Süddeutsche Zeitung

Folterprogramm der CIA:Wasser, Licht und Country-Musik

  • Die Air-Force-Psychologen James Mitchell und Bruce Jessen entwickelten das grausame CIA-Folterprogramm.
  • Sie waren mitverantwortlich für das SERE-Training - "Survival, Evasion, Resistance, Escape", das Soldaten auf mögliche Gefangennahme durch Truppen von Staaten vorbereiten sollte, die sich über die Genfer Konvention hinwegsetzen, und entwickelten grausame Foltermethoden.
  • In ihren Armeekarrieren haben sie nie einen Feind verhört und wurden trotz ihrer Grausamkeiten nie für ihre Taten belangt.

Von Jörg Häntzschel

Bis zum Oktober 2001 galten bei der CIA strenge Prinzipien für die Durchführung von Verhören: "Folter, grausame, unmenschliche, erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder längere Gefangenschaft ohne Anklage oder Prozess" sind "Menschenrechtsverletzungen" und daher unzulässig. So stand es im CIA-Handbuch. Es "ist das Prinzip der CIA" nicht an Verhören teilzunehmen "bei denen Gewalt, mentale oder physische Folter, extreme Entwürdigung oder unmenschliche Behandlung angewendet werden."

Und das nicht zuletzt deshalb, weil sich diese Methoden als wenig hilfreich erwiesen haben. "Unmenschliche physische oder psychologische Techniken sind kontraproduktiv, weil sie keine Erkenntnisse produzieren und wahrscheinlich zu falschen Antworten führen", schrieb die CIA 1989 in einem Bericht an den Kongress.

266 Stunden in einer Kiste

Doch kurz nach 9/11 galt das nicht mehr. Ab dem 4. August 2002 unterzogen CIA-Leute den mutmaßlichen Al-Qaida-Anführer Abu Subaida 20 Tage lang und 24 Stunden täglich einem an Brutalität kaum zu überbietenden Folterprogramm, das der am Montag veröffentlichte CIA-Folterbericht in allen grausamen Details schildert.

Zu den Methoden gehörte "an die Wand Stoßen, an der Kleidung Packen, ins Gesicht Schlagen, am Gesicht Packen, beengte Haft, stress positions, Lärm, Schlafentzug". Und natürlich das Waterboarden, dem er täglich zwei bis vier Mal unterzogen wurde. Er verbrachte während dieser Zeit 266 Stunden in einer Kiste, die so groß war wie ein Sarg und auch so aussah; und 29 Stunden in einer Kiste, die nur 76 cm hoch, 76 lang, 53 cm breit war.

Diese neuen "verschärften Verhörmethoden" waren nicht Ausdruck von Rachegelüsten oder Sadismus so wie die Fotos aus Abu Ghraib. Sie waren das Ergebnis einer institutionellen Perversion im Kleid von Verantwortungsbewusstsein. Die CIA wollte sichergehen, vom nächsten Terroranschlag nicht ebenso überrascht zu werden wie von dem auf die Twin Towers. Die neue Zeit erforderte neue Methoden. Und für die Entwicklung dieser Methoden war niemand so geeignet wie die zwei pensionierten Air-Force-Psychologen, die fortan offiziell "contractor A" und "contractor B" hießen.

Düsterste Seiten des Kalten Kriegs

Im CIA-Folterbericht werden sie unter den Pseudonymen "Swigert" und "Dunbar" geführt, intern nannte man sie "the architects": Sie waren die Erfinder des "Enhanced Interrogation Program", mit dem man nach 9/11 gegen alle eigenen Erfahrungen und in klarer Verletzung der Genfer Konvention hoffte, vermeintliche Terroristen zum Reden zu bringen.

James Mitchell und Bruce Jessen, so ihre tatsächlichen Namen, waren bei der Air Force mitverantwortlich für das "SERE"-Training. SERE - für "Survival, Evasion, Resistance, Escape" - soll Soldaten auf mögliche Gefangennahme durch Truppen von Staaten vorbereiten, die sich über die Genfer Konvention hinwegsetzen. Vor allem soll das Trainingsprogramm ihnen helfen, "Verhöre mit intakter Ehre" durchzustehen, wie Mitchell es formuliert.

Die SERE-Techniken sind ein Residuum der düstersten und geheimsten Seiten des Kalten Kriegs. Sie umfassen die Erfahrungen der US-Soldaten in Korea ebenso wie die von der CIA praktizierten Foltermethoden und ihre Experimente in psychologischer Kriegsführung und "mind control". Nur, dass die Soldaten in den SERE-Kursen eben nicht die Ausübung, sondern das Erdulden dieser Qualen übten.

