Foto-Künstler İlker Maga:"Wir brauchen das Wort Integration nicht"

Fotograf İlker Maga ist 16 000 Kilometer durch Deutschland gefahren und hat 137 türkeistämmige Menschen porträtiert. Für seine Ausstellung "Farben der Gesellschaft. Eine Deutschland-Reportage" zeigt er Menschen aus der Mitte der Gesellschaft.

Von Ines Alwardt

Integration? İlker Maga kneift seine Augen zusammen, als würde er blinzeln. Er schaut in die Runde, auf die Fotos an den Stellwänden. Maga kennt sie alle mit Namen: Hanife Kazek, die erste Straßenbahnfahrerin aus der Türkei in Deutschland. Ercan Erkan, den Richter vom Amtsgericht Bremerhaven. Cem Özdemir, den Bundesvorsitzenden der Grünen. Aber: Integration? Magas Brauen ziehen sich zusammen, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. "In meiner ganzen Ausstellung finden Sie kein Wort von mir über Integration."

Maga sitzt an einem kleinen Tisch im Kreuzgang des Bayerischen Landtags. Er trägt ein blaues Hemd, den obersten Knopf hat er offen gelassen, darüber ein helles Jacket, keine Krawatte. Es ist erst zwei Stunden her, da hat Maga seine Wanderausstellung eröffnet: "Farben der Gesellschaft - eine Deutschland-Reportage", 50 Fotos von 50 "türkeistämmigen" Bürgern aus ganz Deutschland mit den verschiendensten Berufen sind darin zu sehen - von der Modedesignerin bis zum Spezialisten für alte deutsche Apfelsorten. Maga sagt "türkeistämmig", nicht "türkischstämmig", weil er die ethnische Minderheit der Kurden nicht ausschließen will.

Foto-Künstler İlker Maga: Der Autor und Fotograf Ilker Maga hat für seine Arbeiten schon viele Preise gewonnen. Früher hat er als Journalist gearbeitet, war Chefredakteur und Gründer der ersten philosophischen Sportzeitung İnsancaSpor in der Türkei. 1997 gründete er einen eigenen Verlag und hat seither zahlreiche Bücher herausgegeben.

Der Autor und Fotograf Ilker Maga hat für seine Arbeiten schon viele Preise gewonnen. Früher hat er als Journalist gearbeitet, war Chefredakteur und Gründer der ersten philosophischen Sportzeitung İnsancaSpor in der Türkei. 1997 gründete er einen eigenen Verlag und hat seither zahlreiche Bücher herausgegeben.

(Foto: Rüdiger Bröhan)

350 Menschen. 43 verschiedene Städte. Ein Jahr lang ist der Fotograf durch Deutschland gereist, 16 000 Kilometer hat er mit seinem VW Golf zurückgelegt, im Gepäck: seine Kamera, eine Kaffeemaschine und ein Block. Maga sagt: "Ich wollte keinen Werbekatalog für erfolgreiche Türken machen."

Stattdessen wollte der Künstler ein Stück Alltag zeigen. Ein realistisches Bild, wie die türkeistämmige Gesellschaft in Deutschland lebt - mehr als 50 Jahre nach dem Anwerberabkommen zwischen beiden Staaten. Wie geht es den Familien und Menschen, die damals als Gastarbeiter hierherkamen? Welche Berufe üben sie aus? Was denken sie über Deutschland? Aber: Braucht es so eine Ausstellung überhaupt noch?

Ein multikulturelles Land, das noch immer Aufklärung braucht

Die Bundesrepublik ist ein multikulturelles Land. Knapp 200 verschiedene Nationen leben hier zusammen, etwa drei Millionen Menschen der Gesamtbevölkerung sind türkeistämmig. In den großen Metropolen leben Menschen der verschiedensten Nationen zusammen, die türkische Kultur ist in Berlin und Hamburg mindestens genauso präsent wie die deutsche. Jede Kultur profitiert von der anderen. Die Mischung macht die Atmosphäre.

Doch es gibt noch die andere Seite. Ende April beschimpften fünf Männer in einer Bahnunterführung im baden-württembergischen Schwetzingen einen türkeistämmigen jungen Mann als "Scheiß Ausländer" und prügelten derart brutal auf ihn ein, dass er einen doppelten Kieferbruch erlitt. Das ist leider immer noch kein Einzelfall.

Vor ein paar Jahren hat der ehemalige Bundesbankvorstand und Berliner Finanzsenator Thilo Sarazzin ein Buch geschrieben, in dem er muslimische Mädchen als "Kopftuchmädchen" bezeichnet und krude und absurde Thesen über Migranten aufstellt, die angeblich das Land ruinieren würden. Sarazzins Buch hat eine Auflage von 1,5 Millionen verkauften Exemplaren.

