Foto-Wettbewerb Talents:Fremd im eigenen Land

Abgeschottet in rituellen Lebensrhythmen, zurückgezogen von der Außenwelt: Am Rande Europas lebt die muslimische Minderheit Bulgariens, fast eine Million Menschen an der Zahl. Jahrzehntelang unterdrückt, hat die nationale Minorität ihre Stimme verloren. Die Fotografin Pepa Hristova versucht sie ihr mit ihren Bildern zurückzugeben. Neues aus der Reihe "Talents", immer montags.

Christopher Pramstaller

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Quelle: Pepa Hristova, c/o Berlin

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Abgeschottet in rituellen Lebensrhythmen, zurückgezogen von der Außenwelt: Am Rande Europas lebt die muslimische Minderheit Bulgariens, fast eine Million Menschen an der Zahl. Jahrzehntelang unterdrückt, hat die nationale Minorität ihre Stimme verloren. Die Fotografin Pepa Hristova versucht sie ihr mit ihren Bildern zurückzugeben. Neues aus der Reihe "Talents", immer montags.

Nach innen eine starke Gemeinschaft, nach außen in der Isolation. Die muslimische Minderheit Bulgariens ist in Europa weitgehend unbekannt, obwohl Türken, Pomaken und Roma den prozentual größten muslimischen Bevölkerungsanteil in einem europäischen Land darstellen. Auf der Suche nach einem euro­päischen Werteverständnis nähert sich die Fotografin Pepa Hristova in ihren Aufnahmen der Gemeinschaft der Pomaken in ihrem Heimatland, fragt nach ihrer Identität und dem Wunsch nach Integration.

Text: Christopher Pramstaller/Süddeutsche.de

Alle Bilder: Pepa Hristova/ c/o Berlin

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"Die meisten Muslime, die ich porträtierte, leben in abgelegenen Dörfern, zurückgezogen von der Außenwelt, was eine Folge des über Jahrzehnte andauernden Religionsverbots und eines noch immer existierenden Nationalismus in Bulgarien ist", sagt Hristova, die 1977 in Bulgarien geboren wurde und an der HAW Hamburg Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Fotografie studierte. Stilistisch verbindet sie subjektive mit journalistischer Fotografie. Ihre Bilder zeigen die Porträtierten verharrend in einem verinnerlichten Zustand, abgetrennt von der jeweiligen Umgebung und Gemeinschaft.

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Dokumentation trifft auf Inszenierung: Die Aufnahmen scheinen den Moment in seiner Augenblicklichkeit festzuhalten, verlieren jedoch durch das künstlich gesetzte Licht ihren rein deskriptiven Charakter ...

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... und entziehen den Porträtierten den Schutzmantel der Gemeinschaft, hinter dem sie doch meist verborgen bleiben. Auf der Suche nach Motiven hatte Pepa Hristova große Schwierigkeiten den Menschen zu erklären, dass sie keine Journalistin auf der Suche nach einer sensationellen Geschichte sei, sondern die Entwurzelung, den Identitätsverlust und die Wertvorstellung der muslimischen Minderheiten thematisieren wolle.

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"Ich habe Bulgarien erst als Heimat entdeckt, nachdem ich das Land verlassen hatte und aus der Ferne Heimweh spürte", sagt Hristova. "Seitdem suche ich häufig nach Themen, die sich mit dem Land, in dem ich geboren wurde, oder mit der Region beschäftigen."

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Rituale nehmen innerhalb der Gemeinschaft einen wichtigen Platz ein. Sie bilden den Kern der muslimischen Identität und beherrschen sie auf eine nahezu mystische Art. Hristova nahm an Beschneidungsfesten teil und war für eine Zeitlang Teil einer patriarchalen Gesellschaft, die archaische Rituale bewahrt und feiert. Auch hier wird die Gemeinschaft nach innen gestärkt, ...

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... isoliert sich aber gleichzeitig nach außen. Für Fremde scheinen die Rituale fern. Nicht die Religion sondern die Poetik des Moments soll den Zugang ermöglichen, meint Hristova. Aufgrund seiner sektenähnlichen Sozialstruktur und seiner geographischen Abgelegenheit wird das Dorf, in dem diese muslimische Trauung stattgefunden hat, "die Republik" genannt.

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Die Gemeinschaft spannt ein soziales Netz, das alle zu umschließen und zu integrieren versucht. Der Einzelne soll sich aufgehoben fühlen und ist doch immer noch Individuum. "In der Isolation sind die Gesichter vielschichtiger, freier, sinnlicher, rätselhafter und machen somit das Innere der Menschen sichtbarer. Die Vereinsamung intensiviert das Gefühl von Eigenbewusstsein, von Würde", sagt die Künstlerin.

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Ein Blick in die Zukunft? Die Muslime Bulgariens haben zwar Zugang zu Zeitungen, Internet, Mobiltelefonen und Fernsehen. Dennoch scheint ihre Welt nichts an Konstanz einzubüßen und die Gemeinschaft nicht vom Verschwinden bedroht. Die alten Traditionen erscheinen als essentieller Teil des Zusammenhalts, in dessen Mittelpunkt die Werte Gemeinschaft, Bescheidenheit, Selbstzurückhaltung und Familienverbundenheit stehen.

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Doch es gibt auch Dörfer, in denen die Gemeinschaft bedroht wird. Bei ihren Recherchen fand Pepa Hristova heraus, dass seit dem Fall des Eisernen Vorhangs Geldbeträge in Millionenhöhe von arabischen Organisationen nach Bulgarien fließen. Davon werden Moscheen gebaut, Schulungen durchgeführt und junge Menschen beim Religionsstudium in arabischen Ländern gefördert. Dies führt jedoch zur Spaltung innerhalb der muslimischen Dorfgemeinden: zwischen den Vertretern eines strengen Islam mit rigiden Gebets-, Denk- und Bekleidungsmethoden und den Traditionalisten, die für moderate Glaubensausübung stehen.

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Ein Land der zwei Geschwindigkeiten: Bulgarien strebt Richtung Westen, ist in der EU, die muslimische Gemeinschaft scheint sich dem nicht anschließen zu wollen. Der unersättliche Motor der Industrialisierung trifft auf die Genügsamkeit des einfachen Lebens.

Kommende Woche lesen Sie, warum ein Mann Kopf steht. Bis nächsten Montag!

© Süddeutsche.de/rela/cag/lala
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