Mitchell und Jessen hatten zwar in ihren Armeekarrieren nie einen einzigen Feind verhört und besaßen weder Wissen noch Erfahrung in den entsprechenden Techniken. Doch sie hatten Jahre damit zugebracht, hypothetische Grausamkeitsszenarien zu erfinden, hatten tagein, tagaus sadistische Folterknechte aus Schurkenstaaten gespielt. Niemand, so die Überlegung, würde den auf der ganzen Welt aufgegriffenen und in die "black sites" genannten Geheimgefängnisse geflogenen Terrorverdächtigen besser gewachsen sein, niemand würde sie ähnlich gut zum Sprechen bringen.

Und mehr als das "reverse engineering" der SERE-Methoden, also deren Umpolung von einem Defensiv- zu einem Offensivprogramm war auch gar nicht nötig, wie Mitchell Anfang Juli 2002 im CIA-Hauptquartier erläuterte. Sein Repertoire der Grausamkeiten, darunter außer den erwähnten auch "(10) Gebrauch von Windeln, (11) Gebrauch von Insekten und (12) Scheinbegräbnisse", stieß dort auf großen Anklang.

Folter, das klingt nach Daumenschrauben und Streckbank, nach Mittelalter. Mitchell und Jessen hingegen folterten mit Wasser, Licht und Country-Musik, sie hinterließen keine physischen Spuren (sieht man von den Gefangenen ab, die später unter ihrer Hand starben). Sie standen nicht für blutige Marter, sondern für "erlernte Hilflosigkeit", so die euphemistische Formulierung.

Gefangene ohne Widerstand

Der Begriff stammt von dem Psychologen Martin Seligman, der bei der Forschung zu den Ursachen von Depression in den Sechzigern ein Experiment an Hunden durchführte. Sobald diese lernten, dass Springen ihnen nicht half, Elektroschocks zu entkommen, erduldeten sie bewegungslos die Schmerzen. Das war der Zustand, in dem laut Mitchell und Jessen die Gefangenen jeden Widerstand aufgeben und ihre Geheimnisse preisgeben würden.

Tatsächlich konnten die privaten Folterer, deren Firma zeitweise bis zu 60 Angestellte hatte, bald Erfolge melden: Wenn der Beamte "seine Augenbraue hob" ging der Gefangene "ohne weitere Instruktionen langsam zum Wassertisch und setzte sich. Wenn der Beamte zweimal mit den Fingern schnipste, legte sich Subaida flach hin." Doch was der hilflose, zu hündischem Gehorsam erzogene Abu Subaida an Geheimnissen wusste, das hatte er lange vorher preisgegeben: In Gesprächen, die auf Respekt und Vertrauen basierten.

Das 300 Millionen Dollar teure Folterprogramm, so stellt der Bericht fest, hat keinerlei nennenswerte Erkenntnisse erbracht. Hilflos agierte nicht nur Abu Subaida, sondern auch die CIA selbst. Trotz wiederholter Proteste von CIA-Veteranen und in klarer Verletzung der Regeln ließ man zu, dass Mitchell und Jessen alle Rollen des Verhörprozesses in Personalunion spielten.

81 Millionen Dollar für Folter

Sie hatten das Programm entwickelt, sie folterten und verhörten, fungierten in denselben Foltersitzungen als beobachtende Psychologen und schickten anschließend ihre Berichte nach Langley. Was diese wert waren, lässt sich schon daran ermessen, dass beide nach Berichten 1800 Dollar pro Tag für ihre Dienste erhielten. Zwischen 2002 und 2009, als Obama das Programm einstellte, zahlte die Regierung 81 Millionen Dollar an ihre Firma.

Trotz ihrer Grausamkeiten wurden Mitchell und Jessen nie für ihre Taten belangt. Trotz der klaren Verletzung ärztlicher Ethik besitzt Mitchell bis heute seine Zulassung. Er dürfe nichts sagen zu seiner Arbeit für die CIA, meinte er kürzlich in einem Interview mit dem Onlinemagazin Vice. Nur eines merkte er süffisant an: "Es erscheint mir völlig unverständlich, dass es schlimm sein soll, Khaled Sheik Mohammed ins Gesicht zu schlagen, doch eine Hellfire-Rakete mitten in das Picknick einer Familie zu schicken, alle Kinder zu töten, die Oma zu töten, die Enkel zu töten, das ist okay."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2263397
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.12.2014/danl
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.