Stieg-Larsson-Fortsetzung "Verschwörung":Lisbeth gegen die NSA

David Lagercrantz; "Verschwörung"

"Verschwörung" lautet der deutsche Titel des neuen Millenium-Romans - darin kämpft Lisbeth Salander gegen die NSA.

(Foto: AFP)

David Lagercrantz hat die Fortsetzung zur erfolgreichen Thriller-Trilogie von Stieg Larsson geschrieben. Eine postume Ausbeutung des verstorbenen Autors?

Von Fritz Göttler

Eine schöne Hilfestellung für die Akteure dieses Buchs liefert Oliver Sacks, der kürzlich verstorbene Neuropsychologe und Erzähler. Seinem Bestseller "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte" entnehmen sie - auch die legendäre Lisbeth Salander - brauchbare Hinweise darüber, was sie von dem kleinen August halten und wie sie mit ihm umgehen sollen. August ist ein autistisches Kind, das nicht spricht und daher andere Wege der Kommunikation nutzt, Primzahlen zum Beispiel oder das Malen.

Was man vom neuen Band der erfolgreichen "Millennium"-Serie halten soll, darüber wird nun schon zwei Jahre diskutiert. Im September 2013 hatte der Autor David Lagercrantz zugesagt, eine Fortsetzung zu liefern zur Geschichte um den Investigations-Starreporter Mikael Blomkvist vom unabhängigen Journal Millennium und die punkig radikale Hackerin Lisbeth Salander. Die beiden sind ein Heldenpaar, dessen Aktualität gesteigert ist durch die politischen und ökonomischen Krisen der letzten zehn Jahre und den Widerstand gegen sie, bis hin zu Whistleblowing und Occupy. Folgerichtig legt Lisbeth sich nun mit der omnipotenten NSA an.

Leseprobe

Einen Auszug des Romans stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Der engagierte Journalist Stieg Larsson hatte sich Anfang des dritten Jahrtausends in drei schwarzen Krimiromanen seinen Ekel und seine Wut über die schwedische Gesellschaft von der Seele geschrieben, eine Gesellschaft, die von latentem Faschismus, Gewalt, männlicher Perversion, Korruption und organisiertem Verbrechen geprägt ist.

Den Hype um sein Werk konnte er nicht mehr erleben

Larsson starb im November 2004 an einem Herzinfarkt, gerade mal fünfzig Jahre alt. Er konnte den Hype um sein Werk, das ab 2005 erschien, nicht mehr erleben. Mit dieser Fortsetzung von fremder Hand, so die Vorwürfe, wird er ein weiteres Mal um seine Verdienste gebracht, eine postume Ausbeutung, genehmigt von seinem Vater und Bruder, die sein Erbe verwalten. Das Buch zeigt nun aber doch Respekt und Diskretion dem Vorbild gegenüber, und den gleichen Willen zur Kolportage.

David Lagercrantz, der Autor von "Verschwörung" (Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein, Heyne Verlag, München 2015. 605 Seiten, 22,99 Euro, E-Book 18,99 Euro), kommt aus einer ganz anderen Ecke der Gesellschaft als Stieg Larsson - einer intellektuellen Familie, einer der bekanntesten in Schweden. Sein Vater Olof war viele Jahre Chefredakteur der Zeitung Dagens Nyheter, hat Bücher über Dante, Proust, Strindberg geschrieben. Seine Verachtung galt jeder Form von Mittelmäßigkeit und Kommerz.

"Wir galten als Rotweinsozialisten", erinnert sich David, dem seine Herkunft immer unangenehm war und der sich als Kriminalreporter bei einem Boulevardblatt verdingt hat, um sich freizuschreiben. Später hat er dann die "Autobiografie" des in einem Arbeiterviertel aufgewachsenen Fußballstars Zlatan Ibrahimovic erzählt. Das "Millennium"-Buch hat David Lagercrantz als ein literarisches Spiel mit Formen angenommen, er ist ein bricoleur, ein erzählerischer Strukturalist, insofern der modernere Autor als Larsson, der seine Bücher emotional herausrotzte, mit linkem Furor und gesundem Kommerzinstinkt: "Sex sells."

Das Rohe, Wilde, quälend Obsessive gibt es hier nicht mehr

Man vermisst im neuen Band in der Tat das Rohe, Wilde, quälend Obsessive aus den Larsson-Büchern. Die hässlichen Schweden sind nicht mehr ganz so hässlich. Auch sind Lagercrantz' Interessen sehr global. Seine Zentralfigur ist Augusts Vater, Frans Balder, ein Wissenschaftler, der auf der Suche nach der übermenschlichen künstlichen Intelligenz ist, einer Super-, also Computer-KI. Von amerikanischen Firmen ausgetrickst, kehrt er mit wertvollem Geheimwissen nach Stockholm zurück.

Mikael muss zunächst passen bei diesem Thema. Er ist in dieser Nerdwelt nicht heimisch, auch im Darknet nicht, das Lisbeth ungeniert und provokant erforscht. Gegen die Monster, die dort lauern, wirken die Verbrechen, gegen die Stieg Larsson anschrieb, fast überkommen. Zudem ist die Zeitungskrise spürbar, Millennium droht gerade seine Unabhängigkeit zu verlieren. Im Internet wird Mikael, weil er dort nicht präsent ist, mit Hohn überschüttet, als Versager, der keinen Scoop mehr hinkriegt.

Die neue Lisbeth ist stark entdämonisiert. Sie ist, wie Lagercrantz nachdrücklich darlegt, vom Marvel-Fantasy-Universum inspiriert. Sie hackt nicht mehr aus persönlicher Rache, sondern aus politischen Motiven. Und um den kleinen August zu retten. Als Frans Balder eines Nachts ermordet wird, muss Lisbeth sich um den Jungen kümmern, der den Mörder gesehen hat und bald unnachsichtig gesucht und gejagt wird. Die Punker-Einzelkämpferin Lisbeth Salander wird Actionmutter. Und ihr großer Gegenspieler, die NSA - von einem der dort Tätigen selbstironisch als der "größte Spucknapf der Welt" bezeichnet - ist am Ende gar nicht per se pervers und böse, sondern nur, weil dort ein paar korrupte Typen sitzen.

Der kleine August hat den Mörder seines Vaters gesehen

Am meisten interessiert den Intellektuellen Lagercrantz allerdings die künstliche Intelligenz und was sie für die Zukunft bedeuten mag. Der Wissenschaftler Balder hat in seinem Schlafzimmer ein schwarzweißes Karomuster anlegen lassen, und "es gab Tage, an denen ihm die Verdoppelung der Felder im Spiegel wie ein wimmelndes Rätsel vorkam, als würde sich etwas Lebendiges aus dem Schematischen, Regelmäßigen herausbilden, so wie Gedanken und Träume aus den Neuronen des Gehirns erwuchsen oder Computerprogramme aus den Binärcodes."

Der kleine August malt Szenen nach, die er sah. Er hat den Mörder seines Vaters gesehen, einen eiskalten Kämpfer, Veteranen, Killer. Er hat ihn gezeichnet - und so mit einem Bann belegt: "My soul was captured in a drawing." Meine Seele war in einer Zeichnung gefangen.

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