Süddeutsche Zeitung

Foto-Ausstellung:Europa

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Von Sonja Zekri

Zack, da war Europa weg. Es ging ganz schnell, ein paar Wochen Pandemie und der Kontinent war wieder Staatengebrösel. Die Brücken gesperrt, die Straßen blockiert, so hat der Fotograf Heinrich Voelkel im Frühjahr die deutschen Grenzen vorgefunden, als die EU-Nachbarn einfach mal zu Hause blieben. Unter allen hässlichen Szenarien des aktuellen zweiten Corona-Wirrwarrs scheint eine neue Einigelung zwar eher fern. Aber das waren Museumsschließungen vor Kurzem auch noch. In der Berliner Ausstellung "Kontinent - Auf der Suche nach Europa" lassen die rührend leicht überwindbaren Plastikgitter auf Voelkels Serie "No Easy Way Out" ( Foto: Deutschland - Österreich, Grenzübergang Tittmoning) immerhin einen klaren Unwillen zur Selbstisolation spüren, und das stimmt in unschönen Zeiten hoffnungsfroh. Die Berliner Akademie der Künste zeigt "Kontinent" bis Sonntag und dann wieder ab Dezember. Es ist die Jubiläumsausstellung des 1990 gegründeten Fotografen-Kollektivs "Ostkreuz", und wenn es eine Stimmung, ein Thema gäbe, das die Werke der 23 höchst unterschiedlichen Fotografinnen und Fotografen verbindet, dann wäre es gerade dieses, die Zuversicht im Bewusstsein aller Gräßlichkeiten. Denn Gräßlichkeiten sind es, die den Kontinent prägen, vergangene und frische. Maurice Weiss hat die Spuren der Kriege in Wäldern und Weinkellern festgehalten, eine französische Veteranin mit verwitterter Beretta, Bunkeranlagen in Polen, Gedenkstätten. Sibylle Fendt zeigt Flüchtlinge mit leerem Blick in einem Lager im Schwarzwald, die der Stillstand langsam umbringt, und deren Erstarrung auf eigentümliche Weise den leeren Ritualen der Bewerbungsgespräche von Frank Schinskis Reihe "Richtige Einstellung" ähnelt. Manche Kapitalismuskritik wirkt inzwischen fast nostalgisch. Dawin Meckels Bilder eines kühl-sterilen Londoner Bankenviertels mit seinen abwaschbaren Fassaden und To-go-Bechern wecken ferne Erinnerungen: So gut ging es den Briten mal. So nah waren wir uns. Deutlich krisenfester ist das Geschäft Mihaela Mincas, der "mächtigsten Hexe Europas", die Johanna-Maria Fritz mit brennenden Besen oder Ochsenherz in prächtigen Gemächern zeigt. Das Ganze ist nicht folklorefrei, dafür mit Witz: Wahrhaft originelles Unternehmertum braucht eben keine Subventionen.

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Quelle:
SZ vom 31.10.2020
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