Fotograf Bill Bernstein:Als Party eine Lebenseinstellung war

Bill Bernstein einen Party-Fotografen zu nennen, wäre zu wenig. Er hielt mit seiner Kamera eine Zeit fest, in der es wahre Demokratie nur auf der Tanzfläche gab.

Von Johanna Bruckner

10 Bilder

Bill Bernstein: "Disco"

Quelle: Bill Bernstein; Bill Bernstein / Reel Art Press

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So richtig vorstellen kann man sich nicht, dass Bill Bernstein tatsächlich dabei war. Im "Studio 54" in New York, als Frauen wie Männer möglichst wenig trugen, und das wenige möglichst eng geschnitten war, wie dieses Foto zeigt. Es beweist auch: Bernstein muss dabei gewesen sein. Sonst gäbe es nicht diesen Fotoband, den der ergraute Herr in Hemd mit Sakko in einem Video auf seiner Homepage vorstellt: "Disco" heißt die beworbene Werkschau schlicht.

Bernstein deshalb als Party-Fotografen zu bezeichnen, wäre aber zu wenig. Der Amerikaner hat das Ende der Disco-Ära für die Ewigkeit festgehalten.

Bill Bernstein: "Disco"

Quelle: Bill Bernstein / Reel Art Press

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Ende der Siebzigerjahre schickte ihn sein Arbeitgeber, die New Yorker Zeitung The Village Voice, in den Club, dessen Ruf "irgendwo zwischen Sodom und Gomorra" lag, wie Bernstein selbst sagt. Der Anlass war überraschend formell: Im "Studio 54" fand an diesem Abend ein Dinner zu Ehren von Lillian Carter statt, Mutter des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter. Doch Bernstein, der später persönlicher Fotograf von Paul McCartney werden sollte, interessierte sich nicht für die geladene Prominenz. Ihn faszinierten die Stammgäste, die gegen Ende der Veranstaltung ihren Club zurückeroberten. Also kaufte er einem anderen Fotografen zehn Rollen Film ab - und blieb für weitere sechs Stunden.

Bill Bernstein: "Disco"

Quelle: Bill Bernstein / Reel Art Press

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Die New Yorker Partyszene hatte ihn gepackt. Nicht als Teilnehmer, sondern als Beobachter. Wobei auch Bernstein jene elektrisierende Atmosphäre von Tabulosigkeit und Exzess spürte, die das "Studio 54" und andere New Yorker Clubs weit über die Grenzen der Stadt hinaus berühmt machte: "Allein in diesem Raum zu sein, verschaffte mir einen körperlichen Rausch", erzählt der New Yorker Fotograf rückblickend.

Im Bild: Tänzer im "The Clique", 1979

Bill Bernstein: "Disco"

Quelle: Bill Bernstein / Reel Art Press

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Oberflächlich ging es ums Sehen und vielmehr noch ums Gesehenwerden. Oder wie es Labelle-Sängerin Nona Hendryx ausdrückt, die 1975 mit "Lady Marmelade" in den Charts stand und das Vorwort zu "Disco" geschrieben hat: "Wer waren diese Geschöpfe der Nacht? Es waren die Poser. Die Beobachter. Die Poser, die andere Poser beobachteten, wie sie die Beobachter beobachteten, die wiederum die Tänzer beobachteten, die sich selbst beobachteten."

Im Bild: Weiblicher Partygast auf der Toilette des "The Mudd Club", 1979

Bill Bernstein: "Disco"

Quelle: Bill Bernstein / Reel Art Press

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Bianca Jagger oder Andy Warhol seien die prominenten Gesichter jener Zeit gewesen, ist im Pressetext zum Bildband zu lesen, Bernstein aber habe die "echten Gesichter der Disco-Ära" eingefangen. Doch auch seine Fotoobjekte gehörten einem illustren Kreis an, denn nicht jeder bekam Einlass in die Clubs.

Dieses Pärchen traf Bernstein im "Studio 54", es ziert die Titelseite von "Disco". Warum? Das Bild erinnere ihn an ein Berliner Kabarett aus der Zeit vor dem Krieg, sagt der Künstler. Die Roaring Twenties - noch so eine Zeit der Feierfreude, des Exzesses, aber auch der politischen und gesellschaftlichen Veränderung.

Bill Bernstein: "Disco"

Quelle: Bill Bernstein / Reel Art Press

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Denn bei aller Oberflächlichkeit: Die New Yorker Clubs der Siebzigerjahre waren im wahrsten Sinne des Wortes fantastische Orte. Hier passierten Dinge, die draußen, in der realen Welt, noch unvorstellbar schienen. So war "GG's Barnum Room" in Midtown ein "transgender haven", wie Bernstein sagt. Ein Zufluchtsort für Transsexuelle.

Im Bild: Pärchen in "GG's Barnum Room", 1979

Bill Bernstein: "Disco"

Quelle: Bill Bernstein / Reel Art Press

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Im "Roseland" tanzten vor allem Latinos - oder posierten lässig vor Bernsteins Kamera (im Bild). Für den Fotografen war die New Yorker Clubszene gelebte Demokratie: "Wir erlebten damals, wie sich Schwule und Frauen emanzipierten und Schwarze für gleiche Rechte kämpften. Und alle trafen sich auf der Tanzfläche."

Bill Bernstein: "Disco"

Quelle: Bill Bernstein / Reel Art Press

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Da ist es eher eine Randnotiz, dass auch ästhetisch alles erlaubt war. Manche Clubbesucherin verweigerte sich Schönheitspraktiken, die heute als Muss weiblicher Körperpflege gelten. Im "Mudd Club" waren unrasierte Beine auch ein Statement - schließlich spielten hier Punk-Größen wie die Sex Pistols und The Clash auf.

Bill Bernstein: "Disco"

Quelle: Bill Bernstein / Reel Art Press

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Da wirkt es unangebracht profan, dass ausgerechnet das New Yorker Finanzamt das Ende der Disco-Ära besiegelte. Ende 1979 gerieten die Betreiber des "Studio 54" ins Visier der Steuerfahnder, im Januar 1980 wurden sie wegen Steuerhinterziehung zu Haftstrafen verurteilt. Der legendäre Club war Geschichte.

Im Bild: Paar im "Studio 54", 1977

Bill Bernstein: "Disco"

Quelle: Bill Bernstein / Reel Art Press

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Man könnte Bernsteins Bilder also als faszinierende Erinnerungen an eine vergangene Zeit abtun. Doch für James Hillard, Besitzer der "Horse Meat Disco", der im Vorwort des Bildbandes zu Wort kommt, haben die Fotos nach wie vor Gültigkeit: "Diese Schnappschüsse fangen die Essenz dessen ein, worum es beim Ausgehen ging und geht. Sie zeigen die wahre Demokratie der Tanzfläche, wo jeder ein Star sein kann, so lange er die richtige Attitude und den richtigen Flair hat."

Bleibt nur eine Frage: Wie bekommt man ein Dutzend bunte Bälle am Türsteher vorbei?

Im Bild: Marlene Becker und Stewart Feinstein, Besitzer des "The Clique", 1979

Der Bildband "Disco: The Bill Bernstein Photographs", erschienen bei Reel Art Press, ist für etwa 60 Euro über Amazon erhältlich. Vom 3. Dezember an (bis 24. Januar 2016) sind Bernsteins Fotos außerdem in der Londoner "Serena Morton Gallery" zu sehen.

© SZ.de/cag/rus
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