Auch das ist ein Grund, warum İlker Maga jetzt hier vor seinen Fotos steht. Er ist ein kleiner Mann, wenn er lächelt, bilden sich viele kleine Falten um die Augen. Und İlker Maga lächelt oft. Er zeigt auf eines der 50 Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden. Ein Mann Anfang vierzig steht da zwischen Obstbäumen, wirft einen Apfel in die Luft und schaut ihm nach in den Himmel: Ayhan Aktaş, Baumschuler in Edewecht (Niedersachsen) und Fachmann für alte deutsche Apfelsorten. İlker Maga klopft mit dem Knöchel seines Zeigefingers auf die Fotoplatte, genau auf Ayhan Aktaş gestreiftes Polo-Shirt. "Toller Typ", sagt er. Lächeln.

Ayhan Aktaş ist einer von den 137 Menschen, die Maga porträtiert hat. Er stammt aus Trabzon, einer Stadt im Nordosten der Türkei, Schwarzmeerküste. 1991 kam er nach Deutschland, begann zu studieren, Mathematik, nebenbei jobbte er in der Baumschule. Irgendwann bot ihm sein Chef an, die Leitung zu übernehmen. Aktaş ist einer, über den deutsche Politiker wohl sagen würden, er sei ein Beispiel gelungener Integration. İlker Maga sagt das nicht. Er fragt nur: "Haben Sie gewusst, dass es in Deutschland 2500 verschiedene Apfelsorten gibt, aber nur fünf bis sieben in Supermärkten angeboten werden? Das hat mir Ayhan Aktaş erzählt."

Mehr Anerkennung und Respekt

Wer İlker Magas Botschaft als Künstler entschlüsseln will, muss sich seine Fotos ansehen: Strahlend posiert da die junge Tänzerin Rana Tokmak an der Ballett-Stange. Die junge Frau liebt ihren Sport - schon neun Mal ist sie in der Disziplin "Rhythmische Gymnastik" in der Altersklasse der Jugendlichen deutsche Meisterin geworden. "Deutschland ist mein Heimatland", sagt sie. Da ist der Klavierbaumeister Kadir Albay, 72, der auf dem Foto an einem Flügel sitzt und so aussieht, als hätte er schon immer da gesessen. Maga geht jetzt in kleinen Schritten an den Fotos vorbei, hält bei jedem einzelnen an, klopft auf das Foto: "Hier", sagt er, "das ist einer von nur zwei türkeistämmigen Lokführern der Deutschen Bahn. Sein Name ist Özcan Sağın". Ein paar Bilder weiter, "hier, die erste türkeistämmige Straßenbahnfahrerin, Hanife Kazek", so geht es weiter, der erste türkeistämmige Artist, der einzige Arbeiter auf einem Pferdehof, die erste Landesministerin. Und so weiter.

Die türkeistämmige Gesellschaft, das erzählen Magas Bilder, leistet viel für Deutschland. Es ist eine Gesellschaft, die seit Jahren einen Wandel vollzieht und sich auf den Weg gemacht hat in die Mitte der Gesellschaft. Maga sagt: "Sie hat mehr Anerkennung und Respekt verdient, als sie in diesem Land bekommt."

"Das hier sind türkische Mitbürger, die wir aus der Presse nicht kennen"

Er selbst hat erlebt, wie schwer es ist, sich als ausländischer Künstler in Deutschland Respekt zu verschaffen. Immer wieder muss er darum kämpfen, anerkannt zu werden. Wer im Internet nach seinem Lebenslauf sucht, findet erst einmal nichts. Und wer ihn danach fragt, erfährt, dass das auch so gewollt ist. "Man kann sich hinter seiner Biografie verstecken", sagt Maga. "Aber ich möchte, dass die Menschen auf meine Arbeit schauen und dann sagen: Er ist gut oder er ist schlecht."

Maga erzählt von Tausenden Besuchern, die er schon in Kiel, in Bremen und vielen anderen Städten durch seine Ausstellung geführt hat. Für sie alle sei es eine Überraschung gewesen: "Die haben alle zu mir gesagt: Dass hier sind türkische Mitbürger, die wir aus der Presse nicht kennen."

Also doch Integration? Magas Brauen zucken wieder zusammen. Dann sagt er: "Wir brauchen dieses Wort nicht. Stattdessen sollten wir lieber von Vielfalt und Willkommenskultur sprechen." Er selbst fühle sich teilweise als Deutscher, teilweise auch als Russe. "Ich lese russische Literatur viel lieber als türkische", sagt er. Beeinflusst sei er auch von Rosa Luxemburg, Brecht oder Beethoven. "Wie kann ich da sagen, dass ich ein Türke bin?", fragt Maga. "Das darf ich gar nicht sagen."

Die Ausstellung "Farben der Gesellschaft. Eine Deutschland-Reportage" des Fotografen und Autors İlker Maga ist im Bayerischen Landtag in München noch bis zum 6. Juni, im Kulturraum "die flora" in Gelsenkirchen noch bis zum 22.Juni zu sehen. Von Herbst an wird die Ausstellung in der Türkei präsentiert, unter anderem in Izmir, Adana, Istanbul, Diyarbakır.

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