Foto-Wettbewerb Talents:Entzauberte Welten

Kinder, deren Ausdruck alles andere als kindlich ist: In den Bildern von Wolfram Hahn begegnen wir merkwürdig abwesenden kleinen Gesichtern. Was ist ihnen passiert? Neues aus der Foto-Nachwuchs-Reihe "Talents".

Ruth Schneeberger

11 Bilder

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Quelle: Wolfram Hahn c/o Berlin

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Kinder, deren Ausdruck alles andere als kindlich ist: In den Bildern von Wolfram Hahn begegnen wir merkwürdig abwesenden kleinen Gesichtern. Was ist ihnen passiert, was fesselt ihre Aufmerksamkeit derart, dass alles Leben aus ihnen zu weichen scheint? Neues aus der Foto-Nachwuchs-Reihe "Talents", immer am Montag.

Der Junge wirkt angespannt, fast versteinert. Sein Blick ist entgeistert, die Haut glänzt, als ob er stark schwitzen würde, und dennoch sieht er unbeweglich aus ...

Text: Ruth Schneeberger/sueddeutsche.de

Alle Bilder: Wolfram Hahn/ c/o Berlin

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Quelle: Wolfram Hahn c/o Berlin

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... und auch das rothaarige Mädchen hat einen merkwürdigen Gesichtsausdruck: Abwesend und gefesselt zugleich, skeptisch und gebannt, ...

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Quelle: Wolfram Hahn c/o Berlin

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... die Kinder wirken im selben Maße versunken wie aufmerksam - und einem weiteren Kleinen steht schier der Mund offen: Was ist los mit diesen Kindern? Fotograf Wolfram Hahn aus Berlin hat sie porträtiert - doch sie scheinen sich entweder der Ablichtung zu verweigern, oder derart abgelenkt zu sein, dass es ihnen komplett egal ist, dass sie gerade fotografiert werden. Sie scheinen es nicht einmal zu merken. Stehen sie unter Drogen? Wurde ihnen Gewalt angetan? Sind sie schlicht fassungslos oder aus anderen Gründen absent? Ist auch eine positive Variante denkbar? Richtig glücklich jedenfalls sieht keines dieser kleinen Wesen aus, im besten Falle: konzentriert.

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Quelle: Wolfram Hahn c/o Berlin

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"Entzaubert" heißt die Foto-Reihe, für die Hahn 2007 vom jungen Fotomuseum c/o Berlin im Rahmen des Nachwuchs-Wettbewerbs "Talents" ausgezeichnet wurde, denn laut Jury gelingen dem 1979 geborenen Fotografen verblüffende Momente: Die Kinder wirken wie verzaubert, ihr Blick ist kaum noch kindlich. Ihr Ausdruck steht im Kontrast zu ihrem sonstigen Erscheinungsbild. Das Geheimnis dieser Bilder ist, dass hier Kinder beim Fernsehen fotografiert wurden. Der allzu ernste Gesichtsaudruck, der nicht zu diesen jungen Gesichtern zu passen scheint, erklärt sich durch die Fokussierung der Kleinen auf das bewegte Bild. Sie scheinen ihre kindlichen Körper für diesen Moment mental zu verlassen.

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Quelle: Wolfram Hahn c/o Berlin

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Die Verschlossenheit der Umgebung gegenüber scheint sie aller kindlichen Attribute zu entledigen: Spontaneität, Quirligkeit, Naivität wurden abgelegt. Damit gleichen sie eher jungen Erwachsenen, die sich mit äußerster Ernsthaftigkeit auf die visuellen Botschaften konzentrieren.

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Quelle: Wolfram Hahn c/o Berlin

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Der Clou ist, dass der Betrachter anfangs nicht weiß, dass die Kinder vorm TV sitzen. Er wird nur mit diesen teils leblosen Gesichtern konfrontiert. Und wenn er es erfährt, wird er wohl leicht von der These des US-Medienwissenschaftlers und TV-Kritikers Neil Postman (1931-2003) zu überzeugen sein: "... es ist für die elektronischen Medien unmöglich, irgendwelche Geheimnisse zu bewahren. Ohne Geheimnisse aber kann es so etwas wie Kindheit nicht geben."

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Quelle: Wolfram Hahn c/o Berlin

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Es ist die Schattenseite der Medienwelt, die Wolfrahm Hahn hier auf sensible Weise andeutet, denn das Fernsehen verlangt keine aktive Beschäftigung der Zuschauer mit seinen Inhalten, es verlangt nur deren ungeteilte Aufmerksamkeit. Die merkwürdig passive Haltung der Kinder, ihre Inaktivität, ihre Abgelenktheit, das Weichen der Weichheit aus ihren Gesichtszügen ...

