden, Colorado, Eden, 1968

Robert Adams, Methodist Church, Bowen, Colorado, The Plains, 1965-1973

Quelle: © Robert Adams

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Diese Aufnahme einer methodistischen Kirche ist Teil von Adams Serie "The Plains", zu der er 1978 schrieb:

"Wir neigen dazu, die Prärie (The Plains) durch das zu definieren, was nicht da ist. Wir studieren die Karte, um herauszufinden, wie weit wir fahren müssen, um irgendwo hinzukommen - zu den Bergen im Westen oder den Städten im Osten. Was können wir schon mit Weizenfeldern, Kuhdörfern und dem Himmel anfangen? Dabei ist das Geheimnis dieser Landschaft eine offenkundige Gewissheit. Überall ist Stille — die Stille des Donners, des Windes, des Gegurres der Tauben und sogar die Stille beim Schließen der Türe eines Pickup-Trucks. Wenn Du die Prärie durchquerst, dann fahre runter von dem Highway auf eine Nebenstraße, auf der Du wandern kannst. Höre!"

Robert Adams, Methodist Church, Bowen, Colorado, The Plains, 1965-1973

Robert Adams, Larimer County, Bowen, Colorado, From The Missouri West, 1977

Quelle: © Robert Adams

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Bei der Serie "From the Missouri West", aus der diese Aufnahme aus dem Larimer County in Colorado stammt, waren für Adams autobiographische Motive im Spiel

"Die Erkundung des Westens begann im 19. Jahrhundert am Missouri River. Die Pioniere an seinen Ufern empfanden sich am Rande einer erhabenen Landschaft, von der sie sich Erlösung erhoffen. Tatsächlich haben sich sogar meine eigenen Vorfahren entlang dieses Flusses angesiedelt, und mein Großvater war begeistert von seinen Reisen in die Prärien Dakotas, wo er Panoramaaufnahmen machte. Aus diesem Grund, und weil ich mich in den Vorstädten verirrt hatte, entschied ich mich, einige der Landschaftsformen wieder zu entdecken, die unseren Vorfahren so imponiert hatten. War in dieser Geografie eine Kraft, die uns so erhalten bleiben könnte, wie damals ihnen?"

Robert Adams, Larimer County, Bowen, Colorado, From The Missouri West, 1977

Robert Adams, Longmont, Colorado, Summer Nights, 1979

Quelle: © Robert Adams

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Ende der Siebzigerjahre stellte Adams seine Serie "Summer Nights" zusammen. Seine Gedanken hierzu: 

"Fotografien unterscheiden sich vom realen Leben immer noch mehr durch ihre Stille als durch die Unbeweglichkeit ihrer Motive. In Sommernächten nähern sich Landschaftsaufnahmen allerdings dem Leben an. Dann, wenn die Geräusche draußen leiser werden - nachdem wir die Kinder hereingerufen und das Garagentor geschlossen haben und wir nur noch das Surren der Nachtfalter oder das Knacken eines Stockes hören."

Robert Adams, Longmont, Colorado, Sommernächte, 1979

Robert Adams, Harney County, Oregon, Poplars, 1999

Quelle: © Robert Adams

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Nachdem er die meiste Zeit seines Lebens im Bundesstaat Colorado verbracht hatte, schaffte es Robert Adams 1997, in sein geliebtes Oregon zu ziehen - nach Anläufen für diesen Schritt über einen Zeitraum von 30 Jahren. Die Natur des Westküstenstaates hält er in dieser Aufnahme von zwei Pappeln fest.

Robert Adams, Harney County, Oregon, Pappeln, 1999

Robert Adams, From The South Jetty, Clatsop County, Oregon, The Pacific 1990 - 2000

Quelle: © Robert Adams

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In Oregons Hafenstadt Astoria direkt an den Pazifik herangerückt, wandte Adams seine Aufmerksamkeit dem größten und tiefsten Ozean der Erde zu. Bei seiner Serie "The Pacific", aus der diese Aufnahme entstammt, zeigt sich dann doch so etwas wie Pathos: 

"Unter all den geheiligten Orten an der Küste ist keiner tröstlicher als der, an dem der Fluss in das Meer mündet. Durch das Verschwinden des Flusses werden wir an die Vergänglichkeit des Lebens erinnert. Gleichzeitig akzeptieren wir diese Erkenntnis wegen der Schönheit des Ozeans. In uns keimt eine Hoffnung, die wir nicht erklären können."

Robert Adams, From The South Jetty, Clatsop County, Oregon, The Pacific 1990 - 2000

Robert Adams, Clatsop County, Oregon, Turning Back 1999 - 2003

Quelle: © Robert Adams

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In "Turning Back", einer seiner neuesten Serien, findet Robert Adams allerdings schnell zurück zum Status eines Chronisten der verschwindenden Natur. Und äußert sich mit Bitterkeit angesichts des Raubbaus an den Wäldern:

"Über 90 Prozent des Urwaldes im amerikanischen Nordwesten wurde mindestens einmal gerodet. Die großen Stümpfe in diesen Bildern sind die Überbleibsel von historischen Wäldern, in denen Bäume in der Regel mindestens 500 Jahre alt wurden. [...] Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Kahlschlag in Wäldern und dem Krieg? Schließlich ist die Landschaft des einen in mancher Hinsicht die Landschaft des anderen. Lehrt uns die Rodung Gewalt? Trägt sie zum Nihilismus bei? Warum bin ich praktisch nie Eltern begegnet, die hier mit ihren Kindern Wandern gegangen sind?"

Robert Adams, Clatsop County, Oregon, Turning Back 1999 - 2003

Robert Adams: The Place We Live. Retrospektive des fotografischen Werks. 30. Juni bis 29. September 2013. Josef Albers Museum Quadrat Bottrop

© Süddeutsche.de/pak/mkoh/rus
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