Fotograf Kai Löffelbein:"Für jede Geschichte gibt es die richtige Kamera"

Für den Fotografen Kai Löffelbein ist seine Arbeit eine Möglichkeit, Stellung zu beziehen - wie mit seinen Fotoreportagen über ehemalige Häftlinge aus deutschen Arbeits- und Konzentrationslagern. Im SZ.de-Fotografensteckbrief erzählt er, was ihn motiviert und wer ihn inspiriert.

Auf den Monitoren der SZ-Bildredaktion erscheinen täglich nahezu in Echtzeit Tausende Fotos von professionellen Agenturfotografen aus der ganzen Welt. Sie werden von uns, den Bildredakteuren, laufend gesichtet. Die meisten begleiten das politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Tagesgeschäft nachrichtlich. Besonders spannend sind für uns die Bilder, die darüber hinaus weisen und regelmäßig von den großen Nachrichten- und Bildagenturen angeboten werden: : abgeschlossene Fotoreportagen aus dem In-und Ausland, die uns immer wieder Menschen über faszinierende Geschichten, kuriosen Begebenheiten und exotische Länder nahebringen. Die Steckbrief-Reihe auf dem Bilderblog von Süddeutsche.de zeigt eine Auswahl dieser Arbeiten. Die Fotografen beantworten dazu einen standardisierten Fragebogen und zeigen eine Auswahl ihrer Arbeit.

Diesmal erzählt Kai Löffelbein, warum Fotografie für ihn bedeutet, Stellung zu beziehen. Er arbeitet für Laif.

1. Erzählen Sie uns die Geschichte zu Ihrem Lieblingsbild, was macht die Aufnahme so besonders?

Das Bild stammt aus einer Reportage über ehemalige Häftlinge deutscher Arbeits- und Konzentrationslager: Darauf ist Karl Pajuk zu sehen, den ich 2009 bei einer Reise in die Ukraine besuchte und einige Tage begleitete. In langen Gesprächen erzählte er von seiner Zeit in Deutschland, der Arbeit, den Gefängnissen, seinem Aufenthalt in den Konzentrationslagern Drütte und Bergen-Belsen, seinem ertragenem Leid. Die ganze Reise war unglaublich emotional und aufwühlend. Nie zuvor waren mir die Grausamkeiten der Deutschen während des Nationalsozialismus präsenter. In dieser Zeit habe ich mich auch intensiv mit der Vergangenheit meiner eigenen Familie auseinandergesetzt.

Nach der anstrengenden Reise zu Karl und einem langem Abend mit Selbstgebranntem und traurigen Geschichten schlief ich am ersten Morgen nach meiner Ankunft in Pervomaisk aus. Danach öffnete sich die Tür meines Zimmers und Karl, den ich erst Stunden zuvor kennengelernt hatte, kam großväterlich strahlend auf mich zu und umarmte mich eine gefühlte Ewigkeit. Diesen Moment werde ich wohl nie vergessen.

2. Wann und wie sind Sie zur Fotografie gestoßen?

Angefangen hat meine Faszination zu dieser "Welt im Rechteck" mit den endlosen Diavorträgen, die mein Vater von seinen Reisen mitbrachte und meinen ersten Versuchsreihen zu Verschluss und Blende als Zehnjähriger. Mit 15 Jahren machte ich ein Praktikum in einem altmodischen Fotostudio, in dem mich der Chef an die C-41 Entwicklungmaschine stellte und mich haufenweise Negative und Filme entwickeln ließ. Das war nicht das abenteuerliche Fotografenleben, das ich mir erhofft hatte.

Zur Fotografie, wie ich sie jetzt mache, bin ich erst über Umwege gekommen. Mein Politikwissenschaftsstudium in Berlin war für mich der Wendepunkt. Das Studium, nicht endende Diskussionen mit KommilitonInnen und politische Ereignisse, wie der Afghanistankrieg 2001, haben mein Interesse an sozialen Themen verstärkt. Für mich ist die Fotografie eine Möglichkeit, Stellung zu beziehen.

Mehrere Reisen führten mich damals nach Südamerika und Asien. Auch durch das Fotografieren gelang es mir, Kontakte zu knüpfen und Einblicke in fremde Lebenswelten zu erhalten. Im Sommer 2007 entschied ich mich, Fotojournalismus in Hannover zu studieren. Kurze Zeit später begann ich, als freier Fotograf zu arbeiten und nahm erste Aufträge an.

