Fotograf Kevin McElvaney:Der Mann, der Gesichter lesbar macht

Arbeiten in der Todeszone: Selfie des Fotografen Kevin McElvaney im Krater des Vulkans Kawah Ijen

Arbeiten in der Todeszone: Selfie des Fotografen Kevin McElvaney im Krater des Vulkans Kawah Ijen

(Foto: Kevin McElvaney)

Kevin McElvaney kam erst 2010 zur Fotografie - doch seine Bilder von der Computermüllkippe Agbogbloshie gingen um die Welt. Nun stieg der Hamburger hinab in den indonesischen Vulkan Kawah Ijen, wo Schwefelarbeiter ihr Leben riskieren.

Von Oliver Das Gupta

Er kann die Kamera in seinen Händen nicht mehr sehen, zu viel Qualm. Es stinkt nach faulen Eiern, aber das ist nicht das größte Problem. Aus Nase und Mund tropft Schleim in seine Gasmaske. Die Augen brennen, auch jeder Atemzug brennt. Sein Gehirn fühlt sich heiß an.

Kevin McElvaney ist kurz davor aufzugeben. Er ist von Hamburg auf die indonesische Insel Java geflogen. Er ist auf das Plateau des Vulkans Kawah Ijen gefahren und in einen rauchenden Krater hinabgestiegen, den ein milchig-türkiser See verschließt.

Zur Person

McElvaney, 1987 in Norddeutschland geboren, hat als Autodidakt einen verblüffenden Karriere-Start erlebt. Schnell hat er sich einen Namen gemacht als Fotograf, den es dorthin zieht, wo andere sich nicht hintrauen. Nun ist er nach Java gereist, die indonesische Hauptinsel, die für ihre Vulkane berühmt und berüchtigt ist. Sein Ziel war der Kawah Ijen, der Kratersee, der Geologen als "größtes Säurefass der Erde" gilt - ein Ort, der für Touristen kaum zugänglich ist.

Unten wächst keine Pflanze, kein Tier will sich hier verkriechen. Dort wollte McElvaney hin: zu den Schwefelarbeitern, den Helden der Hitze.

Die Geschichte des Fotografen Kevin McElvaney ist bemerkenswert und bislang kurz. Der Niedersachse mit irisch-polnischen Wurzeln kam erst vor vier Jahren zur Fotografie, seit zwei Jahren arbeitet er professionell. Davor war er BWL-Student. Während der Fußball-WM 2010 hatte er einen Job im Stadion von Kapstadt, er dirigierte die Logistik in einem VIP-Bereich.

Nach den Spielen blieb viel Essen übrig, bereit für den Abfall. Die schwarzen Mitarbeiter fragten, ob sie davon haben dürften. Das war verboten. McElvaney schmuggelte Bratenstücke aus dem Stadion. Im Gegensatz zu seinen Kollegen wurde er als Weißer nicht durchsucht.

Seine Kollegen luden ihn nach Hause ein, in ein Township. Die Armensiedlungen gelten als hochgefährlich. McElvaney traute sich und nahm seine Kamera mit. So entstanden Bildstrecken, in denen alte Männer Schafsköpfe garen und Jugendliche auf der Straße posieren. In Südafrika fand McElvaney zur Fotografie.

Die Menschen vor der Kamera wirken wie Statuen

In Ghana gelang ihm später sein bislang größter Coup: Seine Fotos vom Computer-Friedhof Agbogbloshie gingen um die Welt. Schon früher war über Rechner, Mikrowellen und Monitore aus Europa berichtet worden, die am Rande der Hauptstadt Accra die Umwelt verseuchen.

Doch McElvaneys Bilder entfalteten eine besondere Wirkmächtigkeit, weil er sie inszenierte. Die Frauen und Männer, die Metalle aus dem Schrott holen und sich so allmählich vergiften, ließ der Fotograf auf Bildschirme und Rechner steigen. Wie Statuen schauen sie herab, wütend, lächelnd, traurig. Es sind Werke von ikonischem Charakter. Der Guardian, Al-Jazeera und selbst der rechte US-Sender Fox News veröffentlichten die Aufnahmen.

McElvaney, mit Hipster-Bart und kastanienbraunen Haaren, hat die Gesichter der Menschen von der Müllkippe lesbar gemacht. So hat er es mit den Menschen im Township getan, mit Palästinensern im Westjordanland, mit ultraorthodoxen Juden in Antwerpen. Und nun mit den Minenarbeitern des Kawah Ijen, die Tag für Tag in die Todeszone hinabsteigen.

Ultraorthodoxer Jude in Antwerpen

Ultraorthodoxer Jude in Antwerpen

(Foto: Kevin McElvaney)

Aus Erdspalten am Rande des Kratersees drückt der Vulkan den Schwefel rot heraus, nachts leuchtet er blau, manchmal brennt er. Einheimische haben lange Rohre in die Quellen gesteckt, durch die der Schwefel blubbert. Er kühlt ab in den Rohren, seine Farbe wandelt sich in leuchtendes Gelb, er tropft auf den Boden und verfestigt sich.

Die Arbeiter zerhacken den Schwefel zu Klumpen, die sie in Körbe geben. Mehr als 70 Kilogramm schleppen sie auf den Schultern 300 Höhenmeter zum Kraterrand. Für gerade mal sechs Cent pro Kilo.

Als der Vulkansee explodierte

Dutzende Männer starben vor einigen Jahren, als der Vulkan seinen See zum Explodieren brachte. Trotzdem arbeiten die Einheimischen wieder im Feuerberg. Sie wissen um die Gefahr. Vor allem, wenn der Wind ausbleibt und sich der giftige Dampf um die Arbeiter legt. So wie an dem Tag, als McElvaney kommt.

Er resigniert fast, da schiebt eine Bö den Rauch weg. Er nimmt die Gasmaske ab, atmet durch und beginnt mit der Arbeit. So entstehen die Fotos vom Kawah Ijen, die die SZ nun exklusiv zeigt.

Wie machtvoll der Schwefel ist, hat McElvaney nach der Rückkehr nach Hamburg bemerkt. Auch nach mehrmaligem Waschen riecht seine Kleidung nach faulen Eiern.

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