Videospiel "Fortnite":Ein Tanz in digitaler und realer Welt zugleich

Videospiel "Fortnite": DJ Marshmello live on Fortnite: 11 Millionen Spieler sahen das Konzert in der Spielwelt, rund 15 Millionen danach auf Youtube.

DJ Marshmello live on Fortnite: 11 Millionen Spieler sahen das Konzert in der Spielwelt, rund 15 Millionen danach auf Youtube.

(Foto: Epic Games)
  • Am Wochenende gab der amerikanische DJ Marshmello auf der digitalen Freiluftbühne von "Fortnite" ein Konzert, das mehr als elf Millionen Spieler live verfolgten.
  • Weltweit spielen mehr als 125 Millionen Menschen das Videospiel - die meisten von ihnen Teenager.
  • Fortnite-Hersteller Epic Games erweiterte mit dem Konzert die Grenzen des technisch Machbaren.

Von Jürgen Schmieder

Am Wochenende gab es ein Konzert von DJ Marshmello, bei dem weltweit mehr als 11 Millionen Leute live dabei waren. Sie mussten dafür weder ein Ticket kaufen, noch in ein Stadion oder einen Club. Sie starteten das Videospiel Fortnite, wählten die Mehrspielervariante "Battle Royale" mit der Zusatzeinstellung "Showtime". Dann suchten sie die Freilichtbühne im fiktiven Ort Pleasant Park auf der postapokalyptischen Insel, auf der sich normalerweise die Online-Spieler nachstellen, um sich so lange gegenseitig aus dem Weg zu räumen, bis in der jeweiligen Runde nur noch einer übrig bleibt.

Für einen Popstar ist Fortnite eine Traum-Arena. Weltweit spielen mehr als 125 Millionen Menschen mit, die meisten von ihnen Teenager. Zeitweise sind mehr als acht Millionen gleichzeitig online in der virtuellen Welt. Die Betreiberfirma Epic Games macht inzwischen einen Jahresumsatz von über drei Milliarden Dollar.

Zehn Minuten lang gab es dann also Livemusik des Electronic-Music-Produzenten Christopher Comstock, der sich bei Auftritten ähnlich wie Daft Punk oder Cro hinter einer Marshmallow-Maske versteckt und mit Superstars wie Khalid, Justin Bieber und Selena Gomez gearbeitet hat. Er spielte Hits wie "Check This Out" zum Beispiel, "Chasing Colors" oder "Flashback". Bei "Fly" wurde im Spiel die Schwerkraft außer Kraft gesetzt, die Avatare der Zuschauer flogen wild durch die Luft, vorher konnten sie wild hüpfen oder Hologramme ihrer Figuren sehen.

Das Konzert ist eine logische Fortsetzung des virtuellen Erlebnisses

Es war eine psychedelische Erfahrung, weil die Besucher nicht leibhaftig zu diesem Konzert kamen, sondern als Avatare in einen virtuellen Raum. In keinem anderen Spiel war so ein Konzert eine so logische Fortsetzung des virtuellen Erlebnisses, weil in Fortnite nicht nur geballert wird, sondern auch sehr viel getanzt. Dementsprechend konnten die Konzertbesucher ihre Figuren einsetzen. Da schüttelte ein Wikinger seine Zöpfe neben einer Frau im Snowboardanzug, während sich ein Typ im John-Wick-Anzug so bewegte wie Snoop Dogg in "Drop It Like It's Hot".

Knapp 200 verschiedene Tänze gibt es mittlerweile in Fortnite. Zu den beliebtesten gehören jene mit Hinweisen auf Meilensteine der Pop-Kultur: Bei "Confused" zum Beispiel macht die Figur, was John Travolta in Pulp Fiction im Haus von Mia Wallace auf der Suche nach der Sprechanlage tut. "Hootenanny" ist der Tanz von Jim Carrey im Film "Dumb & Dumber", und "Fresh" ahmt die Bewegungen von Alfonso Ribeiro in der Fernsehserie "The Fresh Prince of Bel Air" nach. Fußballstars vollführen diese Tänze oft nach Toren als Siegestaumel.

Der bekannteste der Fortnite-Tänze ist der "Floss Dance", der Zahnseidentanz, bei dem die Arme immer schneller gegen einen Hüftschwung pendeln, als würden sich die Tänzer mit einem riesigen Faden zwischen die Beine gehen. Vor allem auf Schulhöfen ist das seit vergangenem Sommer eine regelrechte Manie.

Die Leute ließen also ihre Avatare zu DJ Marshmellos Musik tanzen. Nebenbei unterhielten sie sich mit ihren ebenfalls übers Internet verbundenen und damit am Konzert teilnehmenden Freunden über die Sprachfunktion. Perfekter geht die virtuelle Umsetzung eines Live-Ereignisses nicht.

Es war nicht das erste virtuelle Konzert. Vor zehn Jahren gab es einen Auftritt der irischen Rockband U2 in der Onlinewelt "Second Life" zu sehen, das allerdings von Fans, nicht von der Band lanciert wurde. Und grafisch eher unbeholfen war. Das EDM-Label Monstercat veranstaltete vor fünf Jahren ein virtuelles Festival im Spiel Minecraft. Dort gab es im vergangenen September auch ein "Coalchella Festival" als virtuelle Variante des Coachella Festivals. Streng genommen startete die Symbiose zwischen Musik und Videospielen noch früher: Ein Avatar von Michael Jackson trat 1990 im Computerspiel "Moonwalker" auf und besiegte Bösewichter mit Jackson-Bewegungen zu Liedern wie "Smooth Criminal" oder "Beat It".

Das Konzert von Marshmello ist allerdings auf einer anderen Entwicklungsstufe angesiedelt. Fortnite-Hersteller Epic Games erweiterte die Grenzen des technisch Machbaren. Vor allem grafisch. Die Firma fand auch neue Wege für die Vermarktung. Die Teilnehmer konnten sich im Vorfeld und auf virtuellem Weg zum Konzert Kostüme und Extras erspielen.

Popkultur muss sich entwickeln, sonst wird sie langweilig, belanglos, irrelevant. Sie braucht neue Ideen, neue Plattformen, neue Darstellungsmöglichkeiten. Dieses Fortnite-Konzert führte die neuen Möglichkeiten einer virtuellen Welt vor, in der sich Teenager mit enormer Selbstverständlichkeit bewegen und in der sie sich gerade deswegen so wohl fühlen, weil sie sich Erwachsenen of nicht erschließt. So ein Konzert löst die Grenzen zwischen digitaler und realer Welt weiter auf. Mit der schnellen Entwicklung von Technologien wie Virtual und Augmented Reality, mit immer höheren Übertragungsgeschwindigkeiten, perfekteren Grafikkarten und dem neuen Kulturverständnis einer digitalen Jugend, war dies sicher nur ein Anfang.

Nach seinem Auftritt schrieb DJ Marshmello auf seinem Twitterkonto jedenfalls "Wir haben Geschichte geschrieben!" Und auf seinem Youtube-Kanal veröffentlichte er einen Mitschnitt, so dass auch alle Nichtspieler das Konzert ansehen können. Knapp 15 Millionen haben das schon getan. Man mag von virtuellen Erlebnissen halten, was man will, das schlägt zumindest alle Rekorde. Die hielten bisher Rod Stewart in Rio und Jean-Michel Jarre in Moskau mit jeweils dreieinhalb Millionen Zuschauern. Deren Breitenwirkung bei jüngeren und ganz jungen Menschen ist allerdings rapide am Abnehmen.

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