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Quelle: Wolfram Hahn c/o Berlin

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... sollen deutlich machen, was eine ständige Berieselung durch TV und andere Medien schon in jungen Köpfen anrichten kann. Inzwischen gibt es das Internet und viele weitere Formen der Beschäftigung mit und durch diverse Medien - doch viele von ihnen sind längst nicht mehr so passiv wie das Fernsehschauen. Und ihre Nutzer werden immer jünger. Es lohnt sich also weiterhin, sich mit den höchst umstrittenen Folgen nicht nur kindlichen Fernseh- und sonstigen Konsums weiterhin zu beschäftigen. Und sei es nur dafür, dass eines Tages bewiesen werden kann, dass übermäßiger TV-Konsum doch nicht krank macht - oder eben das Gegenteil. Bis heute streiten sich die Gelehrten über die Auswirkungen des TV-Konsums auf junge Seelen. Wolfram Hahn gibt in seinen Bildern eine sanfte Richtung vor. Die jedoch der Betrachter für sich selbst auch ganz anders formulieren kann. In einer weiteren Foto-Serie hat der Künstler die Auswirkungen des Internet und speziell von Facebook auf junge Menschen thematisiert: Selbstporträts für Facebook - Ich fotografiere, also bin ich.

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Quelle: Wolfram Hahn c/o Berlin

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Wolfram Hahn, der den Wettbewerb zusammen mit Kunstkritiker Daniel Klemm aus Berlin gewonnen hat, verrät im Interview mit Klemm, dass er es beim Porträtieren gerne mit seinem Vorbild, dem berühmten US-Fotografen Richard Avedon (1923-2004) hält, nämlich dass man beim Anfertigen eines Porträts nicht mehr den Menschen fotografiere, der einem gegenüber steht, sondern sich selbst. Weil man sich im Umgang mit dem anderen besser kennenlerne.

Auch die zeitgenössische niederländische Fotografin Rineke Dijkstra hat Hahn beeinflusst, weil sie versuche, ihr Gegenüber so natürlich wie möglich zu zeigen, "in all seiner Normalität, seiner Nacktheit, mit all seiner Verletzlichkeit". Hahn möchte "die Kinder, ihre Gefühle und Reaktionen so natürlich wie möglich im Bild festhalten".

Und dann gib es da noch ein ganz besonderes Vorbild aus der Malerei: "Rembrandt hat mich ebenso stark beeindruckt. Die Lichtführung seiner Titus-Bilder etwa hinterlässt einen unglaublich intensiven Eindruck. Auch bei ihm scheinen sich die eigenen Gefühle, seine eigene psychische Verfassung, auf der Leinwand niedergeschlagen zu haben, als er seinen Sohn derart lebensecht und ausdrucksstark gemalt hat."

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Quelle: Wolfram Hahn c/o Berlin

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Auf die Idee, Kinder beim Fernsehen zu fotografieren, kam Hahn, als er ein Kind vorm TV sitzen sah - und diesen seltsamen Gesichtsaudruck bemerkte, der ihm nicht mehr aus dem Kopf ging: "Entscheidend war dann bei den Porträts, genau den Moment festzuhalten, in dem die Kinder keine Regung zeigen, in dem am offensichtlichsten wird, dass sie vom Fernsehen in gewisser Weise eingenommen werden und sich ihm - auch wenn es sich um kindgerechte Inhalte handelt - bedingungslos hingeben. Weit davon entfernt, das Fernsehen und seine Möglichkeiten zu verteufeln, zeigt sich hier für mich, wie sich für diese Kinder in diesem Moment die Welt entzaubert."

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Quelle: Wolfram Hahn c/o Berlin

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"Dass die Welt ohne Massenkommunikation und Medien heute gar nicht mehr vorstellbar ist", so der Fotograf weiter, "liegt ja kurioserweise zu einem gewissem Teil auch an den Massenmedien, die uns die heutige Welt nur als eine unter ihren Bedingungen mögliche zeigen. Das ständige Gefühl, dass alles schon gesagt, erlebt und gesehen wurde und man selbst dazu nichts mehr beitragen kann, führt zu einer Ohnmacht, aus der Passivität entsteht. Als Fotograf sehe ich mich in der Pflicht, dieses Gefühl nicht zu befördern, sondern Aktivität zu fordern. Ich denke, der Unterschied der Arbeit eines Fotografen zur Produktionsweise mancher Massenmedien besteht darin, dass er versucht, die Bilder, die er macht, nicht als Bebilderung einer auf kurzweilige Unterhaltung abzielenden Geschichte zu verstehen, sondern sie als Vehikel zu sehen, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, die eine Reflexion über ein Thema, eine Situation oder eine Person anregen kann. Im Bereich des Fernsehens etwa bleibt ja oft nicht die Zeit, sich mit etwas auseinanderzusetzen oder die kleinen Momente, die im Leben oftmals entscheidend sein können, zu beachten. Als Fotograf kann ich mich dagegen sehr lange damit beschäftigen, was ich zeigen und wie ich es fotografieren möchte. Am Ende steht dann ein einzigartiges Bild, in dem ich mich klar positioniere und meine Haltung offen präsentiere."

Auf die Frage nach seinen nächsten Projekten antwortet Hahn, der Kunst, Design, Fotografie und ein bisschen Architektur studiert hat und in Berlin lebt: "Am wichtigsten ist für mich, auch in der Zukunft mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Alles Weitere ergibt sich von selbst."

Und Sie lernen nächste Woche ein neues "Talent" kennen.  Bis nächsten Montag!

© sueddeutsche.de/rus/cag
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