3. Haben Sie Vorbilder?

Viele Fotografen haben einen ganz anderen Stil und Zugang zur Fotografie als ich und trotzdem sind sie eine Quelle der Inspiration. Anders Petersen, Nan Goldin oder Richard Billingham zum Beispiel schätze ich sehr für ihre Nähe und unmittelbare Direktheit. Diane Arbus oder die neuentdeckten Bilder von Vivian Maier sind fantastische Bilderwelten. Nachtwey und Salgaldo bewundere ich für ihre Überzeugung. Alec Soth für seine unbezahlbar schönen Bücher ...

4. Wie finden Sie Ihre Themen?

Wenn man offen und interessiert durch die Welt geht, finden sich viele spannende Themen. Ich setzte mich selten einfach hin und grüble darüber nach, was für eine Geschichte ich als nächstes machen kann oder welches Thema sich gerade gut verkaufen lässt. Globalisierung, soziale Gerechtigkeit, Migration und Umweltzerstörung interessieren mich schon länger. In diesen Bereichen versuche ich mich auf dem Laufenden zu halten und in Kontakt mit entsprechenden Organisationen zu sein. Aktuelle Fragen und Probleme, die mich besonders interessieren, bieten dann Anlass zur weiteren Recherche.

5. Canon oder Nikon?

Der Kamerahersteller spielt für mich keine Rolle. Ich glaube, die meisten Fotografen haben sich irgendwann für einen Hersteller entschieden und sind dann dabei geblieben, weil der gesamte Objektivpark nunmal von dieser Marke ist.

Wenn Sie mich aber schon nach Technik fragen: Interessanter ist, mit welchem System Fotografen arbeiten. Eine Einwegkamera ist zum Beispiel manchmal besser geeignet als eine schwere und große Spiegelreflexkamera. Das Arbeiten mit einer kleinen unauffälligen Kompaktkamera ist ganz anders und führt zu anderen visuellen Eindrücken. Mit einer Großformatkamera zwingen sich Fotografen eine Langsamkeit in ihrer Arbeitsweise auf, die gewollt ist und auch zu anderen Resultaten führt. Auch Smartphone-Bilder können, je nach Geschichte, das richtige Instrument sein.

6. Das ikonographische Bild (des Jahrhunderts)?

Das schockierende Folterbild aus dem irakischem Gefängnis Abu Ghraib, das die US-Soldatin Lynndie England zeigt, wie sie einen nackten Gefangenen an einer Leine hält. Erwähnenswert ist natürlich, dass das Bild nicht von einem professionellen Fotografen gemacht worden ist und damit die Entwicklung der Medien, auf private Fotografien zurückzugreifen, reflektiert.

7. Zoom oder Festbrennweite?

Ich fotografiere fast ausschließlich mit Festbrennweiten. Feste Brennweiten nötigen mich zur Bewegung. Ein Schritt zurück, drei nach vorne. Und wenn ich schon mal am Laufen bin, auch mal zwei Schritte zur Seite. Zooms mit Seitwärtsbewegung sind mir bisher unbekannt.

Abgesehen davon sind die heutigen Profi-Kameras eh schon recht groß in ihrer Bauart. Ein Zoomobjektiv lässt die Kamera noch größer und damit möglicherweise einschüchternder wirken. Um Menschen nahe zu kommen, brauche ich Stimme und Herz, kein Zoom.

8. Bei welchem Ereignis wären Sie als Fotograf gerne dabei gewesen?

Die Geschichte ist voll von Ereignissen, bei denen ich gerne dabei gewesen wäre.

9. Ihr Tipp für zukünftige junge Fotojournalisten?

Das ist schwierig. Zum einen sehe ich mich selbst als noch recht jungen und sich etablierenden Fotografen und zum anderen denke ich, ist die Situation für alle frei journalistisch arbeitenden Fotografen schwierig, gerade wenn man sein Hauptaugenmerk auf das Erzählen visueller Geschichten legt.

Ich glaube, es ist richtig, seine Arbeit und seine Bilder ernst zu nehmen (weniger sich selbst), sich nicht beirren zu lassen und die Geschichten und Bilder zu machen, die einem persönlich wichtig sind.

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